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Was als objektive Untersuchung in medizinischen Fachzeitschriften erscheint, hat in erschreckend häufigen Fällen einen zweifelhaften finanziellen Hintergrund – Kritiker schlagen Alarm
Artikel in medizinischen Fachzeitschriften entscheiden nicht selten über Leben und Tod. Werden Behandlungsverfahren, Medikamente und Impfstoffe unter Verweis auf durchgeführte Studien als sicher und wirksam bezeichnet, dann steht einer groß angelegten Verwendung kaum noch etwas im Wege. Daher sollten die Veröffentlichungen streng objektiv daherkommen und keinesfalls von der Pharmaindustrie gekauft worden sein. Doch in der Realität ist nicht selten das Gegenteil der Fall, wie zwei bemerkenswerte Aufsätze im „Journal of the American Medical Association“ („JAMA“) und „Journal of Political Economy“ („JPE“) belegen.
Im „JPE“ erschien im Oktober ein Beitrag von Tamar Oostrom von der Ohio State University in Columbus, unter dem Titel „Förderung klinischer Studien und gemeldete Arzneimittelwirksamkeit“. Darin weist die Autorin auf der Grundlage ihrer Analyse von 500 Studien über den Nutzen von Antidepressiva und Antipsychotika nach, dass von Herstellern bezahlte Studien von einer bis zu 50 Prozent höheren Wirksamkeit der Medikamente im Vergleich zu unabhängig finanzierten Testreihen berichten.
Als Beispiel nannte sie Effexor, ein Mittel gegen Depressionen von der Firma Wyeth, die inzwischen von Pfizer übernommen wurde. Bei zwölf von 14 Studien, die Wyeth sponserte, schnitt Effexor besser ab als das wichtigste Konkurrenzprodukt Prozac vom Hersteller Eli Lilly. In anderen Untersuchungen, bei denen das Geld nicht von Wyeth kam, zeigte sich Effexor hingegen nur in einem von drei Fällen Prozac überlegen.
Die Macht des großen Geldes
Mit Blick hierauf spricht Oostrom von einem Sponsoring-Effekt. Dieser kann aus verschiedenen Ursachen resultieren. So führen Pharmaunternehmen mehrere Studien parallel durch und veröffentlichen dann aber nur Berichte über jene Tests, welche für sie besonders positive Ergebnisse erbrachten. Zudem werden die Versuche von vornherein so geplant, dass das Resultat positiv ausfallen muss. Und schließlich besteht auch die Möglichkeit der gezielten Uminterpretation der Befunde.
Nach den Berechnungen von Oostrom würde eine Ausschaltung des Sponsoring-Effekts zu mindestens zehn Prozent weniger Medikamentenzulassungen und acht Prozent weniger Verschreibungen führen. Das hätte natürlich erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Pharmabranche. Immerhin ist die Nachfrage nach psychiatrischen Medikamenten riesengroß. So schlucken fast 15 Prozent aller US-Amerikaner Antidepressiva oder Antipsychotika. Dazu kommen noch Mittel gegen Angst, Unruhe und so weiter.
Vor diesem Hintergrund schlägt die Gesundheitsökonomin vor, alle Studien meldepflichtig zu machen, damit erkennbar wird, dass Unternehmen so lange Tests durchführen, bis ein genehmes Ergebnis herauskommt. Des Weiteren hält es Oostrom für unverzichtbar, sich in der empirischen medizinischen Forschung auf das Prinzip der Wiederholbarkeit zurückzubesinnen. Ergebnisse wissenschaftlicher Studien sollten erst dann allgemein anerkannt werden, wenn in verschiedenen Testreihen verschiedene Forscher mit unterschiedlichen Finanzierungsquellen jeweils zu dem gleichen Resultat gelangen.
Allerdings sind klinische Studien aufwendig und teuer. Die durchschnittlichen Kosten belaufen sich auf 35 Millionen US-Dollar pro Studie, weswegen in rund 70 Prozent aller Fälle eben die zumeist sehr solventen Pharmaunternehmen als Finanzier auftreten.
Noch schockierender als die Publikation von Oostrom ist der Fachartikel mit dem Titel „Zahlungen von Arzneimittel- und Medizinprodukteherstellern an US-amerikanische Gutachter der großen medizinischen Fachzeitschriften“ in der Oktoberausgabe des „JAMA“, für den sieben US-amerikanische, japanische und kanadische Mediziner um David-Dan Nguyen vom Institute of Health Policy, Management and Evaluation der Universität von Toronto verantwortlich zeichnen.
Ein kleiner Kreis entscheidet
Die Autoren fanden heraus, dass fast zwei Drittel der rund 2000 Gutachter, die entscheiden, welche Artikel in den Fachblättern erscheinen, Geld von der Pharmaindustrie erhalten. In der Vergangenheit beliefen sich die direkt gezahlten Summen dabei auf 180.000 US-Dollar pro Jahr. Dazu kamen Zuwendungen an die Institutionen, an denen die Gutachter wissenschaftlich tätig waren, in Höhe von jährlich rund 330 Millionen Dollar.
Und vermutlich sind die genannten Zahlen nur die Spitze eines größeren Eisbergs, denn die Studie erfasste lediglich namentlich bekannte Gutachter – viele agieren aber im Schutze der Anonymität, welche die Zeitschriften gerne garantieren. Des Weiteren ermittelte die Gruppe um Nguyen, dass 85 Prozent der aufgedeckten Zahlungen an einen relativ kleinen Kreis von nur 400 Gutachtern bei den besonders renommierten Fachblättern gingen. Mit anderen Worten: Je stärker eine Zeitschrift die Medizinwelt beeinflusst, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit finanzieller Zuwendungen der Pharmaindustrie an die Gutachter des Journals.
Um diesen unerträglichen Zustand zu beenden, fordern die Verfasser des Artikels, dass zukünftig nicht nur die Autoren von Fachpublikationen, sondern ebenso die Gutachter alle potentiellen Interessenkonflikte aufgrund ihrer finanziellen und sonstigen Verbindungen zu Pharmakonzernen offenlegen. Ob es dazu kommt, ist jedoch fraglich.
Zudem werden die Gutachter keineswegs bloß von Geldgier getrieben. Vielmehr haben sie auch Angst vor einer Zerstörung ihres Ansehens durch Rufmordkampagnen im Falle eines Ausbruchs aus dem maßgeblich von der Pharmaindustrie mit vorgegebenen Meinungskorridor in der Medizin. Dergestalt äußerte sich beispielsweise der Professor für Epidemiologie und Bevölkerungsgesundheit an der Stanford-Universität, John Ioannidis, welcher während der Corona-Pandemie die mangelnde wissenschaftliche Grundlage der seitens der Politik verhängten Maßnahmen kritisierte und von einem „Evidenz-Fiasko“ sprach, „wie es in einem Jahrhundert nur einmal vorkommt“, was ihm in der öffentlichen Debatte äußerst schlecht bekommen ist.