30.06.2025

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Rote Armee Fraktion

Der Prozess gegen die Spitze der „ersten Generation“

Vor einem halben Jahrhundert begann in Stammheim der Strafprozess gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe

Wolfgang Kaufmann
16.05.2025

Die bundesdeutsche Justiz macht neuerdings verstärkt durch bedenkliche Vorgehensweisen und Urteile auf sich aufmerksam. Allerdings gab es auch schon in der Vergangenheit Fälle beziehungsweise Prozesse, die auf Kritik stießen. Hierzu zählt nicht zuletzt das Mammut-Verfahren gegen die Anführer der ersten Generation der linksterroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim, das vor einem halben Jahrhundert, am 21. Mai 1975, begann. Die Angeklagten mussten sich wegen vierfachen Mordes und 54 Mordversuchen im Rahmen von sechs Sprengstoffanschlägen und weiterer Delikte verantworten.

Dabei wurde ihre Situation durch etliche, mit Blick auf das Verfahren erlassene neue Sondergesetze erschwert. So gab es nun die Möglichkeit, einen Prozess auch in Abwesenheit der Angeklagten durchzuführen, wenn diese ihre Verhandlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt hatten. Das galt für die vier RAF-Mitglieder, die 145 Tage im Hungerstreik standen, um gegen ihre verschärften Haftbedingungen zu protestieren. An den Folgen dieses Streiks starb der fünfte Angeklagte, Holger Meins, noch vor Prozessbeginn im Gefängnis.

Ein eigenes Terrorismusstrafrecht
Allerdings stellten vom Gericht selbst beauftragte Gutachter fest, dass die körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen der restlichen Angeklagten auch aus der langen, durch Isolation geprägten Untersuchungshaft seit Juni 1972 resultierten. Deshalb empfahlen sie, die Haftbedingungen zu lockern und die tägliche Verhandlungszeit auf drei Stunden zu begrenzen. Das lehnte das Gericht aber ab.

Des Weiteren wurde die Zahl der Wahlverteidiger auf drei beschränkt, und jeder Anwalt durfte nur noch einen Angeklagten vertreten. Außerdem konnten die Richter nun Verteidiger von der Verhandlung ausschließen. Davon betroffen waren die drei Anwälte Baaders, weil diese die Taten ihres Mandanten angeblich gebilligt hatten. Gegen ihren erklärten Willen erhielten die RAF-Mitglieder jeweils zwei Pflichtverteidiger zugeteilt. Das Anti-Terror-Gesetz vom 18. August 1976 legalisierte zudem die Überwachung des Schriftverkehrs zwischen den Angeklagten und deren Rechtsbeiständen.

Doch damit nicht genug. Am 17. März 1977 mussten die baden-württembergischen Minister für Justiz und für Inneres, Traugott Bender und Karl Schiess (beide CDU), öffentlich eingestehen, dass die Behörden vertrauliche Gespräche zwischen den vier RAF-Mitgliedern und ihren Anwälten in rechtswidriger Weise abgehört hatten. Die Genehmigung hierzu war vom Chef des Bundeskanzleramtes, Manfred Schüler (SPD), gekommen. Das wurde mit einem „übergesetzlichen Notstand“ begründet.

In Reaktion hierauf beantragten sowohl die Wahl- als auch die Pflichtverteidiger eine Einstellung des Verfahrens wegen gravierender Verstöße gegen elementare Rechtsgrundsätze. Der Prozess ging aber ungeachtet dessen weiter.

Deswegen boykottierten alle Wahlverteidiger und Ensslins Pflichtverteidiger Manfred Künzel die Verhandlungen. Ensslins Vertrauensanwalt Otto Schily erklärte dazu: „Was hier stattfindet ..., das kann man nicht anders benennen als die systematische Zerstörung aller rechtsstaatlichen Garantien ... Die Verteidigung kann es unter keinen Umständen verantworten, ... auch nur eine Minute länger in dem Verfahren mitzuwirken, um hier noch vielleicht als eine Art Alibi aufzutreten, dass es noch so etwas gebe wie eine Verteidigung.“

Ebenso kritisierten die Anwälte die öffentliche Vorverurteilung der Angeklagten, die gezielt auf den Stammheim-Prozess zugeschnittenen restriktiven Gesetzesänderungen sowie allerlei rechtswidrige „Beweisvereitelungsmethoden“, für die insbesondere der Vorsitzende Richter Theodor Prinzing verantwortlich zeichne. Und tatsächlich musste dieser am 147. Verhandlungstag durch Eberhard Foth ersetzt werden, weil er seine Befangenheit nicht länger verbergen konnte.

Gigantische Ausmaße
Am Ende des Prozesses hielten die Pflichtverteidiger, die nie persönlich mit den Angeklagten gesprochen hatten, die Plädoyers, die teilweise nur drei Minuten dauerten. Währenddessen blieben die Vertrauensanwälte der RAF-Mitglieder dem Verfahren weiterhin aus Protest fern. Naheliegenderweise legten Letztere sofort Revision ein, als das Gericht Baader, Ensslin und Raspe am 28. April 1977 zu jeweils lebenslanger Haft verurteilte.

Meinhof war zu diesem Zeitpunkt schon fast ein Jahr tot. Die Wärter hatten sie am 8. Mai 1976 erhängt aufgefunden. Die anschließende Spurensicherung erfolgte ohne ihre Anwälte. Da auch die übrigen drei RAF-Mitglieder in der sogenannten Todesnacht von Stammheim vom 17. zum 18. Oktober 1977 unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen starben – offiziell handelte es sich wiederum um Suizid –, wurde das Urteil gegen Baader, Ensslin und Raspe am Ende weder überprüft noch rechtskräftig.

Der Stammheim-Prozess gehört zu den aufwendigsten und längsten Verfahren in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Er dauerte 192 Tage. Die Anklageschrift umfasste 354 Seiten, das Konvolut der übrigen Prozessakten 50.000 Seiten. 997 Zeugen und 80 Sachverständigen wurden angehört.

Die im Umfeld des Verfahrens erlassenen Gesetze führten zur Begründung des deutschen Terrorismusstrafrechtes, dessen Anwendung sogleich durch Übergriffe der Behörden gekennzeichnet war, die eines Rechtsstaates unwürdig sind. Das gilt nun analog für die problematischen Untersuchungshaftbedingungen, denen heute mutmaßliche Rechtsterroristen wie die Mitglieder der Reichsbürger-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß ausgesetzt sind.

Der problematische Verlauf des Stammheim-Prozesses war ganz zweifellos dafür mitverantwortlich, dass sich die RAF und deren Unterstützer in der linken Szene weiter radikalisierten, worauf der Staat seinerseits mit zusätzlichen Repressionen wie dem Kontaktsperregesetz vom 2. Oktober 1977 reagierte, das es seither ermöglicht, Gespräche zwischen Inhaftierten und ihren Anwälten zu unterbinden.


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