04.12.2025

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Mit Zigarette: Hannah Arendt im Jahre 1944
Bild: pcture alliance/Fred Stein/Fred SteinMit Zigarette: Hannah Arendt im Jahre 1944

Hannah Arendt

Rauchende Kämpferin gegen den Totalitarismus

Die vor 50 Jahren gestorbene Jüdin verglich den Rechts- mit dem Linksextremismus – und bekämpfte beide

Bernhard Knapstein
04.12.2025

Die Republik taumelt durch eine Phase, in der Parteien und ein linker Mainstream-Journalismus vorgeben, was gesagt und gedacht werden darf, und in der andere Haltungen schnell als „Delegitimierung des Staats“ erachtet werden. Eine große deutsche Denkerin, die dazu einiges zu sagen hätte, lebte sie noch, ist die am 4. Dezember 1975 gestorbene Hannah Arendt.

„Wo Parteien die Debatte ersetzen und das öffentliche Leben verwalten, stirbt die Freiheit des Politischen“, schrieb sie „Zur Krise der Republik“ 1968.

Ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod wirkt ihre Stimme seltsam gegenwärtig, fast unheimlich vertraut. Arendt war keine Systemtheoretikerin, keine Ideologin, kein Parteimensch. Sie war – im tiefsten Sinne – eine Verteidigerin des Politischen gegen die Versuchung der Herrschaft, gleich welcher Couleur. In einer Zeit, in der demokratische Gesellschaften ihre Konflikte zunehmend verwalten statt austragen, in der bestimmte Ansichten nicht mehr widerlegt, sondern aus dem Raum des Sagbaren verbannt werden, lohnt es, Arendt neu zu interpretieren. Brandmauern kannte Arendt nicht, nur den Austausch von Argumenten im ketterauchenden Diskurs.

Für den Pluralismus der Meinungen
Hannah Arendt hatte Königsberger Vorfahren und ist auch in der Pregelmetropole aufgewachsen. Geboren wurde sie indes 1906 im ebenfalls preußischen Linden bei Hannover. Früh schon begegnete die Angehörige einer bürgerlich-jüdischen Familie dem intellektuellen Leben: Studium der Philosophie bei Martin Heidegger, Karl Jaspers und Edmund Husserl, erste Begegnung mit der deutschen Philosophie des politischen Denkens. Die politische Brutalität ihrer Zeit prägte sie persönlich. 1933, nach der Machtergreifung Adolf Hitlers, floh sie aus Deutschland, 1937 nach Paris, später in die USA. Die Erfahrung von Exil, Entrechtung und totalitärer Gewalt hinterließ tiefe Spuren in ihrem Denken: Sie lernte, dass politische Strukturen ebenso gefährlich sein können wie offene Gewalt, dass Worte und Gesetze brüchig sind, wenn sie nicht im öffentlichen Raum bestätigt werden.

Für Arendt war Politik niemals die Kunst des Machterhalts. Politik bedeutete Handeln unter Gleichen, das Ringen um eine gemeinsame Welt, getragen vom Wort, nicht vom Befehl. In ihrer Beobachtung der Weimarer Republik erkannte sie, wie Parteien die Öffentlichkeit zähmen und Debatte zu taktischem Spiel degradieren konnten. Die Erfahrung des deutschen Parteienstaats, der politische Opposition diskreditiert und aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt, war für sie ein Mahnmal. Hier beginnt die stille Verdrängung des Politischen, hier stirbt der Raum für Pluralität.

Auch ihr Exil in Frankreich und schließlich in den USA zeigte ihr, wie unterschiedlich Parteienkulturen Demokratie prägen. In den USA lehrte und schrieb sie, beobachtete die Funktionsweise von Lobbyismus, Parteidisziplin und politischer Konformität. Sie sah, dass Selbstschutz der Institutionen häufig Vorrang vor argumentativer Auseinandersetzung gewinnt – ein Phänomen, das sie in Deutschland wie in den USA als Bedrohung der Freiheit analysierte.

Die Gegenwart kennt einen neuen, subtileren Mechanismus des Ausschlusses. Nicht mehr der Ausnahmezustand des Souveräns, sondern das moralische Verdikt über das Sagbare regiert. Wer außerhalb des angenommenen Konsenses spricht, gilt nicht mehr als Gegner, sondern als Gefährder. Arendt hätte darin eine gefährliche Verschiebung erkannt: Vom Streit über Positionen hin zur Kontrolle der Positionierbarkeit selbst. Wenn nicht mehr gestritten, sondern nur noch abgegrenzt wird; wenn Dissens nicht mehr als notwendiges Moment der pluralen Öffentlichkeit begriffen wird, sondern als Vorstufe des Extremismus, dann verliert die Demokratie ihren innersten Kern. Sie verkommt zu dem, was Arendt eine „Verhinderung des Politischen“ nannte – die Herrschaft der Alternativlosigkeit.

Dabei war Arendt keine Romantikerin des Dissenses. Sie kannte den Abgrund menschlicher Politik – sie hatte ihn erlebt, in den Gleichschaltungstechniken des Totalitarismus ebenso wie in der opportunistischen Selbstzerstörung der Weimarer Öffentlichkeit. Aber gerade deshalb bestand sie auf einer Einsicht: Politische Freiheit bedeutet nicht, dass alles gut wird – sie bedeutet, dass etwas Neues überhaupt möglich bleibt. Ihr Begriff der „Natalität“, der Fähigkeit zum Anfang, ist vielleicht ihr hellster Gedanke gegen die bleierne Atmosphäre politischer Stillstellung. Freiheit ist für sie weniger eine Rechtsform als ein Ereignis: das Erscheinen im öffentlichen Raum, das gesprochene Wort, der Widerspruch, der sich nicht entschuldigt.

Für die politische Toleranz
Arendt wusste, dass Freiheit anstrengend ist. Dass sie riskant ist. „Die Freiheit ist ein heikles Geschäft“, schreibt sie, „denn sie kann immer missbraucht werden.“ Aber für sie war das kein Grund zur Zähmung, sondern der Grund für Öffentlichkeit selbst. Eine Gesellschaft, die Konflikte nur noch als Gefahr begreift und nicht mehr als Quelle politischer Energie, verliert das, was sie schützen will. In diesem Sinne war Arendt eine Radikale – aber nicht im Sinne der Feindschaft, sondern der Öffnung. Radikal in der Forderung: Lasst uns einander aussetzen. Nicht abschaffen, nicht neutralisieren, nicht moralisch vernichten – sondern hören, sprechen, handeln.

50 Jahre nach ihrem Tod bleibt Arendt unbequem. Sie passt nicht in die Lager und in die Erzählung der „wehrhaften Demokratie“ ebenso wenig wie in die der Systemopposition. Sie wäre vermutlich misstrauisch gegenüber beiden Seiten. Ihr Maßstab war ein anderer: Gibt es noch einen Raum, in dem Menschen sich als Handelnde begegnen – nicht als Rollen, Zielgruppen oder Risiken? Wenn wir diese Frage heute stellen, nicht abstrakt, sondern angesichts echter Spaltungen, dann verstehen wir vielleicht, warum Arendt nicht veraltet, sondern dringlich wirkt.

Vielleicht ist das ihre eigentliche Botschaft zum 50. Todestag: Die Demokratie stirbt nicht am Streit. Sie stirbt daran, dass einige mit anderen nicht mehr streiten wollen, ohne zugleich deren Vernichtung anzustreben.


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