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Für einen Versicherungsbetrug schreckte ein Verbrechertrio auch vor Brandstiftung, Mordversuch und Mord nicht zurück
Am 14. September 1930 fanden in der Weimarer Republik Reichstagswahlen statt. Deshalb waren spätabends noch viele Bürger auf den Beinen, um über das mutmaßliche Ergebnis des Urnengangs zu diskutieren. So auch in der ostpreußischen Kreisstadt Rastenburg. Dort endeten die Debatten kurz nach Mitternacht abrupt, als eine schwere Explosion das Möbelgeschäft der Firma Platz & Co. in der Ritterstraße erschütterte. Danach stürzte dessen Decke ein und ein Brand brach aus. Die über dem Laden wohnenden Eheleute Hellbart konnten den Flammen in letzter Sekunde entkommen. Allerdings entdeckte die Polizei im Beisein des Bartensteiner Oberstaatsanwaltes Wittschick eine verkohlte Leiche in den Trümmern des Gebäudes.
Zunächst gingen die Ermittler davon aus, dass es sich um die Überreste des Geschäftsführers des Möbelhauses und Schwiegersohns des Besitzers, Fritz Saffran, handelte. Wie der Handlungsgehilfe Erich Kipnick und Saffrans Sekretärin Ella Augustin übereinstimmend aussagten, soll Saffran zum Zeitpunkt der Explosion im Büro des Geschäfts dringende Arbeiten erledigt haben. Die Kriminalbeamten, welche den Fall untersuchten, fanden jedoch ein Einschussloch im Schädel des Toten und veranlassten ein zahnärztliches Gutachten, das keine Übereinstimmung mit Saffran erbrachte. Daraufhin erinnerten sich die Beamten an drei mysteriöse Vorfälle der letzten Wochen.
Am 15. Juli war der Arbeiter Friedritzik auf dem Sensburger Marktplatz von zwei Männern und einer Frau in ein Automobil gelockt worden und hatte unversehens drei schwere Schläge auf den Hinterkopf erhalten. Der Angegriffene konnte mit letzter Kraft fliehen und erstattete Anzeige. Dabei nannte er sogar das polizeiliche Kennzeichen des Wagens. Er erwies sich als zugelassen auf die Firma Platz & Co. Da es sich bei Platz aber um einen angesehenen Bürger und Stadtverordneten handelte, ging die Polizei davon aus, dass Friedritzik bei der Nummer irrte.
Melker statt Geschäftsführer
Wenige Tage später meldete ein Mann aus Rastenburg einen ähnlichen Angriff. Außerdem galt der auf Arbeitssuche befindliche Melker Friedrich Reinhold Dahl aus Königsberg seit mehreren Tagen als vermisst. Landjäger fanden lediglich sein Fahrrad unweit von Queden. Dies brachte die Ermittler auf die Idee, die bei der Leiche in der Möbelhandlung sichergestellten Wäschereste der Ehefrau des Verschwundenen vorzulegen. Die erkannte die Kleidungsstücke sofort als welche ihres Mannes. Das war der Schlüssel zur Lösung des Falles.
Aufgrund der Weltwirtschaftskrise liefen die Geschäfte in dem Möbelhaus schon längere Zeit schlecht, was Saffran aber nicht daran hinderte, auf großem Fuß zu leben und den Playboy zu mimen. Seinen ausschweifenden Lebensstil finanzierte er durch Kreditbetrug, die Fälschung von Verträgen und Wechseln sowie die Aufnahme immer neuer Schulden. 1930 stand ihm schließlich finanziell das Wasser bis zum Hals. Deshalb wollte er seinen Tod vortäuschen, um in den Besitz von 145.500 Mark aus insgesamt acht Lebensversicherungen zu kommen, die er seit 1928 abgeschlossen hatte. Der Plan, den er gemeinsam mit seiner rechten Hand Kipnick sowie seiner Sekretärin und Geliebten Augustin augeheckt hatte, beinhaltete die Ermordung eines zufällig ausgewählten Mannes, dessen Leichnam in den Trümmern des Ladens platziert werden sollte. Beim dritten diesbezüglichen Versuch wurde Dahl am 12. September 1930 auf der Chaussee nach Rößel erschossen und dann in einen Teppich eingerollt in das Möbelhaus geschleppt.
Prozess in Bartenstein
Weil Saffran ahnte, dass die Polizei ihm auf der Spur war, trat er am 16. September als Frau verkleidet die Flucht an. Die führte ihn zuerst mit dem Taxi nach Gerdauen und dann mit der Eisenbahn nach Frankfurt an der Oder. Von dort aus ging es per Mietwagen nach Berlin, wo sich Saffran beim Bruder seiner Bettgenossin versteckte und einen Bart wachsen ließ. Dann versuchte er am 6. November, mit dem Zug nach Hamburg zu reisen, um dort an Bord eines Schiffes nach Brasilien zu gehen. Auf der Fahrt wurde der mittlerweile steckbrieflich Gesuchte aber von einem Bahnbeamten erkannt, der früher in Rastenburg beim Militär gedient hatte. Dieser veranlasste Saffrans Verhaftung auf dem Bahnhof von Ludwigslust.
Am 23. März 1931 begann vor dem Schwurgericht in Bartenstein der Prozess gegen den 31-jährigen Kaufmann sowie dessen Komplizen Kipnick und Augustin. Außerdem waren drei weitere Personen wegen ihrer Unterstützung des Trios angeklagt. Im Zuge der Verhandlungen unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Murawski beschuldigten sich Saffran und Kipnick gegenseitig, die tödlichen Schüsse auf Dahl abgegeben zu haben, während Augustin die Unwissende spielte. Am Ende des Prozesses folgte das Gericht dem Antrag des Oberstaatsanwaltes Bitscherreck und verurteilte Saffran und Kipnick wegen versuchten Versicherungsbetruges, Brandstiftung, Mordversuch und Mord zum Tode.
Dahingegen kam Augustin mit fünf Jahren Zuchthaus davon. Im November 1931 wurden ihre Mittäter zu einer lebenslangen Haftstrafe begnadigt.
Weitere Informationen bietet der Beitrag „Das Trio brauchte eine Leiche. Ein Kriminalbeamter erinnert sich Rastenburgs berühmt-berüchtigten Mordfalls“, der im Heimatbrief „Rund um die Rastenburg“, Nr. 8 vom Mai 1972 auf den Seiten 306 bis 312 veröffentlicht wurde (www.cbk.starostwo.ketrzyn.pl/wp-content/uploads/2022/11/008-Rund-um-die-Rastenburg-I-str.-290-327_Maj-1972.pdf). Der Mordfall wurde sogar verfilmt. 1958 erschien die erste Folge der DDR-Serie „Fernsehpitaval“ mit dem Titel „Der Fall Saffran“.