28.06.2025

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Alles im Blick: Eine Bildtafel erklärt, dass genau von hier Paul Müller-Kaempff seinen „Blick auf Ahrenshoop“ malte
Bild: LädtkeAlles im Blick: Eine Bildtafel erklärt, dass genau von hier Paul Müller-Kaempff seinen „Blick auf Ahrenshoop“ malte

Pommern

Die Insel der Dichter und Maler

Auf Fischland-Darß-Zingst haben sich so manche Kolonien von Künstlern, Kranichen und Sommerfrischlern angesiedelt

Manfred Lädtke
28.06.2025

Fischland-Darß-Zingst: Der Name klingt, als hätten übermütige Stürme ein paar Buchstaben durcheinandergewirbelt. Auf einer Landkarte zeigt der Mann vom Fahrradverleih auf das krumme Küstenvorland, das wie eine Sichel in der deutschen Ostsee liegt. „Unsere Schatzkammer zwischen Mecklenburger Bucht und Vorpommern.“ Helle Steilufer und Dünen in Fischland, urwüchsige Küstenwälder auf dem Darß, pulverweiche breite Strände und schilfgesäumte Boddenlandschaften in Zingst. 650 Jahre mussten sich Sturm und Meer ins Zeug legen, bis die drei Landpartien zu einer 45 Kilometer langen Halbinsel zusammengewachsen waren. Dann erzählt der Radler von dramatischen Himmelsspiegelungen, von trompetenden Kranichen und vom Rohrdachidyll windumwehter Landhäuser in der Künstlerkolonie Ahrenshoop. „Schöner geht's nicht, oder?“ Mal sehen.

Ganz gleich, ob Sommerfrischler im Auto auf schattigen Alleestraßen fahren oder dem Küstenradweg folgen – immer wechselt die Aussicht auf das Meer und die flachen Boddengewässer. Ein im wahrsten Wortsinn malerisches Fleckchen Erde ist das Künstlerzentrum Ahrenshoop. Nahe der Dorfstraße steht ein blaugetünchter Kunstkaten. 120 Jahre ist es her, seit der Freilichtmaler Paul Müller-Kaempff (1861–1941) Künstlerkollegen aus den Städten in das weltabgelegene pommersche Dorf der Bauern und Seefahrer folgte und das Atelierhaus als Zentrum für die junge Künstlerkolonie baute. Licht und Schatten der Jahreszeiten, die Atmosphäre der Einsamkeit und die Melancholie der Landschaft waren der inspirierende Stoff, aus dem damals farbenfrohe Bilder entstanden.

Jahrzehnte später, als Ahrenshoop längst auch Sehnsuchtsort für Schauspieler, Musiker, Politiker und reiche Kaufleute war, soll Müller-Kaempff genervt, aber gut situiert erklärt haben: „Ich habe kein großes Interesse daran, ob man mir ein Bild abkauft oder nicht.“ Seine Kollegen sahen das freilich anders und arbeiteten weiter am opulenten Fundus oft menschenleerer von Sturm, Wasser und Sand gezeichneten Gemälden.

Wer nun der bilderreichen Kunstgeschichte des Ostseebades vor der Tür des Kunstkatens auf die Spur kommen will, steigt vorzugsweise auf ein E-Bike. Am Strand zwischen Meer und kunterbunten Villen führt ein hügeliger Pfad zu zehn Tafel-Stationen mit Werken von Malern. Die Gemälde sind jeweils platziert, wo die Entstehung der Originale vermutet wird, und gestatten Ansichten, Interpretationen und emotionale Wahrnehmungen aus der Perspektive der Maler. „Blick auf Ahrenshoop von Müller-Kaempff“, liest eine junge Frau und deutet auf ein Haus hinter einer Düne. Die Aussicht vom Steilufer auf das Haus und das Meer hat sich seit 110 Jahren kaum verändert.

Zum rotglühenden Sonnenuntergang am ursprünglichsten Küstenstrich der Ostsee führt ein sechs Kilometer langer Radweg von Ahrenshoop bis ins Grün des Darß-Waldes hinein. Das Tschilpen, Trällern und Tirilieren Tausender Vögel verwandelt den Wald in einen Konzertsaal, bleibt allerdings nur Frühaufstehern vorbehalten. Kommt der Frühling ins Land, treten die gefiederten Meistersinger in Hochform auf – ob deren Liebeslieder bei den Weibchen ankommen?

Fast 40 Wanderwege kreuzen das 5500 Hektar „lütte“ Idyll, das einst Seeräubern wie Klaus Störtebeker Unterschlupf bot. Sonnenstrahlen blinzeln durch das rauschende Blätterdach uralter knorriger Rotbuchen und Fichten. Daneben schweigen nasse geheimnisvolle Erlenbruchwälder.

Hinter einer Lichtung öffnet sich der sonnenwarme Weststrand, das Goldstück des Darß. Kiefern kommt ihr Platz in der ersten Strandreihe meist teuer zu stehen. Mit ihren tiefen dem Meer abgewandten Baumkronen scheinen die bizarren „Windflüchter“ vor den Stürmen fliehen zu wollen. Im Sommer tummeln sich Badende in der schläfrigen See.

Vorsicht! Adler im Anflug
Durch den Sandkasten am Urwald wandern einige sommerlich gekleidete Spaziergänger und lauschen dem Donnern und Grollen der entfesselten Wellen. Welch grandiose Aussicht! 134 Stufen führen hinauf auf die Plattform des Leuchtturms am Darßer Ort. Der Blick reicht hinüber bis ins benachbarte Ostseebad Zingst und über die bereits 100 Meter vor dem Turm lauernde See. Rund 1,30 Meter Land schluckt das gefräßige Wasser jedes Jahr.

Ein paar Pedalschläge weiter versteckt sich am Ostzipfel von Zingst Mitteleuropas größter Rastplatz für jährlich rund 60.000 Kraniche. Wie aus dem Nichts tauchen die Zugvögel plötzlich in großen keilförmigen Formationen am roten Abendhimmel auf. Mit trompetenähnlichen Rufen landen sie auf ihren Schlafplätzen in flachen Wassern.

Im Herbst brechen die Kraniche genauso geräuschvoll bei Sonnenaufgang wieder auf, um sich auf Feldern für den weiten Flug ins südliche Winterquartier die Bäuche vollzuschlagen. Im Frühling kann man sie an den Uferzonen manchmal sogar bei einem flotten Tänzchen beobachten. Die sangesfreudigen Vögel tanzen nicht nur bei der Balz, sondern auch aus purem Vergnügen.

Im Landesinneren, nur eine halbe Autostunde von der Ostsee entfernt, befindet sich im Recknitztal eine andere bunte Vogelwelt. Krickenten, Kängurus, Adler, Emus und Störche sind die Stars im Vogelpark Marlow. Im Pfahlbaumhaus „Storchennest“ schleppt eine Familie ihr Gepäck die steile Holztreppe hinauf. Auf der Wiese unter der Terrasse der rustikalen Unterkunft tummeln sich mehr als zwei Dutzend Weißstörche, die als verletzte flugunfähige Pfleglinge hier ein Zuhause haben.

Vorbei an Humboldt-Pinguinen und handzahmen Kängurus liegt am Ende der weitläufigen Anlage der Flugplatz für Adler, Falke & Co. Vorsicht, Kopf einziehen! Auf einem Hügel bereiten Tiertrainer gerade die nächste Showeinlage vor. Adler lauern auf ausgestreckten Armen sitzend auf Beute, die sie sich im Sturzflug über klickende Kameras als Lohn für ihren luftigen Auftritt auf einer Anhöhe vis-à-vis greifen.

Mystisch und auch nach 900 Jahren historisch nicht greifbar sind Geschichten über das sagenhafte wegen Habgier und Hochmut seiner Bewohner vom Meer verschlungene Vineta. Historiker haben es zuletzt im Hafenstädtchen Barth verortet. Und so führt ein Ausflug in die alte Handelsstadt nicht nur in eine der romantischsten kleinen Hafenorte der Ostsee, sondern auch in eine mit Seemannsgarn gewickelte für den Tourismus einträgliche Sagenwelt.

Klar, auch andere Städte Pommerns bringen sich als Heimat von „Vineta“ in Stellung. Kaum aber hatten sich die Chronisten auf Barth eingenordet, nutzte der Bürgermeister die Gunst der Stunde, sicherte „Vineta“ als Markennamen und ließ den Wind fortan werbewirksam aus seinem Städtchen wehen. Im örtlichen Vineta-Museum hat der Mythos nun seine bildreiche Heimat gefunden.

Am Hafenufer von Barth schaut ein Ehepaar den Wolken nach. Einen halben Tag lang waren die Literaturfreunde Spuren von Martha Müller-Grählert (1876–1936) gefolgt, die hier ihr berühmtes Lied „Mine Heimat“ dichtete, das – fälschlicherweise auch als norddeutsches Friesenlied – in zahlreichen Adaptionen die Welt eroberte. In der Hoffnung, die versunkene Stadt zu sehen, wirft das Paar einige Münzen ins Meer. Nichts passiert. Wie denn auch? Laut Sage soll das Geld ja an einem Ostermorgen und nur bei Glockengeläut ins Wasser fallen. Sehr wahrscheinlich aber taucht Vineta auch in Zukunft nur als episches Element auf. In Büchern wie von Heinrich Heine, Ferdinand Freiligrath oder Günter Grass.


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