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Zur Zeit ihres Studienbeginns im Jahre 1902: Emilie Winkelmann
Bild: Stadtarchiv AkenZur Zeit ihres Studienbeginns im Jahre 1902: Emilie Winkelmann

Emilie Winkelmann

Deutschlands erste freiberufliche Architektin

Die Tochter eines Lehrers und Enkelin eines Zimmermanns kam vor 150 Jahren im preußischen Aken zur Welt

Steffen Adam
12.05.2025

Aken liegt heute im Landkreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Als Emilie Winkelmann am 8. Mai 1875 geboren wurde, gehörte die rund acht Kilometer westlich von Dessau-Roßlau liegende kleine Hafenstadt an der Elbe noch zum Kreis Calbe, Regierungsbezirk Magdeburg der preußischen Provinz Sachsen. Deutschlands erste freiberufliche Architektin war also eine gebürtige Preußin.

Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm. Die Winkelmanns waren Zimmerleute. Der Großvater führte den Betrieb, in dem die Enkel von Kindesbeinen an mittaten, das Handwerk lernten und mitarbeiteten. Die Eltern waren Lehrer. Der Bruder erbte die Zimmerei. Emilie zimmerte in der Werkstatt und auf dem Bau, Holzbalken abbindend und zuschneidend, Holzverbindungen zu Fachwerken und Dachkonstruktionen sägend und diese dann vor Ort aufrichtend. Der Umgang mit allen am Bau beteiligten Handwerkern aller Gewerke prägte Emilie Winkelmann für ihr ganzes Leben. Emilie stand ihren Mann.

Schon der Großvater erkannte, dass Emilie präzise und akkurat zeichnete. Er übertrug ihr die Anfertigung der erforderlichen technischen Werkpläne nach Entwürfen der Auftraggeber. Diese fremde Kreativität löste bei ihr den Wunsch aus, selbst planerisch wirken zu können, wirken zu dürfen. Dafür war ein Studium notwendig. Universitäten waren im Preußen Kaiser Wilhelms II. nicht für Frauen zugelassen. Emilie schrieb sich 1902 als „E. Winkelmann“ an der Technischen Universität in Hannover ein. Das Immatrikulationsamt konnte sie täuschen, das Studium musste sie jedoch als „Hospitantin“ absolvieren. Wie Häuser handwerklich aussehen müssen, wusste sie längst. Sie belegte entsprechend dem damals gängigen Historismus vorzugweise die Fächer Baugeschichte, Stilkunde und Ornamentik. Das Staatsexamen aber wurde ihr noch am Tage der Prüfung 1906 versagt.

1907 zog Emilie Winkelmann in die aufstrebende preußische und reichsdeutsche Hauptstadt. In ihrer ersten Wohnung in der Hohenstauffenstraße 49 richtete sie sofort ihr eigenes Büro samt Telefon ein. Anfangs arbeitete sie auch für andere Büros. Selbstständig beteiligte sich Winkelmann an einem Wettbewerb für ein Theatergebäude mit Festsaal auf einem komplizierten Grundstück in der Berliner Blumenstraße in Friedrichshain. Sie errang den ersten Preis.

Die Fachwelt war begeistert. Das großbürgerliche Publikum war es auch, und dabei noch vor dem männlichen der weibliche Teil. Aus persönlichen Erfahrungen hatte Winkelmann die ungeheure Bedeutung von Frauenrechten, Frauenbildung und Frauenwohlfahrt für beide Hälften der Bevölkerung erkannt. Sich für diese einzusetzen, falls nötig für diese zu streiten und zu kämpfen war ihr aus Verantwortung und Pflichtbewusstsein selbstverständlich. Sie engagierte sich im Lyceum-Club Berlin.

Dieser war 1905 von Marie von Bunsen nach englischem Vorbild gegründet worden. Der Club orientierte sich am Londoner Vorbild und war vor allem für Frauen der Oberschicht gedacht. Er bot aber auch Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen ein Forum. Dazu zählten die bedeutende Grafikerin Käthe Kollwitz, die Schriftstellerin Clara Viebig und die Komponistin Martha von Wittich. Winkelmann erhielt Aufträge der Ehemänner von Lyceumsdamen wie Erna Gumpel, Julie Meyer, Katharina Zitelmann oder Adele Grupe für Villen und Landhäuser in den reichen westlichen Vororten Babelsberg, Zehlendorf, Grunewald und Neu Westend.

Diese Entwürfe folgten der damals hochmodernen Reformarchitektur. Der Sockel wurde mit Naturstein verkleidet, die Putzfassade mit sparsamen Ornamenten versehen. Ober- wie Dachgeschoss waren eine wilde Dachlandschaft mit Giebeln, Gauben, Türmen aus Holz. Da fand Winkelmanns Handwerk mit der Formensprache eines Hermann Muthesius, eines Ludwig Hoffmann oder Alfred Messel die Nähe und das Gefallen der Kundschaft. Sie entwarf von nun an etwa drei bis fünf Villen pro Jahr und vergrößerte ihr Büro personell. Elisabeth von Knobelsdorf und Therese Mogger haben ihr Studium als Innenarchitektinnen 1908 mit Prüfung abschließen dürfen. Nun arbeiteten sie mit anderen im Büro Winkelmann. Neue Räumlichkeiten mussten her. 1910 zog Winkelmann samt Büro in die Geisbergstraße 43.

Die Hotelbesitzerin Emma Tscheutschner erinnerte sich zu ihrer Anfrage über den erforderlichen Umbau ihres Hotels, Kurfürstenstraße 112a Ecke Keithstraße: „Als ich Frl. Winkelmann den Hausplan vorlegte u. sie insbesondere auf die ärgerlichen Schwierigkeiten hinwies, die mir die drei Eckzimmer mit ihrem Eingang in jeder Etage bereiteten, sagte sie nach 12 Minuten des Überlegens – ich hatte die Uhr vor mir u. zufällig darauf gesehen: ‚Ich weiß, wie man es machen könnte!' 2 Architekten u. den Erbauer des Hauses hatte ich vorher um Rat gefragt, wie man das Haus vorteilhafter ändern könnte. Keiner dieser drei Architekten wussten Rat – mit welcher Genialität meisterte Emilie W. alle Schwierigkeiten ...“

Bauen für Frauen
Tscheutschner beeindruckte nicht nur der Entwurf, sondern auch die kurze, dreimonatige Bauzeit. Nach Fertigstellung durfte Winkelmann 1912 ihr gesamtes Büro mit allen 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hochparterre und Zwischengeschoss des Hotels unterbringen. Der Hotelumbau begeisterte die Hotelgäste, Landadlige wie die Familie von der Marwitz, den Baron von der Lepel, die Familie von der Schulenburg sowie Joachim von Rosenberg, die sich nach dem wunderbaren „Architekten“ erkundigten. Sie alle besäßen von Pommern über Mecklenburg und Schleswig bis Westfalen Herrenhäuser oder Landsitze, die dringend des Umbaus und der Sanierung bedürften. Tscheuschner verwies darauf, dass ihr Hotel nunmehr auch über ein Architekturbüro verfügte, betrieben und geleitet von Emilie Winkelmann, der ersten selbstständig freischaffenden Architektin in Deutschland.

1912 organisierte Gertrud Bäumer für den Lyceum-Club unter allerhöchstem Protektorat ihrer Majestät der Kaiserin und Königin in den Ausstellungshallen am Zoologischen Garten die Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“. Winkelmann wurde gefragt, ob sie denn auch schon fertige Projekte anzubieten habe. Sie konnte sich mit 30 umgesetzten Planungen an der Ausstellung beteiligen. Die Ausstellung wurde finanziell ein großer Erfolg, der es dem Lyceum-Club erlaubte, ein Wohnhaus am vornehmen Lützowplatz zu erwerben. Für den erforderlichen Umbau des „Hauses des Deutschen Lyceum Clubs“ verpflichtete der Club seine rührige Architektin.

Zu jener Zeit war es der Genossenschaft für Frauenheimstätten gelungen, zur Wohnungsversorgung alleinstehender, berufstätiger Frauen und Ruheständlerinnen ein Baugrundstück in Babelsberg-Nowawes bei Potsdam zu erwerben. Winkelmanns Entwurf sah 14 separate Wohnungen um Gemeinschaftsräume und Gemeinschaftsküche vor. Das Haus wurde 1914 von jenen Frauen bezogen, „die sich nach der Mühe eines arbeitsreichen Daseins eine gewisse Selbständigkeit bewahren wollten, ohne dabei zu völliger Einsamkeit verdammt zu sein“. So galt beispielsweise der Lehrerinnenzölibat noch bis 1919.

Nationalen Ruf erreichte Winkelmann mit dem Gewinn des Wettbewerbs zum Bau des „Hauses der Frau“ für die Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik auf der Buchmesse in Leipzig 1914. Sie erhielt die goldene Medaille der Stadt Leipzig für die Ausführung.

Im selben Jahr gewann Winkelmann den Wettbewerb zum Victoria-Lyzeum, einem Mädchen- und Fraueninternat (heute Ottilie-von-Hansemann-Haus). Zur breiten Berliner Straße 37/38 (heute Otto-Suhr-Allee 18–20) legte sie in Sichtweite zur Technischen Universität Charlottenburg einen großen Portikus mit Altan. In diesem Gebäudetrakt waren die Gemeinschafts- und Klassenräume sowie ein Hör- und Theatersaal untergebracht. Die Wohnräume der Studentinnen lagen in den Seitenflügeln, die einen parkartigen Garten umschlossen. An der hinteren Grundstücksgrenze blieben das Pförtner- und Kutscherhaus im Bestand erhalten. Die Sponsorin des Studienhauses für Frauen, Ottilie von Hansemann, gestattete es Winkelmann, das Kutscherhaus als Wohnung und Architekturbüro umzubauen und zu nutzen. Ab 1917 residiert die Architektin in der Frauenhofer Straße 23–27.

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurden schwere Zeiten für das Büro Winkelmann. Dem Lyceum-Club ging der Adel verloren. Wer sich noch keine Villa hatte bauen lassen, baute auch keine mehr. Außerdem gab es mit dem Bauhaus in Weimar und dem Neuen Bauen nun eine neue zeitgemäße Architektursprache. Winkelmann verschloss sich dieser keineswegs, etwa mit dem Landhaus für Irmgard Bennaton, das durch seine Klinker-Sichtmauerwerksfassade der hanseatischen Moderne eines Fritz Schumacher oder Fritz Höger verpflichtet scheint. Nur die Aufträge für Gutshäuser, etwa Brinkhof, Carwitz, Grüntal, Klein-Kiesow, Kruge, Meden, Mellenthien, Petkow, Wiek oder Wundichow, sowie die Rittergüter Borowo, Friedrichstein, Gutsch, Kähmen, Nechteln bei Brühl, Neukirch, Nieden, Nietuszkowo, Schelploh oder Wiesau sicherten vorerst den Bestand des Büros. Eduard Jobst Siedler befürwortete 1928 Winkelmanns Aufnahme in den Bund Deutscher Architekten, Landesbezirk Brandenburg. Als es dann doch nicht mehr reichte, zog sie mit stark reduziertem Büro in die Nürnberger Straße 7-8.

Ab 1933 bemühte sich Winkelmann, ihren Beruf fortsetzen zu können. Den Ariernachweis konnte sie erbringen. In die Reichskulturkammer der Bildenden Künste wurde sie 1938 aufgenommen. 1942 ließ sie der Rüstungsminister und Architekt Albert Speer auffordern, sich wie alle Architekten der Rüstungsproduktion zur Verfügung zu stellen. Die Gräfin von Saldern-Grünthal geborene von der Schulenburg bot Winkelmann Schutz und Versteck in dem von ihr sanierten Schloss bei Bernau. Nach dessen Bombardierung wechselten beide Frauen in das Anwesen Hovedissen der Familie von der Schulenburg in Leopoldshöhe. Hier erlebten sie das Kriegsende.

Winkelmann sah die Not der Flüchtlinge und baute jeden freien Quadratmeter im Gut und im umliegenden Bestand zu Notunterkünften um. Ihr letztes vollendetes Projekt ist das Wohnhaus für die Familie Grätz in Schuckenbaum bei Bielefeld. Am 4. August 1951 starb Emilie Winkelmann in Detmold. Am 4. September 1951 wurde sie in ihrem damals zur DDR gehörenden Geburtsort im Familiengrab beigesetzt.


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