06.09.2025

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Haushaltspolitik

Die Bürgergeld-Scheinreform

Mit buchhalterischen Tricksereien betreibt die Regierung Augenwischerei

Peter Entinger
23.07.2025

Friedrich Merz preschte verbal weit nach vorn: Im Dezember hatte er als CDU-Vorsitzender angekündigt, das Bürgergeld grundlegend zu reformieren. Man werde das System „vom Kopf auf die Füße stellen“, und „zweistellige Milliardenbeträge“ ließen sich einsparen, so die markige und ebenso vielversprechende Botschaft in einem Wahlkampf, der sich nicht zuletzt an jene richtete, die sich von der Ampel-Politik sozialpolitisch entfremdet fühlten.

Gut ein halbes Jahr später entpuppt sich die Ankündigung mehr und mehr als leeres Versprechen. Der Haushaltsplan für 2025, den Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas vorgelegt hat, sieht für das Bürgergeld im Gegenteil sogar eine Rekordsumme von fast 52 Milliarden Euro vor – fast zehn Prozent mehr als 2024.

Was zunächst wie ein offener Widerspruch erscheint, wird von der Bundesregierung jetzt mit Worthülsen schöngeredet. Die schwarz-rote Koalition betont, mittelfristig mit sinkenden Ausgaben zu rechnen. Faktisch aber steigen die Kosten in allen Bereichen des Bürgergelds erst einmal. Die reinen Regelleistungen belaufen sich auf 29,6 Milliarden Euro, hinzu kommen 13 Milliarden für Unterkunft und Heizung sowie 4,1 Milliarden für Eingliederungsmaßnahmen. Dass die Gesamtzahl der Leistungsbezieher mit rund 5,5 Millionen Menschen weiter auf einem historischen Hoch verharrt, liegt nicht zuletzt an der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt. 2,9 Millionen Menschen sind arbeitslos gemeldet, die Konjunktur stagniert, die Zahl der offenen Stellen liegt mit 630.000 auf dem niedrigsten Niveau seit der Corona-Pandemie. Viele Menschen kommen schlichtweg nicht in Beschäftigung – und selbst wenn, reicht das Einkommen häufig nicht zum Leben.

Ein besonderer Fokus liegt auf den ukrainischen Flüchtlingen, die seit 2022 bei einer Schutzgewährung unmittelbar Anspruch auf Bürgergeld haben. Das soll sich nach Willen der Bundesregierung künftig ändern: Wer nach dem 1. April 2025 eingereist ist, soll nicht mehr unter die Bürgergeld-Regelung fallen, sondern dann Leistungen nach dem niedrigeren Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Eine formale Einsparung von rund 900 Millionen Euro sei so möglich, heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium. Aber: Die Ausgaben verschwinden nicht, sie verlagern sich lediglich – auf Länder und Kommunen, die weiterhin für Unterkunft, medizinische Versorgung und soziale Betreuung aufkommen müssen. Dass der Bund diese Ausgaben wiederum kompensieren will, zeigt: Es handelt sich eher um eine buchhalterische Verschiebung als um echte Haushaltskonsolidierung.

Zu großer Mehraufwand
Zugleich wird deutlich: Die Versprechungen aus dem Unionslager sind mit den strukturellen Realitäten der Sozialpolitik kaum in Einklang zu bringen. CSU-Chef Markus Söder fordert ein „Update“, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einen „Paradigmenwechsel“. Wer zumutbare Arbeit wiederholt verweigere, dürfe keine Unterstützung mehr erhalten, so Linnemann. Auch Kanzler Merz hat angekündigt, es werde künftig „vollständige Leistungskürzungen“ geben. Doch was sich martialisch anhört, stößt in der Praxis auf rechtliche sowie administrative Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 deutlich gemacht, dass existenzsichernde Leistungen nur in sehr engen Ausnahmefällen gekürzt oder gestrichen werden dürfen. Und auch Jobcenter-Mitarbeiter warnen vor einem Mehraufwand, der mitunter in keinem Verhältnis zur eingesparten Summe stehe.

Denn in Wahrheit bewegt sich der Sanktionsrahmen in einem engen Korridor. Leistungsminderungen gibt es zwar – zuletzt rund 33.000 Fälle in einem Monat –, doch der maximale Kürzungsbetrag liegt meist bei zehn Prozent der Regelleistung. Auch der Leiter des Forschungsbereichs am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Enzo Weber, äußert sich skeptisch: Der verwaltungstechnische Aufwand für Sanktionen sei hoch, ihr disziplinierender Effekt hingegen fraglich. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass Leistungsbezieher vorschnell in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedrängt würden, die langfristig weder stabil noch integrationsfördernd seien.

Ideologische Gräben sind zu tief
Dennoch halten Union und SPD an der Grundsatzreform fest. Im Koalitionsvertrag ist eine „neue Grundsicherung“ angekündigt.  Vermittlung in Arbeit soll Vorrang erhalten, die Anrechnung von Vermögen früher einsetzen, Sanktionen sollen verschärft werden. Doch aus Sicht vieler Kritiker ist das Bürgergeld längst zu einem Magnet für Menschen geworden, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen – eine Einschätzung, die auch AfD-Chefin Alice Weidel kürzlich im Bundestag betonte.

IAB-Forscher Weber plädiert für eine umfassendere Strategie: mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme, konsequente Qualifizierung, verbindliche Regeln und eine aktive Wirtschaftspolitik zur Schaffung neuer Jobs. Nur so lasse sich ein relevanter Teil der Bürgergeld-Empfänger tatsächlich in Beschäftigung bringen. Doch der Weg dahin ist steinig – und ob die Große Koalition der Reformer, die Merz und Bas gleichermaßen beschwören, tatsächlich liefert, ist ziemlich ungewiss. Zu tief sind die ideologischen Gräben, zu unterschiedlich die politischen Ansätze beider Parteien, die in einem zweckdienlichen Machtbündnis verharren. Fest steht: Das Bürgergeld steht vor einer tiefgreifenden Reform. Doch ob diese am Ende tatsächlich die versprochenen Einsparungen bringt, oder ob nur ein Etikettenschwindel betrieben wird, ist noch offen.


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