12.03.2025

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Krise statt Politikwechsel? Die Verhandlungspartner der neuen schwarz-roten Koalition
Bild: picture alliance / dts-Agentur WikimediaKrise statt Politikwechsel? Die Verhandlungspartner der neuen schwarz-roten Koalition

Regierungsbildung

Schwarz-rotes Weiter-so statt versprochenen Politikwechsels

Noch vor der Neuauflage ihrer einst großen Koalition zeichnet sich ab, dass Union und SPD das Land nicht zu einem Aufschwung, sondern in die Krise führen

Werner J. Patzelt
12.03.2025

Nüchtern denkenden Politikbeobachtern war schon seit Wochen klar: Die Union würde als schwach-stärkste Partei die Bundestagswahl gewinnen – und anschließend in eine Krise geraten. Ihre strategischen Fehlentscheidungen des letzten Jahrzehnts würden nämlich die CDU umso unausweichlicher einholen, seit ihr Parteivorsitzender Friedrich Merz zu erkennen gab: Ja, einen Politikwechsel wolle er schon – doch die Mehrheiten, welcher dieser bedarf, wolle er sich nicht dort beschaffen, wo es sie gäbe, sondern nur da, wo sie keinen Anstoß erregten. Nur mit den Sozialdemokraten oder den Grünen wolle er nämlich regieren, also jenen Parteien, im Zusammenwirken mit denen die Union einst – unter freilich breitem Beifall – genau jene Probleme geschaffen hat, die sie nun mit einer Politikwende zu lösen verspricht.

Selbst als Merz Ende Januar für seinen Migrations-Antrag ein einziges Mal jene Bundestagsmehrheit für genau den Politikwechsel erhielt, ohne welchen er politisch scheitern wird, beklagte er lauthals, das wäre gar nicht die von ihm wirklich gewünschte Mehrheit. Im Grunde wolle er mit einem guten Wahlergebnis nur die Sozis und die Grünen soweit beeindrucken, dass die Union mit ihnen gemeinsam von alten Politikvorhaben abrücken könne. Doch weiterhin solle einer Wählerschaft von mitte-rechts eine Mitte-links-Regierung beschert werden, nur eben mit Nach-Merkel-Handschrift.

Eingeklemmte Union
Hätte es die Union auf 38,5 statt nur 28,5 Prozent der Stimmen geschafft, so hätte dieser Plan vielleicht aufgehen können. Dann hätten sich womöglich auch die Unterstützertruppen von SPD oder Grünen in Medien und Zivilgesellschaft auf eine Erbin der Ampel-Regierung eingelassen, die mehr Realismus wagt. Doch nicht grundlos kam es anders. Seit am Wahlabend klar war, Merz werde nur mit der SPD koalieren können oder dürfen, war die sozialdemokratische Erpressungsmacht ins nachgerade Unermessliche gestiegen. Und weil die Union deshalb auch der – im Wahlkampf ausdrücklich abgelehnten – weiteren Schuldenmacherei rasch zustimmte, kam grüne Erpressungsmacht noch hinzu: Es lassen sich die finanziellen Betriebsmittel für Merzens selbstersehnte Regierung ohne eine Grundgesetzänderung nämlich nicht auftreiben. Für die aber braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, welche die aufs Westentaschenformat geschrumpfte, also längst nicht mehr „große“, schwarz-rote Koalition nicht länger zustande bringt.

Also begann die Union zu barmen, ob die Grünen vielleicht doch noch, politisch bestochen durch mancherlei Zugeständnisse, einen SPD-gefälligen Bruch wichtiger CDU-Wahlversprechen ermöglichen wollten. Als ob das zur Demütigung der Union nicht ausreichte, erklingt aus der SPD-Fraktion täglich neue Häme über eine Union, die sich nun in ihrer ganzen Hilflosigkeit zur Schau stellen lässt.

Obendrein müssen sich CDU und CSU die Frage verbieten, ob denn nicht Schindluder mit parlamentarischer Demokratie treibt, wer um bequemerer Mehrheitsbildung willen das Grundgesetz mit einem Bundestag ändert, der schon in wenigen Tagen kein Mandat mehr haben wird, doch dem neuen Bundestag in seinem – nächst der Kanzlerwahl – vornehmsten Recht, drastisch vorgreift, nämlich im Haushaltsrecht. Und was für ein politisches Kunststück gelang dadurch, dass dagegen nun Linke und AfD gemeinsam vor dem Bundesverfassungsgericht vorgehen!

Vertrauen verspielt
Wie peinlich erst recht, dass man als Bürger gar nicht mehr weiß, ob man über ein verfassungsgerichtliches Verbot einer Neueinberufung des alten Bundestages stärker bestürzt sein sollte, also über den stärkstmöglichen Tadel an demokratieschädigenden Elitenmachenschaften, als darüber erfreut, dass vielleicht doch kein regierungsbekiffendes Schuldenpaket zustande kommt. Hübsch schadenfroh ist obendrein die Empfehlung der Grünen, die Union möge das Ende einer wirklichen Schuldenbremse doch auch gemeinsam mit der Linken versuchen. So als ob es da gar keine Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Union gäbe ...

Und also gerät die Union nun in eine Krise. Wer traut ihr noch eine gewisse Ernsthaftigkeit ihrer Wahlversprechen zur Politikwende zu? Wen empört nicht ihre Torheit, solche Versprechen zwar zu machen, doch alle Vorarbeiten zur erforderlichen Mehrheitsbildung zu unterlassen? Zwar war Merzens Satz richtig, es werde richtige Politik nicht dadurch falsch, dass ihr die Falschen zustimmten. Doch der vermeintliche Merkel-Bezwinger raffte sich durchaus nicht zur strategischen Entscheidung auf, die mit der Union zusammenpassenden programmatischen Positionen der AfD zur Kenntnis zu nehmen oder gar jenen AfD-Politikern umsichtig politische Brücken zu bauen, die lieber mit der Union mühsame Regierungsarbeit verrichten wollen als Deutschlands Niedergang hilflos zusehen zu müssen.

Zwar könnte noch das Pfingstwunder geschehen, dass Union und SPD eben doch eine unser Land sanierende Reformpolitik betreiben. Wahrscheinlicher ist, dass die Union noch mehr an ihrer Programmatik aufgibt, um sich die Heirat mit der SPD zu erkaufen. Dann aber wird der Kanzler Merz kaum länger durchhalten als der Kanzler Scholz. Neuwahlen nützen dann der AfD. Oder es kommt, wie vom Grundgesetz ermöglicht, zu einer Minderheitsregierung der Union. Die aber müsste dann die für Staatsreformen nötigen Mehrheiten fallweise aushandeln, und zwar auch mit der AfD. Oder der Bundespräsident löst im Frühsommer lieber den Bundestag auf, als dass er dieses politische Experiment zulässt. Dann wird im kommenden Herbst die Union auch auf Bundesebene – wie bereits im Osten – zwischen AfD und Linksgrün aufgerieben werden. Ob sich Merz wohl bald zum mutigen Gestalten entscheidet, statt weiterhin die Dinge medienverängstigt treiben zu lassen?  

• Prof. Dr. Werner J. Patzelt war von 1991 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden und ist derzeit Forschungsdirektor des Mathias Corvinus Collegiums in Brüssel. Zu seinen Werken gehören „CDU, AfD und noch mehr politische Torheiten. Neue Analysen, Interviews und Kommentare 2019–2024“ (Weltbuch 2024) sowie „Ungarn verstehen“ (Langen Müller 2023).www.wjpatzelt.de


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