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Thomas Mann sympathisierte nacheinander mit dem Kaiserreich, der Münchner Räterepublik, der Weimarer Republik und der RAF
Erst nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs betrat der spätere Literaturnobelpreisträger Thomas Mann die Arena politischer Meinungskämpfe, dafür aber umso dröhnender. In einem verbalen Zweifrontenkrieg attackierte er äußere Feinde und innenpolitische Gegner des deutschen Kaiserreichs, beispielsweise das mit „Décadence gepuderte Franztum“, das noch immer das „revolutionäre Stroh von 1789“ dresche und minderwertige „Zivilisationsliteratur“ hervorbringe.
Der Schöpfer der „Buddenbrooks“ verabscheute die liberalen und demokratischen Ideen des Westens und bejubelte stattdessen das „Tiefe und Irrationale“ des Anti-Christen Friedrich Nietzsche und des Judenverächters Richard Wagner: „Deutschland, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht und Literatur.“ Als schwächlicher „Zivilisationsliterat“ galt ihm auch der ältere Bruder Heinrich Mann, der fernab von wilhelminischen Wallungen seinen gesellschaftskritischen Roman „Der Untertan“ verfasst hatte.
Seinen kriegerischen Furor kleidete Thomas Mann in schrille Metaphern: „Wir kannten sie ja, diese Welt des Friedens. [...] Wimmelte sie nicht von dem Ungeziefer des Geistes wie von Maden? Gor und stank sie nicht von den Zersetzungsstoffen der Zivilisation?“ („Gedanken im Kriege“, 1914). Höhepunkt seines nationalreaktionären Sendungsbewusstseins war der 600 Seiten starke Makro-Essay „Betrachtungen eines Unpolitischen“ von 1918. In nebulöse Gefühlswelten abdriftend, fabulierte Mann von einer „pazifizierten Esperanto-Erde“, wenn die „landfremde Demokratie“, also die „wahrscheinlich Dummen über die wahrscheinlich Klugen“ im Krieg obsiegen und den vortrefflichen Dünger des deutschen Weltgeists ein für alle Mal beseitigen würden.
Dazu passt das klischeehafte Judenbild seiner frühen Publikationen. In der Erzählung „Der Wille zum Glück“ (1896) charakterisiert Thomas Mann eine jüdische Frauenfigur: Ihr Gesicht „mit der fleischigen Nase“ lässt „nicht den geringsten Zweifel aufkommen über ihre wenigstens zum Teil semitische Abstammung“. Die spätere positive Haltung des Autors zum Judentum − in den 1920er Jahren wurde er zum Zionisten und trat einem „Pro Palästina Komitee“ bei, das die jüdische Besiedlung des Landes forderte − rührte aus seiner Ehe mit der Münchnerin Katia Pringsheim. Sie entstammte einer assimilierten jüdischen Künstler- und Intellektuellenfamilie.
„Landfremde Demokratie“
Auch Thomas Manns geistige Hingabe an das deutsche Kaiserreich, die kriegerischen und deutschnationalen Töne verschwanden plötzlich. Revolutionäre Geschehnisse seiner Wahlheimat München, die 1918/19 zu einer kurzlebigen Räterepublik führten, beobachtete er mit Neugier und teils radikaler Sympathie. Am 24. März 1919 notierte er in seinem Tagebuch: „Ich bin imstande, auf die Straße zu laufen und zu schreien ‚Nieder mit der westlichen Lügendemokratie! Hoch Deutschland und Rußland! Hoch der Kommunismus!'“
Sein nächster Quantensprung, ausgerechnet zur vormals gescholtenen „westlichen Lügendemokratie“, offenbarte sich bei einer Ansprache zum 60. Geburtstag des Schriftstellerkollegen Gerhard Hauptmann. „Es lebe die Republik!“, rief Thomas Mann dem verblüfften Berliner Publikum am 13. Oktober 1922 zu. Woher kam dieser auffällige Stellungswechsel?
Eine wichtige Rolle dürften Freikorpsaktivitäten und politische Morde der Weimarer Republik gespielt haben. „Da steht der Feind, [...] und dieser Feind steht rechts“, erzürnte sich Reichskanzler Joseph Wirth (Zentrum) vor dem Deutschen Reichstag, nachdem Außenminister Walther Rathenau (Deutsche Demokratische Partei) am 24. Juni 1922 einem Attentat zum Opfer gefallen war. Hinzu kam Manns Begeisterung für Reichspräsident Friedrich Ebert. Den Tod des ihm persönlich bekannten
Sozialdemokraten beklagte er 1925 wie folgt: „Hier endet ein Mannesschicksal, das mit schlichter Würde, gelassener Vernunft getragen und erfüllt wurde. Meine Sympathie ist grenzenlos.“
„Hoch Deutschland und Rußland!“
Dass der aus linker Sicht vom wilhelminischen Saulus zum SPD-nahen Paulus gewandelte „Herzensrepublikaner“, um mit dem Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg, Bernd Braun, zu sprechen, irgendwann die NSDAP ins Visier nehmen würde, überraschte niemanden mehr. Am 17. Oktober 1930 war es so weit. In einer als „Deutsche Ansprache“ angekündigten Rede in Berlin bescheinigte Thomas Mann den Nationalsozialisten eine „Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsroheit“. Die Vernunft verhülle ihr Antlitz vor diesem „Veitstanz des Fanatismus“.
Weitere verbale Feindmarkierungen folgten und lösten heftige Reaktionen aus. NSDAP-Pioniere wie Joseph Goebbels beschimpften ihn, sodass der von Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler überraschte Schriftsteller spontan beschloss, von einem Pariser Vortrag nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Thomas Mann, seine Ehefrau Katia und ihre sechs Kinder waren Getriebene, lebten zunächst unter anderem in Südfrankreich, danach im Schweizer Städtchen Küsnacht, bevor die Angst vor einer Invasion durch das NS-Regime sie Anfang 1938 nach Princeton/New Jersey in die Vereinigten Staaten von Amerika auswandern ließ.
An der dortigen Universität bekam der gefeierte Nobelpreisträger eine Festanstellung als „Lecturer in the Humanities“. Zeitgleich publizierte er in einer Exilzeitschrift seinen Essay „Bruder Hitler“; der selbsternannte Führer des Deutschen Reiches wurde als „Vieh mit seinen Hysterikerpfoten“ verdammt. Nachdenklicher klang eine andere Passage des siebenseitigen Artikels: „Der Bursche ist eine Katastrophe, das ist kein Grund, ihn als Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden.“
Begeisterung für Präsident Ebert
Manns Agitation fand ihren Höhepunkt in einer von Oktober 1940 bis Dezember 1945 ausgestrahlten Sendereihe der British Broadcasting Corporation (BBC). Aufgenommen in Los Angeles, erreichten 55 Radioansprachen an „Deutsche Hörer!“ jene Landsleute in der alten Heimat, die sich vom Verbot des „Abhörens von Feindsendern“ nicht einschüchtern ließen. Mit seinen jeweils fünfminütigen Ansprachen wollte der Literat Unruhe im Deutschen Reich stiften und das Volk zum Aufstand gegen die braune Diktatur anstacheln.
Wiederholt schilderte er brutale NS-Verbrechen und zeigte sich überzeugt, dass nur die Alliierten den Krieg gewinnen könnten. Im April 1942 forderte Thomas Mann die Deutschen auf, mit dem Schlachtruf „Nieder mit Hitler und allem Hitler-Gesindel!“ die Straßen zu besetzen.
Natürlich war der hochtrabende Plan zum Scheitern verurteilt. Welche normalen „deutschen Hörer“ sollten sich zu einer aussichtslosen Revolte gegen den nationalsozialistischen Herrschaftsapparat zusammenschließen und ihren Edelmut mit dem sicheren Tod bezahlen? Dokument eines solchen Opfergangs war die von Thomas Mann bejubelte Aktion der Geschwister Scholl. Hinzu kam, dass der totale Krieg britischer Bomberflotten gegen deutsche Zivilisten zunächst zu einer Solidarisierung mit der Reichsregierung führte.
Ein nüchtern analysierender und argumentierender Gelehrter hätte das vorhergesehen. Thomas Mann offenbarte sich jedoch − wie schon im Ersten Weltkrieg − als wütender Gesinnungsethiker, der in verbalen Erregungsschleifen attackierte, was er zuvor als absolut Böses wahrgenommen hatte. Anfällig für prämodernes Kollektivschulddenken witterte er angesichts der ausbleibenden Revolution schuldhafte Verstrickungen des Volks mit dem NS-Regime und fragte Anfang 1942: „Erfasst euch Entsetzen bei dem Gedanken der Liquidation, der Abrechnung, der unausweichlichen Sühne?“
Rechtfertigung von RAF-Angriffen
Selbst das die Haager Landkriegsordnung verletzende Flächenbombardement seiner Heimatstadt Lübeck am 28. März 1942 durch die britische Royal Air Force (RAF) mit 320 Todesopfern, überwiegend Frauen und Kinder, hielt er für gerechtfertigt: „Ich denke an Coventry und habe nichts gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss.“
Fernab völkerrechtlicher Kategorien und historischer Fakten urteilte Thomas Mann auch über die deutsche Luftkriegführung. „Rotterdam, wo in zwanzig Minuten 30.000 Menschen den Tod fanden, dank einer Bravour, die von moralischem Irresein zu unterscheiden nicht leichtfällt“, polterte er über den Angriff auf die niederländische Hafenstadt am 14. Mai 1940. Tatsächlich waren es 814 Tote; und dass es überhaupt zu diesem Angriff kam, lag an einer tragischen Kommunikationsstörung zwischen der Befehlsebene der Luftwaffe und ihrer Bomberstaffel.
1952 verließen Thomas und Katia Mann die ihnen fremd gewordenen USA, wo der Kalte Krieg einen strammen Antisozialismus hervorgebracht hatte. Sie zogen in die Schweiz zurück und kauften eine Villa am Zürichsee. Mehrfach bereisten sie die beiden deutschen Staaten, wo Thomas Mann – insbesondere in Frankfurt am Main und Weimar – für sein literarisches Werk geehrt wurde. Seitens der Bevölkerung erfuhr er aber auch Ablehnung.
Heute erleben wir einen wahren Kult um Thomas Mann. Die linken und linksliberalen Eliten der Berliner Republik feiern den Wortakrobaten als Gesinnungsgenossen und deutsches Sprachrohr der alliierten Re-Education. Gebrochene nationale Identität und zeitweiliges Kollektivschuldraunen sind die ideologischen Zutaten eines heimatlos gewordenen Literaten, die der postnationale Mainstream im Gedenkjahr 2025 begierig aufsaugt. Parallelen zu den neomarxistischen Philosophen Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas drängen sich auf. Thomas Mann starb am 12. August 1955. Ist es Zufall, dass einer seiner letzten Briefe an Adorno gerichtet war, den er im kalifornischen Exil der 1940er Jahre kennengelernt hatte?