03.06.2025

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Die Laubaner Taschentuchindustrie sorgte dafür, dass sich die ganze Welt die Nase putzen konnte
Bild: WagnerDie Laubaner Taschentuchindustrie sorgte dafür, dass sich die ganze Welt die Nase putzen konnte

Östlich von Oder und Neiße

In Breslau heißt es: „Das ist Spitze!“

Niederschlesien im Aufbruch – Eine Region zwischen Schienen, Spitzen und Schätzen

Chris W. Wagner
02.06.2025

Das Ethnographischen Museum zu Breslau zeigt derzeit eine Ausstellung, die nicht nur Modellbahnfreunde begeistert: „Niederschlesien im Aufbruch“. Sie erzählt die Geschichte Niederschlesiens, dessen wirtschaftlicher Aufstieg bis zum frühen 20. Jahrhundert untrennbar mit dem Bau der Schlesischen Gebirgsbahn verbunden war. Die Schau erinnert auch an Menschen wie Karl Christian Kasper, die diese Geschichte für die Nachwelt bewahrten.

Die Strecke von Görlitz über Lauban [Lubań], Hirschberg [Jelenia Góra] bis Waldenburg [Wałbrzych] wurde neben der Oder zur zweiten Lebensader Schlesiens – ihrer südlichen Lebensader. Als eine der ersten elektrifizierten Bahnlinien Deutschlands verband sie nicht nur Orte, sondern förderte das regionale Gewerbe, die Industrie und den Tourismus.

„Die Schlesische Gebirgsbahn hatte einen kolossalen Einfluss auf die Entwicklung der Region“, erklärt Piotr Oszczanowski, Direktor des Nationalmuseums in Breslau, zu dem das Ethnographische Museum als Abteilung gehört. „Diese Verbindung ermöglichte Kommunikation, Austausch und Wohlstand. Die Strecke verband malerische Orte, die nicht nur wirtschaftlich profitierten, sondern auch zu touristischen Magneten wurden – ein Erbe, das bis heute spürbar ist.“

Für Ausstellungskoordinatorin Joanna Kurbiel liest sich die wirtschaftliche Dynamik entlang der Bahnlinie wie ein Kaleidoskop niederschlesischer Kreativität. „In Lauban wurden in bis zu 35 Fabriken etwa 90 Prozent aller deutschen Taschentücher produziert – so stolz, dass man dort mit dem Slogan warb: ‚Lauban putzt der Welt die Nase.' Im nahen Langenöls [Olszyna] erfand Robert Ruscheweyh den Ausziehtisch. Zum ersten Mal konnten alle ausziehbaren Teile in diesem Möbelstück untergebracht werden und mussten nicht irgendwo anders aufbewahrt werden. So eine ausgezogene Tafel konnte
13 Meter lang werden und Platz für 50 Leute, also für eine wirklich große Familie, bieten“, berichtet Kurbiel.

Als einen weiteren Wirtschaftsort entlang der Schlesischen Gebirgsbahn nennt sie Greiffenberg, wo sich aus einer Blaudruckerei ein bedeutender Hersteller für Arbeitskleidung entwickelte. Selbst die zarte Textilkunst – die Spitzenherstellung – blühte: In Hirschberg unterhielt Fürstin Daisy von Pless mehrere Spitzenschulen, deren Produkte im Ethnographischen Museum erstmals ausgestellt werden. Schlesien ist Spitze – heißt eine der liebevoll gestalteten Teile der Ausstellung. Sie zeige, so Oszczanowski, „dass Kunstfertigkeit und industrieller Erfindergeist in Schlesien oft Hand in Hand gingen“.

Doch die Ausstellung erzählt nicht nur wirtschaftliche Fakten. Sie ist auch ein persönliches Vermächtnis: Karl Christian Kasper, 1931 in Lauban geboren, musste 1945 mit seiner Familie gen Westen fliehen. Kasper verstarb 2022 im Alter von 91 Jahren. Er hinterließ eine Sammlung von Modellbahnen und Archivalien zur Geschichte der Schlesischen Gebirgsbahn und zahlreiche eigene Publikationen zur Historie Schlesiens. Seine Sammlung ist zentraler Bestandteil der Ausstellung in Breslau. Emilia Jeziorowska, Koordinatorin der Schau, betont: „Kasper war nicht nur Eisenbahnliebhaber, sondern ein leidenschaftlicher Regionalhistoriker. Seine Sammlung von Modellen, Dokumenten und Veröffentlichungen war für uns der Impuls, diese Ausstellung überhaupt erst zu starten.“

Kaspers Lebenswerk gelangte durch familiäre Verbindungen an Alexander Szalapski, Kurator im Schlesischen Museum zu Görlitz, das in Kooperation mit dem Ethnographischen Museum Breslau die Ausstellung realisierte. „Mit jeder der alten Bahnlinien, die heute wiederbelebt werden, kehrt ein Stück dieses regionalen Erbes zurück. Es ist mehr als Nostalgie – es ist ökonomische Realität und kulturelle Identität zugleich“, betont Oszczanowski.

Besucher des Ethnographischen Museums in der ul. Traugutta 111 können noch bis zum 17. August Kaspers Modelle bestaunen – darunter schwere E-Lokomotiven, die einst nur im Voralpenland oder eben auf der Schlesischen Gebirgsstrecke fuhren. „Niederschlesien im Aufbruch“ verweist auf eine Geschichte, die dank der Erinnerungsarbeit von Kasper, zurück ins Gedächtnis der Schlesier rückt.


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