17.03.2025

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Symbol einer weiteren Zeitenwende: Das Zerwürfnis von US-Präsident Donald Trump und seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj am 28. Februar 2025 im Weißen Haus
BILD: PICTURE ALLIANCE/SVENSIMON-THEPRESIDENTIALOFFICEU/PRESIDENTIAL OFFICE OF UKRAINESymbol einer weiteren Zeitenwende: Das Zerwürfnis von US-Präsident Donald Trump und seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj am 28. Februar 2025 im Weißen Haus

Die Zeit der Illusionen ist vorbei

Warum Deutschland seine Außen- und Sicherheitspolitik einer grundlegenden Revision unterziehen muss – und sich dabei wieder stärker an seinen nationalen Interessen orientieren sollte

Arian Aghashahi
16.03.2025

Der 28. Februar 2025 könnte als einer jener Momente in Erinnerung bleiben, die eine geopolitische Zäsur markieren. Im Oval Office kam es zu einem diplomatischen Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Trump, bekannt für seine direkte und unmissverständliche Sprache, machte Selenskyj deutlich, dass die Tage unbegrenzter amerikanischer Unterstützung gezählt seien. Als er Selenskyj vorwarf, mit seiner Haltung einen dritten Weltkrieg zu riskieren und dessen mangelnde Dankbarkeit für die amerikanische Kriegshilfen kritisierte, wurde der ukrainische Präsident sichtlich überrumpelt.

Die eigentliche Brisanz dieses Treffens reicht jedoch weit über die amerikanisch-ukrainischen Beziehungen hinaus. Nicht zuletzt legt es einmal mehr auch die strukturellen Schwächen der deutschen Außenpolitik offen – eine Politik, die seit Jahrzehnten auf Illusionen basiert und in der neuen Weltordnung keinen Bestand mehr haben wird. Während die aktuelle US-Administration längst erkannt hat, dass die Ukraine militärisch und wirtschaftlich nicht in der Lage ist, ihre Position gegenüber Russland zu behaupten, hält Berlin weiterhin an der Fiktion fest, dass das westliche Engagement in der Ukraine eine Erfolgsgeschichte sei. Dabei zeigen die Erkenntnisse von Historikern und Geopolitik-Experten wie Emmanuel Todd, John J. Mearsheimer und Jeffrey Sachs, dass der Konflikt von Anfang an falsch analysiert wurde.

Strategische Fehleinschätzungen
Todd, einer der schärfsten Kritiker westlicher Geopolitik, argumentiert, dass westliche Analysten die strukturelle Stabilität Russlands unterschätzt haben. In seinem Werk „La Défaite de l'Occident“ (Deutsch: „Der Westen im Niedergang“) analysiert er, wie sich die russische Wirtschaft trotz westlicher Sanktionen stabilisiert hat und eine nationale Konsolidierung stattgefunden hat. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert inzwischen für Russland ein wirtschaftliches Wachstum, während die ursprünglich erwartete Rezession ausgeblieben ist. Eine Analyse des ifo-Instituts bestätigt diese Beobachtungen und weist darauf hin, dass Russland durch die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft die Sanktionsfolgen abfedern konnte. Das IPG-Journal beschreibt zudem, wie die staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik Putins gesellschaftlichen Rückhalt geschaffen hat, was die Annahme eines wirtschaftlichen Kollapses als unrealistisch erscheinen lässt.

Der Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer hat bereits 2014 gewarnt, dass die NATO-Osterweiterung eine Provokation Russlands darstelle und maßgeblich zur Ukraine-Krise beigetragen habe. Er sieht die Hauptschuld für den Ausbruch des Konflikts nicht in Moskau, sondern in Washington und seinen Verbündeten. Und Jeffrey Sachs äußerte 2022 eine ähnliche Einschätzung: Die NATO-Erweiterung auf die Ukraine sei ein strategischer Fehler gewesen, und Washington hätte durch diplomatische Lösungen eine Eskalation verhindern können.

Die Vorstellung, Moskau könne durch wirtschaftlichen Druck und militärische Unterstützung der Ukraine zu einem Rückzug bewegt werden, war somit von Beginn an eine Fehlkalkulation. Die Bundesregierung verweigerte sich dieser Realität ebenso wie der designierte Kanzler Friedrich Merz, der trotz offensichtlicher geopolitischer Verschiebungen weiterhin an der Illusion festhält, dass Deutschland mit einer moralisch begründeten Sanktionspolitik entscheidenden Einfluss auf Russland ausüben könne. Merz, der sich als geopolitischer Stratege inszeniert, ignoriert dabei die wachsenden Zweifel an der Effektivität der westlichen Ukraine-Strategie – zunehmend auch innerhalb westlicher Regierungen und diplomatischer Kreise. Statt die geopolitischen Realitäten nüchtern zu analysieren, dürfte sich die künftige Bundesregierung wohl weiterhin an eine wertebasierte Rhetorik klammern, die in der harten Logik der Machtpolitik keine Rolle spielt.

Verloren in ideologischen Konstrukten
Dieses Versagen in der strategischen Analyse ist kein einmaliger Fehltritt, sondern symptomatisch für eine deutsche Außenpolitik, die sich seit Jahren in ideologischen Konstrukten verliert, anstatt sich an nationalen Interessen zu orientieren. Während Staaten wie China und Russland langfristig planen und ihre Außenpolitik an klar definierten Machtzielen ausrichten, hat sich Deutschland in eine Sackgasse reiner Prinzipienpolitik manövriert, die weder Respekt einbringt noch handfeste Erfolge erzielt. Seit der Einheit von 1990 hat Berlin versäumt, eine eigenständige und souveräne Außenpolitik zu formulieren. Die Bundesrepublik agiert in einem moralisierenden Gestus, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein.

Besonders deutlich wurde dieses Defizit im Umgang mit Russland. Jahrzehntelang betrieb Deutschland eine Energiepolitik, die auf russische Importe setzte, während es sich gleichzeitig als moralische Instanz gegen Moskau präsentierte. Das Ergebnis war eine doppelte Abhängigkeit: wirtschaftlich von russischer Energie und politisch von einer moralischen Haltung, die es unmöglich machte, strategische Flexibilität zu wahren. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, reagierte Berlin reflexhaft mit einer Sanktionspolitik – die mehr der eigenen Industrie schadete als dem Kreml. Die wirtschaftlichen Folgen sind bis heute spürbar: eine Deindustrialisierung, die deutsche Schlüsselbranchen gefährdet, steigende Energiepreise und ein Standortnachteil, den China und die USA mit Interesse beobachten.

Während China in Afrika und Lateinamerika gezielt wirtschaftliche Abhängigkeiten schafft und Peking in Europa strategische Investitionen tätigt, fehlt Deutschland jede kohärente Strategie im Umgang mit der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. Chinesische Übernahmen deutscher Unternehmen wurden jahrelang ignoriert, während Berlin in naiver Selbstüberschätzung glaubte, Peking durch Appelle an eine regelbasierte Ordnung in die Schranken weisen zu können. In der Realität ist Deutschland längst auch zu einem Spielball chinesischer Interessen geworden, ohne dass die Regierung darauf eine Antwort gefunden hätte.

Angesichts dieser zielgerichteten und durchsetzungsstarken Politik Chinas wird die Hilflosigkeit der deutschen Regierung besonders deutlich, wenn man sich ihre oft paternalistische Entwicklungshilfepraxis anschaut. Statt – wie Peking – konsequent die eigenen Interessen zu wahren, verfolgt Berlin häufig Projekte, die weder den tatsächlichen Bedürfnissen der Empfängerländer noch den deutschen Interessen gerecht werden.

Fehlgeleitete Entwicklungshilfe
Ein besonders frappierendes Beispiel für die Fehlallokation deutscher Entwicklungshilfegelder ist die Finanzierung von Infrastrukturprojekten in Peru. So wurden Millionenbeträge in den Ausbau von Fahrradschnellwegen in Lima investiert, um den CO₂-Ausstoß zu reduzieren und die Mobilität der ärmeren Bevölkerungsschichten zu verbessern. Allerdings stellt sich die Frage, ob solche Investitionen in entlegene Infrastrukturprojekte tatsächlich im Interesse Deutschlands liegen und ob sie die gewünschten entwicklungspolitischen Effekte erzielen. Vielmehr stehen solche Projekte exemplarisch für eine Entwicklungshilfepolitik, die oft an den Bedürfnissen sowohl der Empfängerländer als auch der deutschen Interessen vorbeigeht. Statt paternalistischer Entwicklungshilfe, die häufig ineffiziente Projekte finanziert, wäre ein auf Joint-Venture-Modelle basierendes wirtschaftliches Engagement in Schwellenmärkten zielführender. Dies würde sowohl den Partnerländern als auch Deutschland zugutekommen.

Noch deutlicher zeigt sich das außenpolitische Defizit in der Verteidigungspolitik. Jahrzehntelang wurde die Bundeswehr systematisch kaputtgespart, während die politische Klasse sich in der Illusion wiegte, Sicherheit ließe sich durch Diplomatie allein gewährleisten. Die US-Administration machte nun erneut unmissverständlich klar, dass die europäischen Staaten ihre Verteidigung endlich selbst in die Hand nehmen müssen. Doch Deutschland hat selbst nach der Ukraine-Krise keine substantiellen Reformen durchgeführt. Die „Zeitenwende“ blieb weitgehend eine rhetorische Floskel. Eine Armee, die kaum einsatzfähige Panzer besitzt und in der sich Soldaten über Munitionsmangel beklagen, kann in der neuen geopolitischen Realität nicht bestehen.

Strategische Interessen vor moralischen Aspekten
Es ist an der Zeit, dass Deutschland seine Außenpolitik einer grundlegenden Revision unterzieht. Moralische Prinzipien dürfen nicht den Vorrang vor strategischen Interessen haben. Eine realpolitische Neuorientierung muss auf vier fundamentalen Säulen beruhen: Erstens eine Diplomatie, die nicht von moralischen Geboten, sondern von kühler Interessensabwägung geleitet ist. Zweitens echte Investitionen in glaubhafte Verteidigungsfähigkeiten, um innerhalb der NATO Verantwortung und Führung zu übernehmen. Drittens eine Wirtschafts- und Industriepolitik, die die eigene Souveränität bewahrt, statt neue Verwundbarkeiten zu schaffen. Und viertens das Verständnis, dass Bündnisse—einschließlich der transatlantischen Beziehungen—auf gegenseitigem Nutzen und konkreten Leistungen beruhen. Die Partnerschaft mit den USA kann nur aufrechterhalten werden, wenn Deutschland bereit ist, seinen Beitrag zur Sicherheit Europas zu leisten. Gleichzeitig darf es nicht davor zurückschrecken, auch strategische Partnerschaften mit Staaten einzugehen, die nicht dem westlichen Moralstandard entsprechen, aber für die nationale Interessenlage von Vorteil sind.

Das Aufeinandertreffen von Trump und Selenskyj ist eine ernste Mahnung. Die Weltordnung verschiebt sich, und in dieser neuen Realität gibt es für Staaten, die sich auf moralische Appelle verlassen, keinen Platz mehr. Deutschland muss sich entscheiden: Will es weiterhin der Statist einer von anderen gestalteten Welt sein oder wird es endlich eine Souveränitätspolitik betreiben, die sich an nationaler Interessenwahrung orientiert? Die Zeit der Illusionen ist vorbei. Wer das nicht erkennt, wird in der nächsten geopolitischen Krise endgültig an den Rand gedrängt.

Arian Aghashahi ist Geschäftsführer des Centre for Trade & Cooperation (CTC), einer Denkfabrik, die sich für eine Neuorientierung der deutschen Außenpolitik engagiert. https://ctc.vision 


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