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Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat dem Konservativsein in Europa eine neue Klangfarbe verliehen. In ihrer soeben auf Deutsch erschienenen Autobiographie beschreibt sie, wie ihr dies gelungen ist
Wenn im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den linksliberalen Medien hierzulande von Giorgia Meloni die Rede ist, wird in eintöniger Ausdauer angefügt, dass die amtierende italienische Ministerpräsidentin zugleich Chefin der „Fratelli d'Italia“ (FdI), zu Deutsch „Brüder Italiens“, ist, und dies eine postfaschistische Partei sei. Was Postfaschismus eigentlich sein soll, weiß niemand so genau; der Begriff soll dem Publikum suggerieren, dass das Wurzelwerk der 2012 gegründeten FdI zurückreicht bis in den Faschismus Italiens, der 1945 mit der Hinrichtung des „Duce“ Benito Mussolini sein politisches Ende fand.
Wer indes die jetzt auf Deutsch erschienene Autobiographie Melonis „Ich bin Giorgia“ gelesen hat, dürfte das Buch mit dem Eindruck zuklappen, dass die Frau, die sich selbst als „rechts“ verortet, tatsächlich eine klassische Konservative ist. In Deutschland hätte sie sich gewiss in der Jungen Union der Ära Helmut Kohl wohlgefühlt. Da sie aber 1977 in Rom zur Welt kam, schloss sie sich mit 15 Jahren der Jugendfront des „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) an, eine Bewegung, die 1946 von Mussolini-Anhängern ins Leben gerufen worden war.
Absage an antidemokratische Regimes
Trotz ihres politischen Debüts in Jugendjahren am rechten Rand ist aus Meloni eine bürgerliche Politikerin rechts der Mitte geworden, die nur deshalb rechter wirkt als sie ist, weil der gesellschaftliche Mainstream derzeit am linken Rand des politischen Spektrums oszilliert und alles, was nicht links ist, unweigerlich „rechtsradikal-faschistoiden-Nazi“-Verdächtigungen anheimfällt.
Gleich in ihrer ersten Regierungserklärung als Ministerpräsidentin Italiens 2022 hatte sie erklärt, „niemals Sympathie oder Nähe für antidemokratische Regimes“ gehegt zu haben, „für kein Regime, auch nicht für den Faschismus“. Entsprechend „habe ich die Rassengesetze von 1938 immer als Tiefpunkt der italienischen Geschichte betrachtet, als eine Schande, die unser Volk für immer prägen wird“. Den 16. Oktober 1943 nannte sie „für Rom eine tragische, eine dunkle, eine unheilbare Stunde“. An jenem Tag hatten die deutsche Gestapo und faschistische italienische Soldaten das jüdische Ghetto in Rom umstellt und mindestens 1022 Jüdinnen und Juden, darunter mehr als 200 Kinder, in 18 Viehwaggons gepfercht nach Auschwitz transportiert. Nur 15 von ihnen haben das Vernichtungslager überlebt.
Die italienische Originalausgabe „Io sono Giorgia“ des nun auf Deutsch erschienenen Titels wurde bereits 2021 veröffentlicht, also im Jahr vor Melonis Wahl zur Regierungschefin. Vier Jahre brauchte ihr Buch, um einen deutschen Verleger zu finden, 155 hiesige Verlage sollen abgewunken haben. In der deutschen Medienszene gilt die wichtigste Politikerin Italiens als Aussätzige; der in den Ampel-Jahren eskalierte „Kampf gegen Rechts“ wird auch von den Büchermachern in vorauseilendem Gehorsam trotz winkender Umsätze exekutiert.
Dabei erzählt Meloni ihr Leben mit einer Offenherzigkeit, wie sie bei Politiker-Bekenntnissen selten ist. Zu Beginn schildert sie, wie ihre Mutter sie beinahe abgetrieben hätte und sich dann doch umentschieden hat. Mutter Anna war damals 23, hatte bereits eine anderthalbjährige Tochter und steckte in finanziellen Schwierigkeiten. Sie engagierte sich beim neofaschistischen MSI; ihr Partner, Melonis Vater, war überzeugter Kommunist. Diese Verbindung konnte nicht gutgehen, schließlich machte er sich davon. In diese „zerrüttete Familie“ wurde Meloni hineingeboren, wuchs mit Mutter, Schwester Arianna und den Großeltern mütterlicherseits auf.
Offene Einblicke in die eigene Psyche
Den Verlust des Vaters hat Giorgia nie verwunden. „Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, nichts wert zu sein“, erzählt sie – sowie vom „Schmerz, nicht genug geliebt worden zu sein“. Sie beschreibt sich als schüchtern, bis heute habe sie „jeden Tag Angst, oft fühle ich mich unzulänglich, ich habe Angst, dass die anderen mich für unfähig halten. Aber diese Angst ist auch meine Stärke“, behauptet sie. Ihre Angst sporne sie an, halte sie wach und sei „der Grund, weshalb ich glaube, immer hundert Prozent geben zu müssen“. Meloni zeichnet von sich ein Psychogramm, wonach ihr Vater-Trauma sie dazu trieb, „so störrisch, so aufopferungsbereit“ ihre Ziele zu verfolgen und nie nachzulassen. Vielleicht sind unsere Erfolge ein Echo unserer Verwundungen.
Geborgenheit in der Pubertät, schreibt sie, fand sie in der Jugendfront des MSI, sie wollte sich „als Teil von etwas Wichtigem fühlen“. Zu den Linken zu gehen, kam für sie nicht in Frage, sie wollte unangepasst sein. In den Schulen, an den Universitäten regierten – wie heute noch – die Linken. „Wenn es alle taten, war es unkonventionell, Nein zu sagen“, lautete ihr Credo. Also war es konsequent, rechts zu sein. Rechts versprach mehr Freiheit, „die Freiheit vom Konformismus, die Freiheit, sich dem ,Zeitgeist' nicht beugen zu müssen, die Freiheit einer grundlegenden Kritik, die eine in ihren ideologischen Vorstellungen gefangene Linke nicht zuließ“. Die Linken „hatten die roten Bücher, die erlaubten und die verschmähten Autoren, die Musik, die man hören durfte, und die, die verboten war.“ Konservative hingegen können die ganze Bandbreite der Kultur rezipieren, ohne ideologische Einengung.
Das klingt seltsam vertraut. Auch heute ist häufig zu beobachten, dass eher ein Konservativer mit einem Linken das Gespräch sucht als ein Linker mit einem Nicht-Linken. Cancel Culture und Brandmauer sind Erfindungen des woken Linksspektrums, um ihre Gesinnungshegemonie abzusichern. Ein Linker ist Kind der Moderne, der Aufklärung, der materialistischen Vernunft. Der geistige Horizont des Konservativen reicht hingegen weiter, über Traditionen und Erkenntnisse von Jahrtausenden hinweg verschließt er sich auch nicht den existenziellen Sphären von Religion und Mythos. Während der Linke ohne Zukunft und Fortschritt ein Nichts ist, lebt der Konservative aus dem Ewigen. Für den Linken unterliegt der Mensch den Erwägungen der Nützlichkeit; wer nicht linientreu in die neue Zeit, ins neue Menschentum mitmarschieren will, gehört nicht dazu. Für den Konservativen hingegen ist der Mensch halb auf der Erde und halb im Himmel beheimatet, und bleibt in seinem Grunde ein Geheimnis, das sich seiner Enträtselung entzieht.
Manifest eines neuen Konservatismus
Wer in Melonis Buch ihren Aufstieg in der italienischen Politik überspringen will, kann die Schilderungen ihrer Zeit als Vizepräsidentin der Abgeordnetenkammer, als jüngste Ministerin in der Geschichte der Republik und schließlich Parteigründerin der „Fratelli d'Italia“ getrost überblättern und das vierte Kapitel „Ich bin rechts“ aufschlagen. Darin hat Meloni eine Art Manifest des Konservativseins untergebracht, das als Gründungsurkunde einer Renaissance des gesunden Menschenverstandes und der Aufhebung einer Entfremdung zwischen Gefühl und Vernunft gelten kann.
Politisch geprägt wurde Meloni in der Jugendbewegung von einem Milieu, in dem „eine große intellektuelle Neugier“ herrschte, „die man auf dem linken Spektrum praktisch nicht fand“. Die jungen Leute verschlangen den Marxisten Antonio Gramsci genauso wie den Mussolini-Fürsprecher Ezra Pound und den Deutschen Ernst Jünger. Es habe das noble Prinzip gegolten, dass „alle bedeutenden Menschen Geschwister sind“ – unabhängig von ihrer Gesinnung.
Diese Weite des Denkens ist noch heute in Melonis politischen Standpunkten aufspürbar. Viele ihrer Ansichten klingen, als ob sie eine Sozialdemokratin sei, freilich zu Zeiten, da Sozialdemokratien noch Volksparteiformat hatten. So sei die Massenmigration nicht allein eine Belastung der kulturellen Identitäten in den jeweiligen Aufnahmeländern, sondern auch ein sozialpolitischer Skandal: „Die ungeregelte Einwanderung hat vor allem Auswirkung auf die Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt, im sozialen Bereich, an den Peripherien der Metropolen.“ Diese Aspekte wären genuine Aufgaben für Linke, aber diese, „abgeschirmt in ihren samtenen Salons, tun so, als gäbe es das Problem nicht“. Als Reaktion darauf wenden „sich im gesamten Westen die Arbeiter, die Armen, wie die Bewohner der Randbezirke, immer mehr den Rechten zu“ und entfernen „sich immer weiter von einer Linken, die unsensibel ist gegenüber ihren Problemen“.
Auch bei der Analyse der Ursachen von Massenmigrationsbewegungen klingt Meloni wie eine Linke und geißelt die Ausbeutung von Bodenschätzen auf dem afrikanischen Kontinent durch „einige europäische Länder, vor allem Frankreich“: „Seit 1957 bauen französische Staatsunternehmen in Niger Uran ab. Noch heute kann die Regierung in Paris ein Drittel des nationalen Energiebedarfs dank des Urans aus Niger decken, während mehr als 80 Prozent der nigrischen Bevölkerung keinen Zugang zu elektrischer Energie haben.“ Es könnten Worte aus dem Munde des Nord-Süd-Unterhändlers Willy Brandt sein, wenn Meloni feststellt: „Ein freies und wohlhabendes Afrika ist entscheidend für ein neues globales Gleichgewicht.“ Sind die „Fratelli d'Italia“ etwa eine bessere SPD?
Ausdruck eines politischen Paradigmenwechsels
Der Sound einer Sozialdemokratie aus einer verwehten Epoche, als sich die linke Mitte tatsächlich noch um gesellschaftlichen Fortschritt, Teilhabe, Aufstiegsoptionen und soziale Gerechtigkeit verdient machte, anstatt Klientelpolitik für Randgruppen zu machen – all das durchzieht die Programmatik der Giorgia Meloni. Auch Sozialdemokraten aller Länder waren, insbesondere in ihren Anfangsjahren, bei aller internationaler Solidarität immer auch glühende Patrioten. Meloni betont beides, sie ist leidenschaftliche Italienerin, deren kulturelle Wurzeln bis in die glanzvolle Antike des römischen Weltreichs zurückreichen. Zugleich ist sie weltläufig, spricht eine Handvoll Sprachen, bewundert die USA, hat einen guten Draht zu Donald Trump, plädiert für eine Unterstützung der Ukraine und hat sich nach dem 7. Oktober 2023 vorbehaltlos hinter Israel gestellt, obwohl dies nicht die Mehrheitsmeinung ihrer Bevölkerung war.
Es scheint ganz so, als ob die Zeitenwende, deren Zeuge wir gegenwärtig sind, auch darin besteht, dass die politischen Kategorien Links und Rechts, wie wir sie bislang kennen, eine Art Umpolung erfahren. Linke sind heute die Strukturkonservativen. Wir können dies insbesondere im grünen Milieu beobachten, mit welch kühler Berechnung Institutionen des Rechtsstaats politisch instrumentalisiert werden, um die eigene Agenda etwa bei Migration und Klimaschutz voranzutreiben. Dagegen bringen sich Rechte als Bastion des Wertkonservatismus in Stellung. Meloni nennt es „einen Akt des Widerstands im Namen der Freiheit, des Vertrauens in die Menschen und der Eintracht unter den Völkern“.
Der „Kampf gegen Rechts“ als rhetorischer Dauersummton ist demnach nichts weiter als das Schießen in die Luft von einer Linken, die ihre Selbstbegeisterung verloren hat und nur noch ihr feist gewordenes Geschäftsmodell verteidigen will. Konservativsein, schreibt Meloni, hat heute dem „Realitätsgrundsatz“ zu folgen, also dem „Zurückweisen von jeglichem utopischen Beiwerk, von jedwedem ideologischen Gerüst“. In dieser Wirklichkeitsverpflichtung steckt mehr Aufbruchsenergie, als wir sie bei den Linken in der jüngsten Vergangenheit erlebt haben. Rechts ist das neue Links.