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Ein Wolgaster und (s)ein Schiff

60 Jahre mit dem Gütermotorschiff „Aken“ auf Sund, Bodden, Haff und Peenestrom unterwegs

Peer Schmidt-Walther
17.05.2024

Manfred Volz ist waschechter Wolgaster mit Haus in der Fährstraße, und „sein“ Schiff ist die „Aken“, einziges in Vorpommern registriertes Gütermotorschiff dieses Typs, abgekürzt nur GMS oder GüMo. Seit 1961 versieht die gepflegte Maschine weitgehend störungsfrei ihren Dienst und verbraucht gerade mal 35 Liter Diesel pro Stunde. „Etwa so viel wie ein Lkw“, rechnet er vor, „wir sind zwar langsamer, aber können 19-mal so viel transportieren.“

Seit 60 Jahren steht er am Ruder von Schiffen, fing bei der Deutschen Binnenreederei der DDR von der Pike auf an, befuhr alle schiffbaren Flüsse und Kanäle der Republik, wechselte für 20 Jahre zur Fischerei – „da gab es mehr zu verdienen“ – und kehrte wieder zurück in sein altes Metier, um Ladung zu transportieren. Seine Frau Karin freute sich. Zwischen Sund, Bodden, Haff und Peenestrom liegt das Revier des Binnenfrachters.

An diesem Frühjahrsmorgen sind es 400 Tonnen Split, die vom Stralsunder Südhafen zum Hafen Kloster auf Hiddensee geschafft werden müssen. Eine Drei-Stunden- oder 18-Seemeilen-Reise. Die MS „Aken“ fährt diese Route seit 2012, um Massengut auf die autofreie Insel zu bringen sowie Schrott, Schutt und Müll von dort abzuholen. „Bei 20 Fuhren pro Jahr rechnet sich das“, meint Nils Gottschalk von der Firma Hiddenseer Logistik GmbH. Gemeinsam mit Torsten Müller, dem Inhaber der Schiffsmaklerei TM-Shipping, betreibt er die betagte Schiffsdame, die auf eine bewegte Geschichte zurückblicken kann.

Fünf Panzer nach England
1928 wurde sie, wie das Schiffsattest zweifelsfrei ausweist, im niederländischen Amsterdam als „Josephine Speer“ gebaut, und zwar als solider Schleppkahn aus acht Millimeter dickem Stahlblech. Im Zweiten Weltkrieg wurde er beschlagnahmt und umgebaut. Das Vorschiff erhielt eine Landeklappe. Fünf Panzer sollten in dem Landungsprahm über den Ärmelkanal nach England gebracht werden. „Unternehmen Seelöwe“ wurde der Invasionsplan genannt, der aber scheiterte. Die Alliierten machten es am 6. Juni 1944 genau in der entgegengesetzten Richtung in der Normandie.

Das Kriegsende überstand das Schiff im Berliner Westhafen. Damit war das Leben des Kahns gerettet. „Josephine“ wurde schließlich von der sowjetischen Besatzungszone übernommen, die sie in ihre neu entstandene Binnenschiffsflotte einreihte und „GD 413“ nannte. Mit Reparationsgut beladen steuerte sie mehrmals den Hafen Stettin an, von wo die Ladung per Seeschiff in die Sowjetunion ging.

1947 übernahm Robert Loch aus Aken an der Elbe den Kahn als Schiffsführer. Unter seiner Regie wurde „GD 413“ in ein ziviles Frachtschiff zurückgebaut ohne Betonboden, Klappe sowie mit neuem Bug und Namen: „DSU 528“, dem Kürzel des neuen Eigentümers Deutsche Schiffsbetriebs- und Umschlaggesellschaft. „DSU 413“ erhielt fortan die höchste Klasse für Bodden, Haff und Flüsse. Heute darf die „MS Aken“ sogar die Zone 2 befahren, also bis zu einem Küstenabstand von zwei Seemeilen.

Sogar bis in Zone 2
1960 wurde sie in Aken an der Elbe zum Motorschiff umgebaut, in die Flotte des VEB Deutsche Binnenreederei Berlin/DDR eingereiht und nach der Fertigstellung 1961 in „Aken“ umbenannt mit Heimathafen Stralsund. Den Namen trug bis dahin der Seitenrad-Schleppdampfer „Aken“, der aber verschrottet wurde.

1981 wurde auf der Elbe eine Stückgutlinie eingerichtet, die Sohn Rudolf Loch befuhr und dabei auch Lehrlinge ausbildete, was der „Aken“ den Titel „Lehrschiff“ einbrachte. Als schließlich Großkessel von Dresden nach Hennigsdorf befördert werden sollten, brauchte die Besatzung „West-Stempel“ für die Fahrt durch West-Berlin. Dann wurde allerdings die Stammbesatzung durch „linientreue“ Kollegen ersetzt.

Mit dem Fall der Mauer standen auch der „Aken“ die europäischen Wasserstraßen offen. Doch 1991 war die Binnenreederei am Ende. Die „Aken“ wurde wie viele andere Schiffe im Baggerloch von Rogätz bei Magdeburg aufgelegt. Bis sie der Wolgaster Schiffer Horst Dudeck 1992 entdeckte und kaufte. Sein Schwiegersohn Manfred Volz übernahm dann die Schiffsführung über den nächsten Besitzerwechsel 2012 hinaus. Er wird unterstützt von Thomas Berger, der als Steuermann ohne Patent und Bootsmann angemustert hat.

Zieht Touristen an
Der gelernte Maler und Lackierer ist stolz auf den guten Pflegezustand „seines“ Schiffes. Volz sorgte vorher schon für ein neues Steuerhaus und moderne technische Ausrüstung samt Inneneinrichtung der Kabinen im Vor- und Achterschiff. „Nach Feierabend macht jeder seins“, erklärt Volz, „denn Thomas hat doch ganz andere Interessen als ich.“

In Kloster zieht das Anlegemanöver im kleinen Fischereihafen Touristen an, als sich der Sound des bullernden Sechs-Zylinders an der Kaimauer bricht und reflektiert wird. Unter dem Fenster der NDR-Wetterstation von Stefan Kreibohm stehen Bagger und Lkw schon bereit. Berger schiebt die Luken auf, und bald packt der Greifer zu. Nach zwei Tagen ist der Laderaum wieder blank gefegt, und es kann abgelegt werden zur Heimreise nach Stralsund.

„MS („GüMo“) Aken“; Baujahr: 1928; Bauwerft: Amsterdam, als Schleppkahn; Kriegseinsatz als umgebauter Landprahm für „Unternehmen Seelöwe“/Invasion Englands; Kriegsende im Westhafen Berlin; 1947 Rückbau zum Frachtkahn; 1960: Umbau zum Motorschiff; Länge: 50,55 Meter; Breite: 6,61 Meter; Tiefgang (maximal): 2,15 Meter; Ladung: 466 Tonnen; Hauptmaschine: SKL 6 NVD 360; PS: 300; Geschwindigkeit (maximal): acht Knoten; Heimathafen: Stralsund, Registerhafen: Vitte; Eigner: Torsten Müller/TM-Shipping, Nils Gottschalk Hiddenseer Logistik GmbH; Flagge: Deutschland.


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