15.06.2025

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Christopher Spatz, Träger des Kulturpreises der Landsmannschaft Ostpreußen, moderierte als Mitinitiator der Ausstellung in Templin die Veranstaltung, in der Ursula Dorn, Jahrgang 1935, als geborene Königsbergerin ihre Impressionen schilderte
Bild: PekrulChristopher Spatz, Träger des Kulturpreises der Landsmannschaft Ostpreußen, moderierte als Mitinitiator der Ausstellung in Templin die Veranstaltung, in der Ursula Dorn, Jahrgang 1935, als geborene Königsbergerin ihre Impressionen schilderte

Königsberg & Ostpreußen

Wolfskinder – eine Geschichte des Überlebens

Jörn Pekrul
15.06.2025

In der Preußischen Allgemeinen Zeitung wurde schon mehrfach über die Hungerkinder aus Königsberg und Ostpreußen berichtet. Es sind Kinder, welche die Gräueltaten bei Kriegsende und nach der Eroberung bei vollem Bewusstsein erlebten. Teilweise hatten sie ein oder beide Elternteile verloren und irrten nun als Waisen durch die Ruinen. Stets begleitet von Gefahr, Gewalt und dem alles beherrschenden Hunger. Viele von ihnen schlugen sich in die Wälder Richtung Litauen in der Hoffnung auf Essen und Obdach.

Ein ostpreußischer Nachgeborener und Träger des Kulturpreises der Landsmannschaft Ostpreußen, Christopher Spatz, hat diese Tragödien in seinem Buch „Nur der Himmel blieb derselbe – Ostpreußens Hungerkinder erzählen vom Überleben“ (Verlag Ellert & Richter) in kompetenter Form und gefasster Sprache für die Jetztzeit zugänglich gemacht. Basierend auf diesem Buch wurde am 24. Mai 2025 im nordbrandenburgischen Templin eine sehenswerte Sonderausstellung eröffnet. Sie befindet sich im Museum für Stadtgeschichte, das seinen Sitz im Prenzlauer Tor hat.

Die Mitarbeiterin des Museums Teresa Esteban lernte den Buchautor und das Thema auf einer früheren Lesung im uckermärkischen Malchow kennen. Durch den Kontakt entstand die Idee zu dieser Ausstellung, die aus 14 Plakatwänden besteht. Auf zwei Tafeln wird ein Abriss der geschichtlichen Ereignisse gegeben. Es folgen zwölf exemplarische Biographien, die alle unterschiedlich sind, aber in sich den gemeinsamen Kern des „Wolfskinder“-Schicksals tragen. Die Lebensläufe sind selbst von den Protagonisten erzählt; in ihrem Dialekt und im ganz persönlichen Wort- und Sprachduktus.

Allein im Dschungel des Grauens
Diese Authentizität gibt den ausgestellten Tafeln eine zusätzliche Qualität, die das erzählte Geschehen – die Tafeln sind in gut lesbarer Schrift gestaltet – besonders nahbar macht. Diese Nähe wird durch Porträtfotos ergänzt. Es sind sensible, feinfühlige Aufnahmen, die keinen Effekt erhaschen wollen, sondern den Menschen hinter dem geschilderten Wort erfahrbar machen. Diese Kombination ist außergewöhnlich gut gelungen und gibt der Ausstellung eine besondere Qualität.

Zur Eröffnung fanden sich der Autor Spatz sowie Ursula Dorn, geboren 1935 in Königsberg, ein. Weiterhin war Heinz-Günther Krell – auch er ist 1935 in Königsberg geboren worden und war damals unbewusst Schicksalsgefährte von Dorn – mit seiner Frau anwesend.

Vor vollbesetztem Haus führte Spatz kurz in das Thema ein und leitete über zu Dorn. Sie berichtete über die Ereignisse aus der Perspektive eines damals zehnjährigen Kindes in Königsberg. Die erste Begegnung mit den Besatzungstruppen der Roten Armee in einem Keller nahe der Oberhaberberger Kirche (es waren Soldatinnen, die nach Armbanduhren verlangten) und das Heraustreiben auf die Straße in einer Stadt, die lichterloh brannte.

Es folgten die grausamen Märsche, zu denen die Zivilisten in ganzen Kolonnen durch das Umland von Königsberg gezwungen wurden. Tagelang, wochenlang; viele überlebten sie nicht. Die erste Apokalypse der Gewalt unter den „Befreiern“, die im Rausch des Sieges und wie man heute weiß durch Propaganda vorsätzlich aufgehetzt, ihre Rachsucht an wehrlosen Alltagsmenschen ausließen. Die brutalen Massenvergewaltigungen der Mädchen und Frauen jedes Alters darin sind nur ein erschütternder Abgrund, der auch durch die Entfernung in der Geschichte nichts von seiner Unmenschlichkeit verliert. Und der sich auch nicht durch eine rückwirkende Verklärung des erhofften Sieges über die vorangegangene nationalsozialistische Barbarei als „notwendige Folge“ relativieren lässt. Gewalt gegenüber wehrlosen Zivilisten ließ und lässt sich niemals rechtfertigen – auch nicht in einer abgeschwächten Form.

Als Zeitzeugin wusste Dorn, zwischendurch angeregt durch behutsam pointierte und einordnende Rückfragen von Spatz, sehr detaillierte Schilderungen über die Zeit nach der Eroberung und die ersten Monate und Jahre unter der Besatzungsmacht, sowie die sich daraus ergebenden, ersten Fahrten nach Litauen zu berichten. Das zehnjährige Mädchen stieg am Königsberger Hauptbahnhof wahllos in einen Zug, der – mit Demontage- und Plünderungsgut beladen – nach Kaunas fuhr.

Hunger auf Informationen
Dorn ist eine sehr gute Berichterstatterin. Ihr Erinnerungsvermögen ist brillant, und sie hat die seltene Gabe, auch entsetzliche Erinnerungen gefasst sowie für die Außenwelt in einer gut verständlichen Form wiederzugeben. Man merkte es daran, wie gebannt das Publikum war, sah es in jedem Gesicht. In den Sprechpausen hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Die geschilderten Ereignisse schienen vor dem geistigen Auge der anwesenden Zuhörerschaft im Bilde förmlich aufzuerstehen. Es war an den Fragen des anschließenden Publikumsgesprächs zu bemerken, das sehr aufmerksam zugehört wurde. Der Informationsbedarf an weiteren Details war groß, und man konnte den Eindruck gewinnen, dass ein geschichtliches Nebelfeld der deutschen Vergangenheit klarer wurde.

Die Erkenntnisse wurden von dem Buchautor und Moderator als auch der Zeitzeugin in einer perfekt aufeinander abgestimmten Kombination vermittelt und hallten noch lange nach. Dies bewiesen die lebhaften, engagierten Gespräche, die noch andauerten, als die Veranstaltung längst zu Ende gegangen war.

Und wo ein Ostpreuße ist, sind auch die Bande der „ostpreußischen Familie“ nicht weit. Die Einwohner Templins, die an diesem Nachmittag in großer Zahl gekommen waren, konnten unter sich auch die angereisten Gäste Dietmar Rupschus von der Memellandgruppe Berlin sowie Renate Niedrig und Waltraut Ellerbrock (2. stv. Vorsitzende) von der Kreisgemeinschaft Ebenrode (Stallupönen) kennenlernen. Für die Stadtgemeinschaft Königsberg (Pr) e.V. war der Autor dieses Beitrags selbst vor Ort in Templin.

Doch diese Zugehörigkeiten vermischten sich dank der hervorragenden Präsentation rasch zu einem gegenseitig bereichernden Austausch. Ein Dank sei auch den Damen und Herren des Stadtgeschichtlichen Museums zu Templin ausgesprochen. Mit kleinen Erfrischungen wurden Besucher wie Ausrichter versorgt, ohne dass es die Präsentation beeinträchtigt hätte. Da sich neben dieser Sonderausstellung im Prenzlauer Tor auch die Dauerausstellung zur Stadtgeschichte von Templin begutachten lässt, bekommt der Besucher ein doppeltes Erlebnis. Man sieht interessante Exponate zur Geschichte der Uckermark, die sich auf das Gebiet, aber auch auf die größere Geschichte Preußens beziehen. Ein altes Holzpferd in dieser Ausstellung bestätigt ein vertrautes Detail: der Gaul auf dem Feld blieb unentbehrlich – in Ostpreußen wie in der Uckermark.

Man kann den Besuch im Prenzlauer Tor mit einer Stadtbesichtigung verbinden. Templin ist eine sehenswerte Stadt, die in eine reizvolle Landschaft eingebettet ist.

Die Ausstellung „Wolfskinder – Eine Geschichte des Überlebens“ ist bis zum 24. August 2025 zu sehen. Der Eintritt ist frei. Öffnungszeiten: Fr.-Di. 10 bis 17 Uhr. Sa. und So. zwischen 12.30 und 13 Uhr geschlossen, www.templin.de/museum.


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