Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Eine hohe Sollstärke, hohe Ansprüche an die Kandidaten und der Verzicht auf Ausschreibungen führten bei dem vor 75 Jahren gegründeten Geheimdienst zu ständigem Personalmangel
Vor einem Dreivierteljahrhundert, am 24. Januar 1950, beschloss das Politbüro der SED die Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Zwei Tage später empfahl die Regierung der DDR parallel zum eigenen „Beschluss über die Abwehr von Sabotage“ ebenfalls die Bildung des MfS. Am 8. Februar 1950 bestätigte die Volkskammer der DDR einstimmig das Gesetz über die Bildung eines Ministeriums für Staatssicherheit. Am 21. Februar 1950 trat das Gesetz mit der Veröffentlichung im Gesetzblatt der DDR in Kraft.
Die bekanntesten Mitarbeiter des Ministeriums waren – abgesehen vom Minister – sicherlich die Angehörigen des Wachregiments „Feliks Dzierzynski“. Die militärisch-operative Truppe des Ministeriums war am Ende, sprich 1990, etwa elftausend Mann stark.
Hierbei handelte es sich allerdings nur um die Spitze des Eisbergs, denn der größte Teil des Geheimdienstes agierte im Geheimen und scheute die Öffentlichkeit. 91.015 hauptamtliche Mitarbeiter zählte das Ministerium am 31. Oktober 1989.
Die große Bedeutung, die das MfS für den Gesamtstaat selbst für Ostblockverhältnisse hatte, verdeutlicht sehr plastisch einen Vergleich mit den sozialistischen Nachbarstaaten. Während im östlichen Nachbarn Polen 1500 Einwohner auf einen Geheimdienstmitarbeiter kamen und im südlichen Nachbarn zwischen acht- und neunhundert, waren es in der DDR nur 180.
Eine entsprechend große Aufgabe war die Personalrekrutierung. Ausschreibungen, wie heute üblich, gab es damals nicht. Die Akten zeigen auf, dass die Staatssicherheit ständig auf der Suche nach geeigneten Einstellungskandidaten war.
Zum quantitativen kam ein qualitatives Problem. Die intern vorgeschriebenen Anforderungen an das Personal waren derart hoch und vielfältig, dass sie große Schwierigkeiten bereiteten. Nicht nur der Kandidat selbst musste „politisch absolut zuverlässig“ sein, auch das familiäre Umfeld und der Freundeskreis mussten einer Durchleuchtung standhalten.
So sind „Überprüfungsberichte“ der Hauptabteilung Kader und Schulung erhalten, die neben anderen folgende Fragen zu einer Freundin beinhalteten: Wann und wo kennengelernt? Von wem sind die Aktivitäten ausgegangen? Politisch-ideologische Einstellung? Charakterliche Einschätzung/Verhalten im Freizeitbereich? Umgangskreis im Arbeits-, Wohn- und Freizeitbereich? Vorhandene Westverwandtschaft und Westverbindungen? Kirchliche Bindungen?
Diese umfangreiche politische Überprüfung führte neben einer vorgeschriebenen gesundheitlichen Eignungsfeststellung oftmals zu einem negativen Urteil. 1984 blieben beispielsweise von 150 Einstellungskandidaten lediglich 18 nach der „kaderpolitischen Prüfung“ übrig. Von diesen 18 Kandidaten waren zehn aus gesundheitlichen Gründen nicht geeignet, sodass im Ergebnis nur acht Personen für eine Einstellung in Frage kamen.
Allerdings mussten diese Kandidaten zunächst ihre politische Eignung beweisen, ohne dass sie selbst wissen durften, dass eine Festanstellung geplant war. Die Staatssicherheit nannte diese Auserwählten „Perspektivkader“. Sie mussten sich mindestens zwei Jahre lang als „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) oder als „Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit“ (GMS) bewähren. Der Weg in die Festanstellung führte hier über eine „nebenberufliche“ Spitzeltätigkeit.
Freunde und Verwandte
Dieses aufwendige Verfahren führte zu einem ständigen Personalmangel. Deshalb verlagerte man die Suche in den Freundes- und Familienkreis von bereits festangestellten Mitarbeitern. So heißt es in einer vertraulichen Vorschrift vom 30. März 1983: „Die Leiter der Diensteinheiten der Hauptabteilung haben zu gewährleisten, dass jeder Angehörige seinen Verwandten- und Umgangskreis ständig unter der Sicht der Kadersuche und -auswahl analysiert.“
Die so in die Pflicht genommenen Personen mussten herausfinden, ob jemand für eine Einstellung geeignet und bereit war, ohne dass die eigentliche Absicht offenbart werden durfte. Die Staatssicherheit verlangte „legendiert“ geführte Gespräche. Allerdings war der Erfolg mäßig, denn im Vermerk eines Offiziers für Sonderaufgaben vom 24. August 1984 wurde beklagt, dass es eine „weniger stark ausgeprägte Bereitschaft für den langjährigen Dienst in den bewaffneten Organen“ gab.
Die Verpflichtung, Familienangehörige, insbesondere die eigenen Kinder, für die Staatssicherheit zur Verfügung zu stellen, löste das Kaderproblem nicht, führte aber dazu, dass ganze Familiendynastien im Geheimdienst bestanden. So ist beispielsweise in der Kaderakte einer Sekretärin zu lesen: Vater Major des MfS, Mutter Hauptmann des MfS, Bruder Unteroffizier des MfS, Verlobter Unteroffizier des MfS, Vater des Verlobten Major des MfS.
„Kaderstützpunkte“ im Zivilleben
Da trotz der Rekrutierung ganzer Familien das Kaderproblem nicht gelöst werden konnte, schuf sich die Staatssicherheit ein „Spinnennetz“ der heimlichen Werbungen. Sie organisierte „Kaderstützpunkte“ im Zivilleben. Eine Diplomarbeit an der Juristischen Hochschule des MfS vom 15. Januar 1970 mit dem Vermerk „Vertrauliche Verschlußsache 160-124/69“ gibt Auskunft, wer die „fleißigen Helfer“ waren: „In diesen Kaderstützpunkten wird ein verantwortlicher Genosse tätig, der in der Regel GMS ist und seine Zuverlässigkeit bewiesen hat ... Diesen wird die Aufgabe global beschrieben und in groben Zügen mitgeteilt, worauf es ankommt.“
Schuldirektoren, Lehrausbilder, FDJ-Funktionäre, Meister, Brigadiere und Funktionäre von Massenorganisationen sollten mithelfen, sehr junge Menschen einzufangen. Allerdings war diese Werbung nur mit Zustimmung der Kandidaten möglich. Die einfachere Verfahrensweise drückt dieser Satz in der Diplomarbeit aus: „Unterstützung erhalten die Diensteinheiten in dieser Hinsicht besonders durch ... Heimerzieher.“
Kinderheime und Jugendwerkhöfe
In den Kinderheimen und Jugendwerkhöfen lebten familiengelöste Kinder und Jugendliche. Eltern hatten kein Mitspracherecht mehr und die Jugendämter unter dem Dach des Ministeriums für Volksbildung von Margot Honecker waren mit politisch zuverlässigen Personen besetzt. Eine Zwangsrekrutierung in diesen Erziehungsanstalten hatte für die Staatssicherheit mehrere Vorteile. Dieses junge Personal stand schnell zur Verfügung und eine kaderpolitische Überprüfung des Freundes- und Verwandtenkreises entfiel. Die Ausbildung konnte kaserniert unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen.
In einem Bericht der hochgeheimen MfS-Schule „Maria“ in Struvenberg vom 10. Dezember 1971 mit dem Vermerk „Streng geheim!“ werden Kinder erwähnt: „Am 4.07.71 14.10 wurde von den Kindern mitgeteilt, daß sich ein Fahrzeug der Militärverbindungsmission, deren Nummer, Nationalität und Insassen sie uns nicht mitteilen konnten, vom Weg Krug – Rothehaus kommend, auf der neuen Straße um die Wohnhäuser bis zur Klärgrube des Objektes genähert hat, dort wendete und zurückfuhr ... Durch die Kursanten wurde im Rahmen der Ausbildung auch weiterhin die Objektsicherung durch Beobachtung organisiert. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen bestätigen den normalen Verkehr am Objekt.“ Kinder waren „Kursanten“ (Kursteilnehmer, Fahnenjunker) der Staatssicherheit, und wenn sich darunter die in der DDR festgehaltenen Söhne und Töchter von „Republikflüchtlingen“ befanden, dann war das wohl die perfideste Art, sich an den Eltern zu rächen.
Die heutige Suche nach diesen Kindern ist nahezu aussichtslos, denn die Staatssicherheit verfügte über ein raffiniert organisiertes System der Identitätsverschleierung. Sie nannten es „fiktive Identitäten“. Eine Diplomarbeit mit dem Titel: „Probleme der Wahrung der Konspiration von Kräften, Mitteln und Methoden des MfS durch die Sicherung von fiktiven Personendaten in ausgewählten Personendatenspeichern des PdVP“ (Präsidium der Volkspolizei) vom 29. März 1985 mit dem Vermerk „Geheime Verschlußsache GVS MfS JHS-Nr. 61/85“ klärt darüber auf, dass es sich hier nicht allein um Spione für das Ausland handelte. „Inoffizielle Mitarbeiter“, die es zahlreich im Inland gab, erhielten Scheinidentitäten, und ausdrücklich wird erwähnt, dass sich die Vorgaben auch „voll inhaltlich auf Mitarbeiter des MfS beziehen, die fiktive Personendaten nutzen“. Der Umfang dieser Personengruppe ist völlig unbekannt.
Die Fälschungen wurden perfekt organisiert: „Der Familienname ist so zu verändern, daß die Anfangsbuchstaben des wahren und fiktiven Familiennamen nicht übereinstimmen ... Es ist unbedingt erforderlich, das Geburtsjahr [gemeint ist wohl: den Geburtstag] in den fiktiven Personendaten nicht nur innerhalb des Geburtsjahres, sondern das Geburtsjahr selbst zu ändern ... Als Geburtsname der Mutter ist bei der Erarbeitung und Auswahl der fiktiven Personendaten des IM nicht der wahre Geburtsname der Mutter zu wählen ... Es ist nicht ausreichend, nur den Tag und den Monat der Geburt der Eltern zu verändern, sondern wichtig ist das Geburtsjahr in den fiktiven Personendaten zu verändern.“
Diese „fiktiven Identitäten“ wurden akribisch in die Meldespeicher der Deutschen Volkspolizei eingearbeitet und von den bundesdeutschen Behörden übernommen. So kann die Herkunft von zwangsrekrutierten Kindern und Jugendlichen bis heute nicht aufgedeckt werden.
Kersti Wolnow am 24.01.25, 14:11 Uhr
Warum werden Geheimgesellschaften, -polizei oder -archive nicht verboten? Geheim=kriminell, unmoralisch, erpresserisch. Die Akten des Unglücks der "Estonia" sind für immer in den USA geschlossen, und das ist nur ein Beispiel.