22.06.2025

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Wenn schon nicht an anderen Tagen, so sollte doch zumindest am 20. Juni der Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht werden: Ostpreußen flüchten vor der mordenden Roten Armee
Bild: picture-alliance/akg-images|akg-imagesWenn schon nicht an anderen Tagen, so sollte doch zumindest am 20. Juni der Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht werden: Ostpreußen flüchten vor der mordenden Roten Armee

Zeitgeschichte

„Die Vertreibung war eine ethnische Säuberung“

Von zehn Jahren wurde erstmals der „Weltflüchtlingstag“ in Deutschland als „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ begangen

Wolfgang Reith
22.06.2025

Vertreibung ist Unrecht“ hörte man international, als die Serben 1998/99 mit „ethnischen Säuberungen“ gegen die Albaner im Kosovo vorgingen. Für den Westen war dies ebenso ein Grund, in den Konflikt einzugreifen wie schon im Bosnien-Krieg (1992–1995), in dessen Verlauf erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg und den Nachkriegsjahren wieder Vertreibungen in Europa stattfanden. Für die Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach (damals CDU), zugleich Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), und Peter Glotz (SPD) erwuchs aus diesen Ereignissen im Jahr 2000 der Gedanke, in Deutschland ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ zu planen, dessen Errichtung dann nach der Bundestagswahl 2005 im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbart wurde.

Doch schon bald meldeten sich jene Kräfte zu Wort, welche die deutschen Opfer der Vertreibung mit dem Hinweis auf die deutsche Kriegsschuld sowie den Vernichtungskrieg im Osten zu relativieren versuchten. So heißt es im Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ (DHMG) aus dem Jahre 2008 zur Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV): „Zweck der unselbständigen Stiftung ist es, im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzuhalten.“ Damit zeichnete sich ab, dass die Vertreibung der Deutschen aus großen Teilen Mittel- und Osteuropas 1945 und danach in einem anderen Lichte betrachtet werden sollte als die übrigen Vertreibungen des 20. Jahrhunderts.

Doch während deutsche Politiker und Historiker den Begriff der Vertreibung oft vermieden und das an Deutschen begangene Unrecht schlichtweg als „Aus- oder Umsiedlungen“ herabwürdigten, womit sie die kommunistische Diktion der Geschehnisse übernahmen, gab es im westlichen und nach den politischen Umwälzungen der Jahre 1989/90 auch im östlichen Ausland zahlreiche Wissenschaftler, welche die Verbrechen der Vertreibung beim Namen nannten und damit unendlich viel mehr zur Aufklärung beigetragen haben als deutsche Osteuropa-Historiker.

Stellvertretend hierfür stehen das Buch „Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen“ des US-Amerikaners Alfred M. de Zayas, das schon 1977 in London erschien, die Forschungsergebnisse des polnischen Historikers Bogdan Musial sowie das Werk „,Ordnungsgemäße Überführung' Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“ des irischen Autors R.M. Douglas. Letzterer Autor bezieht sich in seinem Buchtitel auf das Potsdamer Abkommen von 1945, in dem die Westmächte die bereits begonnene Vertreibung der Deutschen im Osten praktisch billigten und lediglich darauf bestanden, die „Überführung in geordneter und humaner Weise“ zu vollziehen.

Relativierung in der Bundesrepublik
Schon auf der Konferenz von Teheran 1943 war beschlossen worden, nach Kriegsende die deutsche Bevölkerung Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei nach Deutschland zu „überführen“. Von einer Ausweisung der Deutschen aus den 1945 unter polnische und sowjetische Verwaltung gestellten Ostgebieten des Deutschen Reiches war hingegen nicht die Rede gewesen. Gleichwohl geschah genau dies nach dem Ende der Kampfhandlungen. Und die mit den Tatsachen konfrontierten Staaten USA und Großbritannien haben in Potsdam die willkürlichen und ungeregelten Vertreibungen lediglich als angeblich unabdingbar zur Kenntnis genommen. Sie verzichteten auf jede Einwirkung gegenüber dem sowjetischen Diktator Josef Stalin.

Dabei zeichnete sich die Entwicklung frühzeitig ab. Jan Karski, Mitarbeiter der polnischen Exilregierung in London und Kurier zur im Untergrund agierenden Heimatarmee im besetzten Polen, äußerte 1943 im Gespräch mit US-Präsident Franklin D. Roosevelt, niemand werde die Polen nach dem Krieg daran hindern, „an den Deutschen Rache zu nehmen ... Es wird zum offenen Terror kommen ... Und das wird für die Deutschen in Polen eine Art Aufforderung sein, nach Westen zu ziehen.“

Im Juli 1944 vereinbarte Moskau mit dem sowjetfreundlichen Lubliner Komitee einseitig die Festlegung der Oder-Neiße-Grenze, was lediglich halbherzige Einsprüche der Westmächte zur Folge hatte. Somit willigten Letztere grundsätzlich in die spätere Vertreibung ein. Dass die ostdeutschen Gebiete annektiert wurden und der dortigen deutschen Bevölkerung, jene demokratischen Rechte, welche die Atlantikcharta vorsah, vorenthalten wurden, geschah gleichermaßen unter stillschweigendem Zusehen der westlichen Alliierten. Und so wurden denn Unrecht mit Unrecht und Verbrechen mit Verbrechen gesühnt.

Im Gegensatz dazu war bei allen Konferenzen der Kriegsallianz immer wieder betont worden, dass die endgültige Grenze zwischen Deutschland und Polen erst in einem späteren Friedensvertrag festgesetzt werden sollte. Dennoch redete der britische Premierminister Winston Churchill schon in Teheran von einer „Kompensation für Polen“, und zwar in Form einer Westverschiebung des Staatsgebietes als politisches Zugeständnis der Westmächte an die Sowjetunion, welche die Anerkennung der sogenannten Curzon-Linie als polnische Ostgrenze forderte, was einer Wiederherstellung der polnisch-sowjetischen Grenze vor dem Polnisch-Sowjetischen Krieg bedeutete.

Wenn der letzte tschechoslowakische und erste tschechische Staatspräsident Václav Havel später sagte, für die Ausweisung der Deutschen aus Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei sowie den deutschen Ostgebieten habe allein Stalin verantwortlich gezeichnet, so ist das nur die halbe Wahrheit, denn die Westalliierten kapitulierten letztendlich nicht nur vor der Sowjetunion, sondern in der Folge auch vor den mit dieser verbündeten übrigen Vertreiberstaaten, da jegliches Bemühen von westlicher Seite zur Minimierung und „völkerrechtlich korrekten Abwicklung eines Bevölkerungstransfers“ Makulatur blieb. Churchill erklärte in einer Rede vor dem Unterhaus am 15. Dezember 1944 sogar, die Vertreibung sei „das befriedigendste und dauerhafteste Mittel ... Reiner Tisch wird gemacht werden.“

Lob von Winston Churchill
Dabei gab es gerade in Großbritannien immer wieder warnende Stimmen. Am 19. Oktober 1945 schrieb Bertrand Russel in der „Times“: „In Osteuropa werden jetzt von unseren Verbündeten Massendeportationen in einem unerhörten Ausmaß durchgeführt, und man hat offensichtlich die Absicht, viele Millionen Deutsche auszulöschen, nicht durch Gas, sondern dadurch, dass man ihnen ihr Zuhause und ihre Nahrung nimmt und sie einem langen schmerzhaften Hungertod ausliefert.“
Und der britisch-jüdische Autor, Verleger und Sozialist Victor Gollancz, der nach dem Krieg private Hilfslieferungen für notleidende Deutsche organisierte, stellte in seinem 1946 in London erschienenen Buch „Our Threatened Values“, das im Folgejahr in Zürich mit dem Titel „Unser bedrohtes Erbe“ auf Deutsch erschienen, fest: „Sofern das Gewissen der Menschheit jemals wieder empfindlich werden sollte, wird diese Vertreibung als die unsterbliche Schande all derer im Gedächtnis bleiben, die sie veranlasst oder die sich damit abgefunden haben. Die Deutschen wurden vertrieben, aber nicht einfach mit einem Mangel an übertriebener Rücksichtnahme, sondern mit dem denkbar höchsten Maß an Brutalität.“

In den Nürnberger Prozessen aber wurden ausgerechnet Massendeportationen als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt, während zur selben Zeit die Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer Heimat erfolgte – auf Beschluss oder zumindest mit Billigung derselben Mächte, deren Ankläger und Richter in Nürnberg über nationalsozialistische Kriegsverbrechen befanden – unter anderem über Massendeportationen.

In Deutschland wird bis heute noch immer darüber gestritten, wie man mit der Thematik umgehen soll. Politiker, Wissenschaftler und Journalisten des linken Spektrums sind der Ansicht, eine Rede oder auch eine Fernsehsendung zu den Opfern der Vertreibung dürfe nicht einfach die menschliche Regung der Empathie in den Mittelpunkt stellen, wenn nicht zugleich gesagt werde, woher der Krieg komme. Fehle dieses in Deutschland zum Ritual gewordene Schuldbekenntnis nämlich, müsse das als Verdrängung und „Entschuldung der Deutschen“, ja geradezu als „revisionistischer Skandal“ angeprangert werden. Und so kommt es denn, dass zwar jedes Jahr in Deutschland öffentlich auch der Toten von Hiroshima und Nagasaki gedacht wird, man zum Nachkriegsschicksal der deutschen Bevölkerung im Osten des eigenen Landes sowie im mittel- und osteuropäischen Ausland jedoch weitgehend schweigt, obwohl die Zahl von weit mehr als zwei Millionen der bei der Vertreibung Umgekommenen wesentlich höher zu beziffern ist als die der japanischen Atombombenopfer. Zu Recht hat nicht zuletzt der 2005 verstorbene Glotz kurz und prägnant geurteilt: „Die Vertreibung war eine gegen das Völkerrecht – auch das damalige – verstoßende ethnische Säuberung.“ Dieser Aussage, die an Deutlichkeit kaum etwas vermissen lässt, ist eigentlich nichts weiter hinzuzufügen.


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