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Im Rentenstreit ringen Union und SPD mit dem Erbe früherer Zeiten. Doch haben sich auch die Gestalter von heute längst an künftigen Generationen versündigt
Es ist noch nicht sicher, wie der Streit zwischen den „Renten-Rebellen“ in der Union und der Bundesregierung am Ende ausgehen wird. Mitte der Woche zumindest hielten noch immer fast alle jungen Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU die von Sozialministerin Bärbel Bas vorgelegten Rentenpläne der Regierung „für nicht zustimmungsfähig“.
Damit droht der schwarz-roten Regierung ein halbes Jahr nach ihrem Start nicht nur eine weitere Schlappe (nach der gescheiterten Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht). Sondern es stellt sich ganz offen die Frage nach dem Fortbestand der Koalition. Die SPD-Co-Vorsitzende Bas machte bereits die Verabschiedung ihres Gesetzentwurfes zur Bedingung für eine weitere Zusammenarbeit mit der Union.
Unabhängig davon, ob am Ende doch noch ein Kompromiss zustande kommt, wird hier einmal mehr deutlich, dass auf dem Handeln der Bundesregierung kein Segen liegt. Anstatt vor der Vereidigung von Bundeskanzler Friedrich Merz und seinem Kabinett zu klären, wohin Union und SPD unser Land in grundlegenden Fragen führen wollen, haben sie unter dem zeitlichen Druck des nahen Zusammentretens des neuen Bundestags die Kräfte darauf verwandt, schnell noch mit den Mandatsverhältnissen des vorherigen Bundestags die Schuldenbremse aufzuweichen, um dann (scheinbar) genug finanzielle Spielräume für ein behagliches Regieren zu haben, bei dem jeder Koalitionspartner das bekommen sollte, was sein Herz begehrt. Der Rentenstreit zeigt indes, dass die strukturellen Probleme der Bundesrepublik Deutschland – und das meint vor allem ihren Sozialstaat – so groß sind, dass kein noch so großes Schuldenprogramm sie verdecken kann.
In ihrem Tun und Lassen sind die Akteure der Bundesregierung Getriebene und sündige Täter zugleich. Getrieben sind sie, weil sie wesentliche Rahmenbedingungen nicht selbst herbeigeführt haben. Das Leben über die Verhältnisse, das ein Wesensmerkmal des deutschen Sozialstaats ist, hat bereits Anfang der 1970er Jahre begonnen, als die damalige sozial-liberale Koalition auf das Ende des Wirtschaftswunders und die Rezession von 1966/67 nicht mit einer Rückkehr zu den Erfolgsrezepten Ludwig Erhards antwortete, sondern mit den Irrlehren von John Maynard Keynes und anderen.
Seitdem ist nicht nur der Glaube, dass der Staat in Krisenzeiten nur genug Geld in die Hand nehmen müsse, um die Dinge wieder zum Besseren zu bewegen, unerschütterlich, sondern auch das schlechte Gewissen dahin, selbst in unguten Zeiten über die eigenen Verhältnisse zu leben, solange sich nur eine Bank findet, die dem Staat für das „Weiter so“ das Geld leiht.
Immer weiter in die Sackgasse
In diesen Kontext gehört auch, dass wann immer ein verantwortungsbewusster Akteur den Mut zu echten Reformen aufbrachte, sich schnell ein Profiteur fand, der Ängste vor „sozialer Kälte“ schürte und damit erfolgreich auf Stimmenfang ging.
So wurde die Regierungserklärung von Gerhard Schröder vom 14. März 2003, in der er die „Agenda 2010“ zur Reform des Sozialstaats verkündete und offen sagte: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen“, nicht nur zum Startschuss für eine fast zwanzigjährige wirtschaftliche Blütezeit unseres Landes, sondern auch zum Wiederbelebungsimpuls für längst abgehalfterte linke Staatsfetischisten. Die PDS etwa, die bei der Bundestagswahl 2002 gerade einmal vier Prozent erzielt hatte, verdoppelte ihr Ergebnis 2005 auf 8,4 Prozent, während Schröders SPD zeitgleich von 38,5 auf 34,2 Prozent absackte.
Seine ökonomisch richtigen Schritte hinderten den damaligen Kanzler freilich nicht daran, im Wahlkampf 2005 selbst zur Sozialstaatskeule zu greifen und insbesondere den Verfassungsrechtler Paul Kirchhof, der in einem unter Mitwirkung „großer“ wie „kleiner“ und „schwarz“ wie „rot“ regierter Bundesländer gebildeten Steuerkreis ein einfaches, transparentes und trotzdem sozial gerechtes Steuermodell entwickelt hatte, als elitären „Professor aus Heidelberg“ zu verunglimpfen. Da Schröder damit fast Erfolg gehabt hätte, zog seine Nachfolgerin Angela Merkel, die 2003 in Leipzig ihrer Partei gerade erst einen liberalen wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs gegeben hatte, die Konsequenz, dass ökonomisch sinnvolles Handeln von den Wählern nicht goutiert wird.
Insofern sind die Akteure von heute tatsächlich Getriebene – Merz von einer zutiefst staatsgläubigen SPD und die Sozialdemokraten von einer inzwischen zur „Linkspartei“ mutierten PDS, die mit ihrer neuen Führung so extremistisch ist wie nie seit dem Rücktritt von Erich Honecker vom SED-Vorsitz am 18. Oktober 1989.
Gleichwohl sind die Protagonisten in der Bundesregierung – vor allem der Kanzler, die Sozialministerin und Finanzminister Lars Klingbeil – auch Täter. Mit der Verabredung zur Aushebelung der Schuldenbremse haben sie sich noch vor ihrem Amtsantritt bewusst für die Fortsetzung des bequemen Lebens über die Verhältnisse entschieden – und sich damit zulasten Dritter verschworen. In diesem Fall der jüngeren Generation, der skrupellos die Rechnung für das Aufrechterhalten der Illusion von Wohlstand zugeschoben wird.
Anstatt, wie vom Kandidaten Merz noch im Wahlkampf lauthals versprochen, den Irrweg des weiteren Lebens über die Verhältnisse zu beenden und stattdessen ein Entkommen aus der sozialpolitischen Sackgasse zu suchen, fährt der nunmehrige Kanzler sehenden Auges noch tiefer in diese hinein. Das Problem an Sackgassen aber ist, dass es aus ihnen keinen Ausweg gibt – außer der Umkehr zu dem Punkt, an dem man falsch abgebogen ist.
Für die deutsche Politik heißt das, dass sie entweder, wie von Merz im Wahlkampf versprochen, nur noch das (durchaus üppige) Geld ausgibt, was zuvor durch Steuern und Abgaben eingegangen ist – oder aber, dass der Karren namens Sozialstaat vor die Wand fährt. Da der Weg durch die Sackgasse schon eine ganze Weile anhält, dürfte letzteres eher früher als später geschehen.