Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
60 Meter Durchmesser, acht Meter hoch: Die „Ostsee-Anomalie“ im Bottnischen Meerbusen beflügelt die Phantasie – Noch diesen Sommer wollen Forscher Näheres herausfinden
Moderne Schatztaucher durchstöbern Wracks nicht mehr nur nach Gold und Silber, sondern auch nach gut verkorkten alten Champagner-, Wein- und Cognacflaschen, die auf Auktionen regelmäßig gutes Geld bringen. Darauf beruht unter anderem das Geschäftsmodell des schwedischen Unternehmens Ocean Explorer von Peter Lindberg und Dennis Åsberg. Im Juni 2011 untersuchte das firmeneigene Bergungsschiff „Ancylus“ den Grund des Bottnischen Meerbusens nördlich der Åland-Inseln in den internationalen Gewässern zwischen Schweden und Finnland.
Dabei zeigte das Sonar in 87 Metern Tiefe eine auffällige kreisrunde Struktur von rund 60 Metern Durchmesser und bis zu acht Metern Höhe. Direkt daneben fanden sich auf dem Scannerbild weitere Auffälligkeiten am Meeresboden, die als 300 Meter lange „Schleifspur“ interpretiert wurden. Bei einer erneuten Erkundungsfahrt entdeckte das Ocean-Explorer-Team sogar noch eine zweite, kleinere Struktur von ähnlicher Form.
Um herauszufinden, was da in der Tiefe ruht, wagten sich die Taucher des Bergungsunternehmens um Stefan Hogeborn am 6. Juni 2012 zu der größeren Struktur hinab, welche inzwischen den Namen „Ostsee-Anomalie“ erhalten hatte. Hierbei stießen sie auf eine Formation, die „wie aus Zement gegossen“ wirkte und Gänge, Wände, Treppen sowie Einstiegsöffnungen aufzuweisen schien. Der erfahrene Hogeborn war mächtig erstaunt: „Ich habe noch nie etwas Vergleichbares am Meeresboden gesehen.“
Außerdem wurden Gesteinsproben nach an die Oberfläche befördert, von denen eine offenbar Temperaturen von mehr als 1200 Grad ausgesetzt gewesen war. Merkwürdig mutete zudem an, dass bei der Annäherung an das Objekt die Videokamera und das GPS-System der Taucher streikten.
Menschlich oder natürlich?
Weil die britische Boulevardzeitung „Daily Mail“ sowie die US-Nachrichtensender CNN und NBC über den Tauchgang berichteten, erlangte die Ostsee-Anomalie nun weltweite Bekanntheit. Allerdings mischte sich in die Begeisterung schnell auch Kritik. So bemängelten Dan Fornari und Hanumanth Singh von der US-amerikanischen Woods Hole Oceanographic Institution die schlechte Qualität der Sonaraufnahmen, welche „zahlreiche Bildartefakte“ aufwiesen und daher „unbrauchbar für die Identifizierung einer Unterwasserformation“ seien.
Und Jonathan Hill von der School for Earth and Space Exploration der Arizona State University witterte gar Betrug: „Wenn Leute außergewöhnliche Behauptungen aufstellen, ist es immer eine gute Idee, einen Moment darüber nachzudenken, ob sie persönlich davon profitieren oder ob es sich um eine wirklich objektive Beobachtung handelt.“
Auf der Gegenseite standen all jene, welche in den beiden Objekten auf dem Meeresgrund abgestürzte Flugkörper von Außerirdischen zu erkennen glaubten und darauf verwiesen, dass die Ostsee-Anomalie verblüffende Ähnlichkeit mit dem „Millennium-Falken“ besitze, also einem Raumschiff aus der Science-Fiction-Filmserie „Star Wars“. Andere vermuteten ein havariertes sowjetisches U-Boot aus dem Kalten Krieg. Ebenso populär wurde die Theorie vom steinzeitlichen Ursprung der Formation: Da sich der Bottnische Meerbusen erst vor rund 8000 bis 12.000 Jahren mit Wasser gefüllt habe, könnte die Formation das Ergebnis menschlicher Arbeit sein und ein besonders großes Megalithbauwerk darstellen – vielleicht sogar errichtet von den Bewohnern des sagenhaften Ur-Kontinents Atlantis.
Und dann waren da noch die Erklärungen der Geologen, welche das Alter der Ostsee-Anomalie auf rund 15.000 bis 140.000 Jahre schätzten. Volker Brüchert von der Universität Stockholm meinte, dass die unterseeische Struktur aus Granit, Gneis oder Sandstein bestehe und aus der jüngsten Eiszeit stamme. Er tippte dabei auf eine von Gletschern herausgearbeitete Formation oder auf sogenannte Dropstones: Steine, die vom Eis gerutscht und auf den Meeresgrund gesunken seien.
Keine Erklärung kann befriedigen
Ausgeschlossen wurde dagegen eine vulkanische Ursache, weil die letzten vulkanischen Aktivitäten in der Region bereits mehr als 150 Millionen Jahre zurückliegen und die Ostsee-Anomalie nicht hinreichend stark verwittert ist. Ansonsten lieferte der finnische Geomorphologe Jarmo Korteniemi noch eine Erklärung für die „Schleifspur“ beziehungsweise „Landebahn“: Am Boden des Bottnischen Meerbusens gebe es viele solcher Rillen infolge von Gletscherbewegungen.
Eine neue Dynamik erhielt die Diskussion über die Natur der Ostsee-Anomalie durch die Wortmeldung des ehemaligen schwedischen Marineoffiziers Anders Autellus. Dieser behauptete, man habe es hier mit dem Fundament einer unterseeischen Netzsperre der Sicherungsverbände der deutschen Kriegsmarine aus dem Jahre 1943 zur Verhinderung der Passage sowjetischer U-Boote zu tun.
Allerdings wurde daraufhin die berechtigte Frage gestellt, wieso diese Sperre eine derart massive Befestigung benötigte. Denn normalerweise waren die Verankerungen deutscher Netzsperren in der Gedser-Enge, der Flint-Rinne und an anderen neuralgischen Punkten der Ostsee sehr viel kleiner gewesen.
Ungeachtet dessen scheinen die westlichen Seestreitkräfte ab 2014 Interesse an dem mysteriösen Objekt entwickelt zu haben. So berichteten Mitarbeiter von Ocean Explorer über wiederholte Sichtungen von Kriegsschiffen „genau über“ der Formation. Später versuchten Lindberg und Åsberg, schärfere Bilder von der Anomalie zu liefern, indem sie ein modernes Sonar einsetzten, der 3-D-Ansichten generierte, die sich letztlich aber auch nicht wesentlich anders als die bisherigen Aufnahmen interpretieren ließen.
Jedoch kamen parallel noch zwei rechteckige Gebilde von 13 mal 25 Metern Größe in der Nähe der beiden kreisförmigen Formationen zum Vorschein. Danach wurde es zunächst still um das ungeklärte Mysterium auf dem Grunde der Ostsee. Allerdings teilte Åsberg unlängst mit, dass seine Firma beabsichtige, ihre Untersuchungen im Sommer dieses Jahres fortzusetzen. Einen Hinweis auf deren mögliche Zielrichtung bietet die geplante Teilnahme der Astronomin Beatrix Villaroel vom Nordic Institute for Theoretical Physics in Stockholm.