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Auch Ökoprodukte sind betroffen: In manch harmlos erscheinenden Nahrungsmitteln lauern Gefahren
Bild: shutterstock.comAuch Ökoprodukte sind betroffen: In manch harmlos erscheinenden Nahrungsmitteln lauern Gefahren

„Skimpflation“

Knausrige Hersteller lösen eine Flut von Rückrufaktionen aus

Schadhafte Produkte müssen immer öfter eilig vom Markt genommen werden. Manche davon weisen sogar lebensgefährliche Mängel auf

Wolfgang Kaufmann
03.06.2025

Laut Statistischem Bundesamt lag die Inflationsrate im April bei 2,1 Prozent. Doch das ist weniger als die halbe Wahrheit. Denn neben der reinen Teuerung, also der offenen Erhöhung der Preise für Waren und Dienstleistungen, leiden die Verbraucher unter zwei weiteren Spielarten der Inflation, nämlich der „Shrinkflation“ und der „Skimpflation“. Im ersten Fall (abgeleitet von „to shrink“, englisch für „schrumpfen“) erhalten sie weniger für das gleiche Geld: Das Produkt schrumpft, womit die Preissteigerung kaschiert werden soll. Im zweite (von „to skimp“, englisch für „knausern“) sinkt die Qualität, ohne dass dies parallel zu einer Verbilligung führt.

Besonders krasse Fälle von Shrinkflation „prämieren“ die Verbraucherschutzorganisationen gerne mit „Auszeichnungen“ wie „Mogelpackung des Monats“ oder „Mogelpackung des Jahres“. Dahingegen existiert noch kein Negativsiegel für Pfusch, der aus Kosteneinsparungen resultiert. Einen guten Überblick über das Ausmaß der Skimpflation bieten aber die Rückrufe von Produkten, welche erfolgen, wenn die Qualitätseinbußen derart gravierend ausfallen, dass die Hersteller eine Schädigung der Verbraucher und damit rechtliche Konsequenzen befürchten müssen. Von solchen Aktionen berichtet unter anderem der Kanal „Hinweise & Rückrufe“ beim Kommunikationsdienst Telegram, welcher dem Motto folgt: „Bleibe informiert und schütze Dich und Deine Familie.“

Analysiert man die dort aufgelisteten Rückrufe, zeigt sich eindrucksvoll, dass Produktmängel mittlerweile kein Einzelphänomen mehr sind, sondern ein alltägliches Übel, welches einem Tsunami gleich über die Konsumenten hereinbricht. Allein Anfang Mai gab es innerhalb von nur zehn Tagen mehr als 50 Rückrufe aus einer Vielzahl von Gründen.

So wurde zweimal vor der Überhitzung von Lithium-Ionen-Akkus und der damit einhergehenden Brandgefahr gewarnt. Oder ein Hersteller riet öffentlich von der Verwendung seiner eigenen Miniatursicherungen ab: Diese könnten zu spät oder gar nicht auslösen und damit ebenfalls Schadfeuer verursachen.

Vom Fahrrad bis zum Schnuller
Weitere drei Mal ging es um drohende tödliche Stromschläge durch das Fehlen eines Schutzleiters in den Mehrfachsteckdosen eines Verlängerungskabel-Sets, die unzureichende Isolierung der Elektronik im Inneren einer Geflügeltränke sowie die Möglichkeit des Durchschmorens des Netzkabels eines Reiskochers. Zwei der sechs lebensgefährlichen Artikel kamen aus China, der Rest aus den USA oder der Europäischen Union. Ebenfalls drei Rückrufe erfolgten vonseiten verschiedener Fahrradhersteller. Hier sollten die Kunden die gekauften Produkte wegen möglicher Ermüdungsrisse und daraus resultierender Bruchgefahr an den Rahmen sowie loser Pedale zurückgeben, um nicht Kopf und Kragen zu riskieren.

Ein erheblicher Teil der Rückrufe betraf Kinderartikel. Der Autokindersitz einer sehr bekannten schwedischen Marke kann sich durch die zu schwach ausgelegte Verriegelung unter Belastung losreißen. Bei einem Mädchenkleid wiederum ist der Gürtel so geraten, dass die kleinen Trägerinnen Gefahr laufen, sich in dem Accessoire zu verheddern und zu stürzen. Noch riskanter soll allerdings die Verwendung von allerlei Spielzeugen wie Plüschtieren, „Activity-Bällen“ für Säuglinge und Holzautos sein. Hier warnten die Hersteller unisono vor Kleinteilen, die abfallen und somit dann auch von den Kindern verschluckt werden könnten, was im Extremfall die Gefahr des Erstickens birgt. Als gefährlich gilt zudem die Benutzung der Schnullerkette „Sterntaler“, denn dieses „Produkt verfügt nicht über die erforderlichen Belüftungsöffnungen“, die Babys frei atmen lassen.

Krebserregende Zusatzstoffe
Besonders häufig erfolgten Rückrufe auch wegen produktionsbedingter Fremdkörper aus Glas, Gummi, Plastik oder Metall in Lebensmitteln. Binnen weniger Tage wurde hier dringend vom Verzehr bestimmter Eierteigwaren, Spinat- und Grünkohlkonserven, Chili-Käse-Nuggets, Karamell-Meersalz-Schokolade, einer weit verbreiteten Mayonnaisesorte sowie gemahlenem Kümmel der Marke „ganz öko“ abgeraten.

Des Weiteren fanden sich Schimmelpilzgifte in Birnensaft und Sonnenblumenkernen sowie toxische Alkaloide in Pfefferminztees und Bio-Weizenkleie. Acht Rückrufe erfolgten außerdem wegen krankmachender Bakterien wie Salmonellen, Listerien und Pseudomilzbranderregern der Art Bacillus cereus. Diese können zu schweren Magen-Darm-Infektionen sowie zur Blutvergiftung, Hirnhautentzündungen und bei immungeschwächten Personen sogar zum Tode führen. Sie waren unter anderem in Raclette-Käse, gemahlenem Ingwer, Wurst der verschiedensten Sorten, Bio-Kichererbsenmehl und einem Matjes-Probierset enthalten – möglicherweise aufgrund von Hygienemängeln im Produktionsprozess.

Darüber hinaus mussten Reis-Produkte und Backwaren aus dem Verkehr gezogen werden, weil man darin das Insektizid Chlorpyrifos sowie diverse Phthalate, 3-MCPD-Fettsäureester, primäre aromatische Amine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe entdeckte. Diese Substanzen gelten durchweg als krebserregend.

Und dann wären da noch zwei Rückrufe aus vergleichsweise harmlosen Gründen wie einer abweichenden Deklaration der Inhaltsstoffe auf dem Deckel und Boden der Verpackung sowie einer fehlenden Ausweisung von Zutaten, von denen keine nennenswerte Gefahr ausgeht. Das letztgenannte Beispiel zeigt, dass es manche Hersteller – in diesem Falle zwei aus der Bundesrepublik – außerordentlich genau nehmen, was den Schutz beziehungsweise die Information der Konsumenten betrifft, selbst auf die Gefahr hin, das bislang makellose Renommee des Unternehmens zu beflecken.

Und auch sonst müssen die Rückrufe differenziert betrachtet werden: Pfusch und unzureichende Qualitätskontrollen vor der Auslieferung taugen keinesfalls als Aushängeschild, aber klare, umgehende Warnungen sind allemal besser als Zögern oder verschämtes Schweigen – in der Hoffnung, dass nichts passiert. Denn letztendlich ist ein verschleppter beziehungsweise gar ausgebliebener Rückruf Unterlassene Hilfeleistung im Sinne von Paragraph 323c des Strafgesetzbuchs, wenn durch den Produktmangel Gefahr für die Gesundheit oder gar das Leben von Verbrauchern besteht.


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Kommentare

Ernst Weiland am 03.06.25, 09:02 Uhr

Es ist nicht nur "unterlassene Hilfeleistung im Sinne von Paragraph 323c des Strafgesetzbuchs", sondern fällt auch unter das §3 Produkthaftungsgesetz, wonach Hersteller für den Gebrauch und sogar den naheliegenden Missbrauch ihrer Produkte haften. Darauf nicht hinzuweisen ist zumindest ein gravierender Instruktionsfehler. Ein Produkt kann danach sogar mangelfrei im Sinne des Gewährleistungsrechtes sein, produkthaftungsrechtlich aber trotzdem fehlerhaft.

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