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Die neue Unordnung in unseren Städten – und warum wir ihr nicht wehrlos gegenüberstehen
„Aussichten auf den Bürgerkrieg“ heißt ein 1993 bei Suhrkamp erschienener Essay von Hans Magnus Enzensberger. Darin schildert der Dichter und langjährige Herausgeber des „Kursbuchs“ das Heraufziehen einer neuartigen Weltunordnung, in der – nach dem Ende der bipolaren Weltordnung des Kalten Krieges – ein „molekularer Bürgerkrieg“ die westlichen Städte erfasst hat; geführt „nicht nur von Terroristen und Geheimdiensten, Mafiosi und Skinheads, Drogengangs und Todesschwadronen, Neonazis und Schwarzen Sheriffs, sondern auch von unauffälligen Bürgern, die sich über Nacht in Hooligans, Brandstifter, Amokläufer und Serienkiller verwandeln.“
Über manches an Enzensbergers weitsichtigem Essay ist die Zeit hinweggegangen. Vorhersagen, wie das Heraufziehen eines Terrorismus im Namen des Islams sowie linker und rechter Ideologien haben sich auf schreckliche Weise ebenso bestätigt wie das Entstehen rechtsfreier Räume. Von dauerhafter Aktualität ist die Beschreibung der Gewalt als „molekularer Bürgerkrieg“, der – anders als der Dreißigjährige Krieg im 17. Jahrhundert oder der Russische Bürgerkrieg im 20. Jahrhundert – keinen politischen Zielen oder weltanschaulichen Ideen mehr dient: keinem Klassenkampf, keiner nationalen Befreiung und keinem Ideal für eine bessere Welt. Das Gemeinsame der großen und kleinen Bürgerkriege unserer Zeit, so Enzensberger 1993, ist der „Autismus der Gewalt“ und die Neigung zur Selbstzerstörung, zum kollektiven Amoklauf.
Wer allein die Nachrichten der letzten Tage verfolgt hat, musste sich – wie so oft in den vergangenen Jahren – wieder einmal in einem mustergültigen Szenario des „molekularen Bürgerkriegs“ wähnen: „Milizen, Brandstifter und tödliche Schüsse – Chaos-Wochenende in den USA“, hieß es etwa bei „Welt Online“. „Schwer bewaffnete Afroamerikaner protestieren gegen Polizeigewalt“, war ein Artikel des „stern“ überschrieben. Und bei „Focus Online“ hieß es: „US-Stadt wird zum Schlachtfeld: ‚Trump und seine Sturmtruppen müssen gestoppt werden'“ sowie „Schwarze Bürgerwehr ‚NFAC' marschiert mit Maschinengewehren durch Louisville“.
Irrsinn ohne Ende
Wie schon bei Enzensberger 1993 – damals lagen die Mordanschläge von Mölln und Solingen nur wenige Wochen und Monate zurück – gilt auch heute, dass wir keineswegs mit dem Finger auf ferne Länder zu zeigen brauchen: In Halle versuchte im vergangenen Herbst der Rechtsextremist Stephan Balliet erfolglos, schwer bewaffnet in eine Synagoge einzudringen; anschließend erschoss er zwei Passanten. Im Februar dieses Jahres erschoss der mutmaßlich schizophrene Amokläufer Tobias Rathjen in Hanau zehn Menschen. Stuttgart und Frankfurt wurden zuletzt Synonyme für eine brutale „Party- und Eventszene“, die – überwiegend mit Migrationshintergrund – hemmungslos Innenstädte verwüstet und dabei keine Rücksicht auf die Gesundheit der vor Ort anwesenden Polizisten nimmt. Gleiches gilt für linksextreme Autonome in Leipzig-Connewitz oder in der Rigaer Straße in Berlin. Der Irrsinn ist auch hierzulande allgegenwärtig – und er hat viele Gesichter.
Gleichwohl ist die offene Gesellschaft unserer Tage keinesfalls wehrlos. Anders als im Deutschland des 17. Jahrhunderts oder im Russland des frühen 20. Jahrhunderts gibt es heute allgemein akzeptierte Autoritäten und Ordnungskräfte. Diese gilt es zu schützen und zu verteidigen, damit sie unsere Sicherheit schützen können. Wann immer – wie zuletzt auffallend häufig – Politiker und Kommentatoren aus einer bestimmten Ecke versuchen, die Sicherheitskräfte zum Teil des Problems zu erklären, sollte man sie damit nicht durchkommen lassen. Und ihnen ruhig, aber bestimmt entgegnen, was Ursache und was Wirkung ist.
Wer die Sicherheitskräfte unseres Landes beschädigt, riskiert, dass aus dem „molekularen Bürgerkrieg“ ein vollendetes Chaos wird.