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„Landesverrat und Beihilfe zum Bruch von Dienstgeheimnissen“ lautet das Urteil vom 24. Juni 1975 gegen die Ehefrau des Ex-Referenten im Bundeskanzleramt Günter Guillaume: Christel Boom, von 1951 bis 1981 Guillaume
Foto: dpa„Landesverrat und Beihilfe zum Bruch von Dienstgeheimnissen“ lautet das Urteil vom 24. Juni 1975 gegen die Ehefrau des Ex-Referenten im Bundeskanzleramt Günter Guillaume: Christel Boom, von 1951 bis 1981 Guillaume

Deutsch-deutsche Geschichte

Mehr Geheimnisse, weniger Strafe

Wie die Allensteinerin Christel Boom mehr „Aufklärung“ für die Stasi als ihr Mann betrieb und dabei weniger im Rampenlicht stand

Wolfgang Kaufmann
26.04.2024

Vor 50 Jahren eskalierte der größte Spionagefall der deutsch-deutschen Geschichte, als BKA-Beamte am frühen Morgen des 24. April 1974 das Ehepaar Günter und Christel Margarete Ingeborg Guillaume verhafteten. Dieses war Ende 1956 aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen, um im Auftrag der Auslandsabteilung des Ost-Berliner Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) „Aufklärung“ innerhalb der SPD zu betreiben. Dabei gelang es Günter Guillaume, bis zum Persönlichen Referenten von Bundeskanzler Willy Brandt aufzusteigen, der dann wegen der Spionageaffäre zurücktrat. Durch dieses Ereignis fand die Rolle von Christel Guillaume kaum Beachtung. Dabei war sie wohl ein talentierterer Agent als ihr Ehemann, der letztlich keine nennenswerten Staatsgeheimnisse an die Stasi weitergab.

Die MfS-Agentin mit dem Decknamen „Heinze“ wurde am 6. Oktober 1927 als uneheliches Kind der Landarbeiterin Erna Meerrettig in Allenstein geboren. Als ihre Mutter einige Jahre später den Niederländer Tobias Boom heiratete, adoptierte dieser das Mädchen. Unter dem Namen Christel Boom verließ sie im März 1943 die Schule und begann eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin, die sie aber aufgrund der Flucht aus Ostpreußen abbrechen musste. Dem folgten nach dem Zweiten Weltkrieg Privatstunden in Schreibmaschineschreiben und Stenographie. Im September 1950 erhielt Boom dadurch eine Stelle als Sekretärin im Groß-Berliner „Komitee der Kämpfer für den Frieden“. Kurz darauf wurde sie von der Stasi angeworben und mehrere Jahre lang auf den Einsatz in der Bundesrepublik vorbereitet. Als ihr Führungsoffizier sollte der Redakteur Günter Guillaume alias „Hansen“ fungieren, den sie am 12. Mai 1951 in Leisnig heiratete.

Sekretärin Willy Birkelbachs
Nach seiner fingierten Flucht in den Westen ließ sich das Ehepaar in Frankfurt am Main nieder und eröffnete mit dem Startkapital des MfS einen Kaffee- und Tabakladen. Außerdem traten beide auftragsgemäß in die SPD ein. Anschließend passierte etwas, womit die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) der Staatssicherheit nicht gerechnet hatte: Christel Guillaume machte deutlich schneller Karriere als ihr Mann und avancierte alsbald zur Büroleiterin des Chefs der Staatskanzlei des Landes Hessen von 1964 bis 1969, des SPD-Politikers Willy Birkelbach. Daher konnte Christel Guillaume der HV A zahlreiche geheime Dokumente zuspielen, während Günter Guillaume es erst Jahre später mit Mühe und Not zum Geschäftsführer des SPD-Unterbezirks in Frankfurt am Main brachte. Deshalb wollte die gebürtige Allensteinerin, dass die HV A sie zum Führungsoffizier des Duos ernannte. Doch die Stasi bestand auf der ursprünglichen Rollenverteilung, sodass Christel Guillaume schließlich frustriert zurücksteckte.

Kurz darauf ergatterte Günter Guillaume durch die Protektion des SPD-Verkehrsministers Georg Leber eine Stelle als Referent in der Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik des Bundeskanzleramtes. Ende 1972 folgte die Ernennung zum Persönlichen Referenten von Brandt für Parteifragen. Als beide aufgrund der Ermittlungen der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden aufflogen, stand Christel Guillaume gerade davor, in das Sekretariat des nunmehrigen Verteidigungsministers Leber versetzt zu werden. Damit wäre sie für die Stasi aller Wahrscheinlichkeit nach noch viel wertvoller geworden als bislang.

Am 15. Dezember 1975 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf Christel Guillaume wegen Landesverrates zu acht Jahren Haft, die sie aber nicht vollständig verbüßte. Denn Anfang 1981 wurde die Agentin gegen einige Kollegen des Bundesnachrichtendienstes, die im Osten im Gefängnis saßen, ausgetauscht und in die DDR überstellt. Dort feierte man sie als „Kundschafterin für den Frieden“ und verlieh ihr den Karl-Marx-Orden sowie den Rang eines Oberstleutnants der Stasi. Danach bezog Christel Guillaume ein extra für sie erbautes und speziell gesichertes Haus in Hohen Neuendorf bei Berlin.

Beklagt „verpfuschtes Leben“
Im Oktober 1981 kam auch Günther Guillaume bei einem Agentenaustausch frei und in die DDR. Zwei Monate später ließ sich das Ehepaar scheiden. Daraufhin nahm die Agentin im Ruhestand wieder ihren Mädchennamen Boom an. Den trug später auch der gemeinsame Sohn Pierre, der im April 1957 geboren worden war und 1975 auf Drängen der Stasi in die DDR übersiedelte. Er musste den Nachnamen Boom führen, seit er 1988 einen Antrag auf Rückkehr in die Bundesrepublik gestellt hatte.

Christel Boom heiratete im Gegensatz zu Günter Guillaume nicht wieder und zog nach der friedlichen Revolution in der DDR nach Berlin-Wilmersdorf. In einem 1990 gedrehten Dokumentarfilm beklagte sie ihr „insgesamt ... verpfuschtes Leben“. Während ihrer letzten Lebensjahre versuchte die ehemalige Spionin, ihre Rente von 1700 D-Mark aufzustocken, indem sie Klage einreichte, um die sieben Haftjahre in der JVA Köln-Ossendorf bei der Festsetzung der Altersbezüge anrechnen zu lassen. Dieses Ansinnen wies das Landessozialgericht Berlin jedoch Anfang 2001 zurück. Christel Boom starb am 20. März 2004 an einem Herzleiden.


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