Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Als Reisender, Gelehrter und moderner Festungsbaumeister setzte Christian Otter neue Maßstäbe der Kompetenz
Manche Menschen finden praktisch nie Ruhe, sondern ziehen unablässig umher und wechseln dabei ihre Tätigkeiten, wodurch sie auch ständig neue Bekanntschaften machen. Ein typischer Vertreter dieser umtriebigen Spezies während der Frühen Neuzeit war Christian Otter, der 1598 als Sohn eines aus Franken stammenden Amtmanns im ostpreußischen Ragnit zur Welt kam. Er begann bereits mit zwölf Jahren an der Universität von Königsberg zu studieren und bereiste dann ab 1619 nahezu ganz Europa. Stationen seines Weges waren unter anderem Den Haag, Utrecht und Amsterdam in den Niederlanden, London, Oxford und Cambridge in England, Löwen in Flandern, Bordeaux, Orléans, Paris und Marseille in Frankreich, Genf, Basel und Bern in der Schweiz, Siena, Rom, Mailand und Venedig in Italien, Kopenhagen in Dänemark sowie auch Hamburg, Eutin, Warschau, Danzig und Elbing, um nur einige wenige seiner Stationen zu nennen. Außerdem studierte oder lehrte Otter an den Universitäten von Franeker, Leiden, Straßburg, Utrecht und Nijmegen Fächer wie Mathematik, Militäringenieurswesen, Astronomie, Theologie, Physik, Musiktheorie und Akustik.
Ein echter Alleskönner
Bei seiner ausgedehnten Rundtour traf der gebürtige Ostpreuße mit zahlreichen Herrscherpersönlichkeiten der damaligen Zeit zusammen. Dazu zählten unter anderem der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Statthalter der Niederlande Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien, aber auch der Erzbischof vom Bremen Friedrich II., später als Frederik III. König von Dänemark und Norwegen, sowie dessen Vater und Thronvorgänger Christian IV. Ebenso lernte Otter etliche prominente Wissenschaftler kennen. Darunter waren der Begründer des Völkerrechts Hugo Grotius und der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes, der sein Gegenüber als „äußerst erfindungsreichen und gelehrten Beflissenen der Mathematik“ charakterisierte.
Besonders wichtig für den Lebensweg des unsteten Multitalents waren zudem die Kontakte zu drei bekannten Festungsbaumeistern, nämlich François de Treytorrens aus Frankreich, Matthias Dögen aus Brandenburg und Friedrich Getkant alias Bridžius Gedkantas, der wie Otter ebenso aus dem ostpreußischen Ragnit stammte. Diese Personen motivierten Otter dazu, ebenfalls Aufträge auf dem Gebiet der Konzeption und Errichtung von Befestigungswerken sowie Burganlagen anzunehmen.
Moderner Baumeister
So fungierte Otter von 1647 bis 1658 für ein Jahresgehalt von 1000 Reichstalern als Hofmathematikus des Herzogs in Preußen und Kurfürsten von Brandenburg Friedrich Wilhelm. In dieser Eigenschaft entwarf er unter anderem die Festung Groß Friedrichsburg, eine Zitadelle am Pregel vor den Toren von Königsberg, deren Bau in Reaktion auf die Rebellion der Königsberger Stände gegen Friedrich Wilhelm erfolgte. Otter führte dabei die von Adam Freitag begründete innovative „holländische Art“ des Festungsbaus in Preußen ein. Diese lief darauf hinaus, die Stützpunkte unter konsequenter Ausnutzung der topographischen Gegebenheiten vor Ort zu errichten und dabei ein ausgeklügeltes System von Erdwällen und Wassergräben zu schaffen, das teure Befestigungen aus Mauerwerk überflüssig machte. Er baute quasi „umweltfreundlich“ mit der Natur und nicht in die Natur hinein.
Der von Otter entwickelte Grundriss von Groß Friedrichsburg diente dann auch als Vorbild für das zwischen 1683 und 1686 von Karl Konstantin von Schnitter errichtete Fort Groß Friedrichsburg in der kurbrandenburgischen Kolonie an der westafrikanischen Goldküste im Bereich des heutigen Ghana.
Außerdem ersann Otter im Herbst 1643 während seines Aufenthaltes am Hofe des dänischen Königs Christian IV. eine sogenannte „Tuba hercotectonica“, bei der es sich aber keineswegs um ein Musikinstrument handelte, wie Name und Aussehen des trompetenartigen Gerätes nahelegen, sondern um ein militärisch verwendbares Sprachrohr beziehungsweise Horchgerät für den Einsatz in Festungen. Christian IV. war diese neumodische Erfindung immerhin eine Gratifikation von 200 Reichstalern wert.
Eine sündhafte Dauerversuchung
Der in ganz Europa als Multitalent, Gelehrter sowie fintenreicher Konstrukteur und Erbauer ausgeklügelter, modernster Festungsanlagen bekannte Ostpreuße verstarb am 9. August 1660 in Nijmegen, wo er seit 1658 eine großzügig dotierte Professur für Mathematik an der dortigen Universität innehatte und auch in der Gruft der Stevenskerk bestattet wurde.
Weil Christian Otter als eingefleischter Gegner alles Weiblichen niemals verheiratet gewesen war – er hielt Frauen und deren Weiblichkeit für eine ständige sündhafte Versuchung – und somit keine Nachkommen hinterließ, ging sein Nachlass an seinen Neffen Georg Wilhelm Mühlkünzel, dessen Witwe Dorothea das gesamte Konvolut der Aufzeichnungen Otters mit zahlreichen kunstvollen Skizzen von Gebäuden, Festungen, Städten und Landschaften dann vor ihrem Tod um 1708 der Stadtbibliothek von Königsberg vermachte.
Ansonsten schenkte Otter der Nachwelt auch noch das 1646 von Johannes Fabel in Amsterdam gedruckte Standardwerk „Specimen problematum hercotectonico-geometricorum quo ut fortificationis“ über das zivile und militärische Bauen, welches er unter dem Pseudonym „Ragnetanus“ publiziert und seinem damaligen Dienstherrn, dem Lübecker Bischof Johann X., gewidmet hatte.