Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Er war Pfarrer, Politikier und ein Vorkämpfer für die litauische Minderheit in Deutschland
Wilhelm Gaigalat bewohnte in Memel ein zweistöckiges Wohnhaus gleich am Anfang der Libauerstraße in der Nähe zur Altstadt. Das Gebäude, das sich in Staatsbesitz befindet, wird nun versteigert. Die Räumlichkeiten wurden früher für Verwaltungstätigkeiten genutzt, aber die ursprüngliche historische Nutzung des Gebäudes war Wohnen. Aktuell stehen die Räumlichkeiten jedoch leer. Das war einst ganz anders. Denn hier lebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts der evangelische Pfarrer Wilhelm Gaigalat. Ein Mann mit einer abwechslungsreichen und für Ostpreußen prägenden Vita.
Wilhelm Gaigalat – litauisch: Vilius Gaigalaitis – wurde am 27. September 1870 in Jokeiten im Memelgebiet geboren. Er absolvierte das Memeler Luisengymnasium erfolgreich. Während seiner Gymnasialzeit in Tilsit nahm er am aktiven politischen Leben der Preußisch-Litauer teil. Er studierte anschließend Theologie und parallel dazu Philosophie an den Universitäten Königsberg und Berlin.
In Königsberg beteiligte er sich an den Aktivitäten der wissenschaftlichen Gesellschaft „Prussia“ für alte Geschichte. Auf Drängen von Prorektor Adalbert Bezzenberger, der als Begründer der Erforschung der baltischen Sprachen gilt, studierte er die Wolfenbütteler Postille. Über diese älteste evangelische Predigtsammlung in litauischer Sprache promovierte Gaigalat am 22. Juni 1900.
Den Wahlkreis Memel-Heydekrug vertrat der ordiniere Pfarrer von Prökuls
1903 bis 1918 als preußischer Abgeordneter. Dort versuchte er, die Angelegenheiten der litauischen Minderheit in Preußen zu verteidigen. Am 2. Mai 1918 stimmte der sozialpolitisch engagierte Gaigalat zusammen mit dem Abgeordnete Wilhelm Wallbaum (1876–1933) im Preußischen Abgeordnetenhaus als einzige Angehörige der konservativen Fraktion für ein gleiches Wahlrecht anstelle des Dreiklassenwahlrechtes. Privat hat der umtriebige Akademiker eher wenig Spuren hinterlassen. Lediglich bekannt ist, dass er am 10. Oktober 1911 in Frankfurt am Main Marie Dietze geheiratet hat.
Am 16. November 1918 wurde er zum Vorsitzenden des in Tilsit gegründeten Rates der preußisch-litauischen Nation gewählt und später als Vertreter in den litauischen Staatsrat berufen. Im Jahr 1921 wurde er von der Regierung der Republik Litauen verpflichtet, zu Konsultationen mit der englischen Regierung nach London zu reisen. Als maßgeblicher Vertreter des Völkerbundgebiets Memel leitete er 1922 die litauische Delegation des Memelgebiets auf der Botschafterkonferenz, auf der über das künftige Schicksal dieser Region entschieden wurde.
Nach der Annexion des Völkerbundgebiets Memel war er von 1925–1933 Ältester der Evangelisch-Lutherischen Synode Litauens und Präsident des Konsistoriums. In den Jahren 1905–1939 leitete er die Wohltätigkeits- und Kulturgesellschaft „Sandora“ im Memelgebiet, in der er eine große Bibliothek mit 7500 Büchern anhäufte. Gaigalat war einer der Initiatoren der Gründung eines litauischen Gymnasiums in Memel und dessen erster Direktor (1922–1924).
1922 gründete er das „Aukuros“, 1924 das Museum der Region und der Stadt Memel und 1926 die Schulvereine der Region Memel, die die Stellung der litauischen Kultur in der Region Klaipėda wesentlich stärkten. Zusammen mit anderen überzeugte er den Seimas der Republik Litauen, eine Fakultät für evangelische Theologie an der Universität Kaunas einzurichten. Dort leitete er die Abteilung für Bibelexegese, vom 1. September 1927 bis zum 1. September 1928 war er schließlich Leiter der Fakultät. Gaigalat hat 25 Bücher geschrieben und veröffentlicht, 19 auf Litauisch, fünf auf Deutsch und eins auf Französisch.
Kämper für die Eigenart des Memelgebiets in Deutschland
Wilhelm Gaigalat gehört zu den bedeutenden und schillernden historischen Persönlichkeiten des ehemaligen Memelgebietes. Dennoch war er umstritten. Er wurde sowohl von Litauern als auch von Deutschen hart kritisiert. Nach der Rückgabe des Memelgebiets ins Deutsche Reich 1939 zog er ins benachbarte Krottingen in Litauen. Nachdem Litauen 1940 von der Sowjetunion besetzt worden war, emigrierte er nach Deutschland, wo er am 30. November 1945 in Bretten schließlich gestorben ist.
Die deutsche Staatsangehörigkeit hatte Gaigalat von den NS-Behörden nicht wiederbekommen. Sein Nachlass, der zwischenzeitlich in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gekommen war, wurde zum Teil 2022 in die öffentliche Bibliothek des Kreises Memel Ievos Simonaitytė überführt. Auch seine sterblichen Überreste und die seiner Frau Maria wurden am 26. März 1994 nach Litauen überführt und auf dem Elniškės-Friedhof in der Nähe von Prökuls endgültig beigesetzt.