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Wo der Hauptmann von Köpenick wegen Betrugs einsaß und der Stasi-Chef ein Jagdschloss besaß – Zu Besuch in Angermünde
Die beiden Durchreisenden aus Köln sind schlecht gelaunt. Nach einer langen Fahrt knurrt ihnen der Magen, der nach regionalen Gerichten verlangt. Sie befinden sich in Angermünde, einer Kleinstadt in der Uckermark, deren Gründung um 1233 angenommen wird und die sich im Laufe der Jahrhunderte zu einer soliden Handwerkerstadt entwickeln sollte.
Heute gilt der Ort mit seinen rund 13.700 Einwohnern als „Tor der Uckermark“, doch das interessiert die Besucher in diesem Moment wenig. Alles, was sie jetzt wollen, ist eine uckermärkische Mahlzeit, da kann „Hassan“ am Bahnhof den Bewohnern einer Millionenstadt nur ein müdes Lächeln abringen.
Nach einigem Herumirren finden sie endlich das, wonach sie gesucht haben: ein Restaurant mit regionaler Küche. Sie bestellen den „Pfaffenwürger“. Hinter diesem antiklerikalen Namen verbirgt sich ein guter Sauerbraten. Doch das Karma scheint nun irgendwie angeschlagen zu sein. Als die beiden im Laufe der Woche mehrmals Einlass in die mächtige, im 13. Jahrhundert erbaute Stadtkirche St. Marien begehren, kommen sie jedes Mal zu spät, die Tür ist immer verschlossen. Ebenso werden sie auch nicht das Innere der altehrwürdigen, um 1250 mit Feldsteinen errichteten und im 15. Jahrhundert mit Backsteinen fertiggestellten Klosterkirche der Franziskaner besichtigen können, die eigentlich als Kulturstätte genutzt wird. Sie ist derzeit aus Sicherheitsgründen eingerüstet und auf unbestimmte Zeit nicht begehbar.
Doch es gibt Alternativen. Angermünde hat seit 2003 insgesamt 23 eingemeindete Ortsteile, in denen sich zahlreiche kulturhistorische Entdeckungen machen lassen. Zudem ist die ehemalige Kreisstadt umrahmt von herrlicher Natur des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin, zu dem auch der „Grumsin“ gehört, während sich im Südosten des Stadtgebietes ein Teil des Nationalparks Unteres Odertal erstreckt.
Mit den Menschen kommt man schnell ins Gespräch. Am nächsten Tag lernen sie in Dobberzin, einem Ortsteil von Angermünde, einen gesprächigen Senior kennen, der sie sein Alter raten lässt. Sie schätzen ihn deutlich jünger als seine 96 Jahre. Der Mann erzählt vom Krieg, wie das bei Menschen in seinem Alter manchmal so ist.
Aus Königsberg in der Neumark sei er Anfang 1945 nach Angermünde geflohen. Als Soldat sei er mehrmals verwundet gewesen und habe auch Granatsplitter im Bein gehabt, die sich aber erst nach Jahrzehnten bemerkbar gemacht hätten, sodass man sie hätte entfernen müssen. Singen im Chor halte ihn jung, man müsse sich ja irgendwie beschäftigen, plaudert er weiter.
Der Zufall will es, dass die beiden Touristen ihn Tage später in genau jenem Restaurant am Mündesee wiedertreffen, in dem er seinen 97. Geburtstag feiert. Und das alles im Schatten des „Hauptmanns von Köpenick“, der in Bildform an der Wand hängt, weil der gute Mann – damals noch als Wilhelm Voigt und noch vor seiner Köpenickiade – Ende Januar 1887 auf dem örtlichen Postamt wegen Scheckbetruges festgenommen wurde.
Zwei Helden retteten Angermünde
Die Rechtsprechung für Voigt war zu dieser Zeit gewiss eher harmlos. Das hatte in der Vergangenheit mitunter ganz anders ausgesehen. Zum Beispiel damals, als die Glaubensflüchtlinge der Waldenser verfolgt und Inquisitionsprozesse geführt wurden. 1336 wurden 14 Menschen zum Tode verurteilt und auf dem Marktplatz verbrannt. Das waren ziemlich raue Sitten für eine ansonsten friedliche märkische Kleinstadt, die sich bei einem „Stummen Rundgang“, geleitet von dunkelroten Emaille-Schildern, entdecken lässt. Und das auch an der alten Stadtmauer entlang, welche die Zeit überdauert hat.
Dass Mauer und Stadt den Zweiten Weltkrieg überhaupt so gut überstanden haben, haben sie dem Bäckermeister Otto Miers und dem Juwelier Walter Kurt Nölte zu verdanken. Mit weißen Fahnen ausgestattet, gingen sie am 27. April 1945 den einmarschierenden Soldaten der Roten Armee entgegen und konnten durch die kampflose Übergabe die historische Bausubstanz mehr oder weniger vor ihrer Zerstörung bewahren.
Nach der friedlichen Revolution – und vor allem als Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen im Land Brandenburg“ – konnte die Stadt zügig mit der Sanierung der Bauten beginnen und sie so für eine neue Nutzbarkeit wieder beleben. Das Ergebnis im Altstadtkern präsentiert sich heute gediegen und in hellen Farben. Relikte aus der DDR-Vergangenheit sind fast nicht mehr zu sehen; es scheint, als hätte es sie nie gegeben.
Mielkes Jagdparadies
Auch in Wolletz, einem weiteren Ortsteil Angermündes, der idyllisch am gleichnamigen See liegt, würde man, wenn man es nicht wüsste, zunächst nicht merken, dass das Jagdhaus auf dem Gelände der Klinik ein Teil dieser jüngeren Vergangenheit war. Der letzte Bewohner war Erich Mielke, der das Haus als Jagdschloss nutzte. Der Stasi-Chef der DDR kopierte in gewisser Weise die brandenburgischen Markgrafen, die in der waldreichen Umgebung nur allzu gerne auf die Jagd gingen, so auch von der Angermünder Burg aus, von der nur noch Fragmente übrig geblieben sind und die sich im Schatten der Alten Mälzerei am Mündesee befindet.
Geht man ein Stück am Wolletzsee entlang, so sieht man noch die gebogenen Pfeiler des ehemaligen Abschirmzauns. Einen davon hat jemand – warum auch immer – liebevoll mit einer gehäkelten Kreation ummantelt. Doch ein Hinweisschild auf den letzten Bewohner des Jagdschlosses und dessen zahlreiche prominente Gäste, die in der Umgebung nach Herzenslust ungestört Tiere erlegen konnten, gibt es vor dem Schloss nicht. Vergessen durch Verdrängen?