Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Von Kaiser Karl dem Großen initiiert, von Luther geliebt und von Ernst dem Frommen im höchsten Maße gewertschätzt
Auf den 25. Oktober des Jahres 775 ist die in einer Abschrift aus dem 12. Jahrhundert überlieferte Urkunde datiert, mit der Karl der Große dem Kloster Hersfeld den Zehnt vom Ackerland, den Weiden und Gewässern einer Siedlung mit Namen „Gothaha“ zusprach. Sie befand sich westlich der heutigen 47.000-Einwohner-Stadt Gotha. Die ehemalige Residenzstadt wirbt für sich mit dem Slogan „Gotha adelt“ – völlig zu Recht.
Das 1879 eröffnete Herzogliche Museum beherbergt die vielfältigen Kunstsammlungen der ehemaligen Regenten Gothas. Im Untergeschoss sind antike Skulpturen, die von Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1745–1804) zusammengetragene umfangreiche Sammlung von Korkmodellen antiker römischer Bauwerke sowie die ägyptische Sammlung ausgestellt. Queen Victorias Gatte Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819–1861) steuerte dazu noch drei Mumien bei. Im Skulpturensaal des Erdgeschosses sind die Werke des berühmten, mit Herzog Ernst II. befreundeten, französischen Bildhauers Jean-Antoine Houdon reich vertreten. Besonders eindrucksvoll ist sein lebensgroßer „Muskelmann“ (1767), der zeigt, wie ein Mensch unter der Haut aussieht.
Im Obergeschoss gibt es Fächer, Porzellan und Steinzeug aus Meißen sowie die Gemäldesammlung zu sehen. Spektakulär ist der „Gothaer Tafelaltar“, den Heinrich Füllmaurer und seine Werkstattmitarbeiter um 1538 schufen. Das mit zahlreichen Flügeln ausgestattete Werk stellt auf 160 Bildtafeln das Leben und Wirken Jesu sowie die Erschaffung Adams, den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies dar. Reich vertreten sind Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren und dem Jüngeren. Letzterer schuf 1555 das Bildnis von Christian Brück, des Kanzlers von Herzog Johann Friedrich II. (1529–1595).
Über Johann Friedrich II. und seinen Kanzler brach 1567 eine Katastrophe herein. Der wegen Landfriedensbruchs von Kaiser Maximilian II. mit der Reichsacht belegte Ritter Wilhelm von Grumbach hatte in Gotha auf Burg Grimmenstein Zuflucht gefunden. Da der Herzog sich weigerte, ihn auszuliefern, belagerte der mit der Vollstreckung der Acht beauftragte Kurfürst August von Sachsen erfolgreich Gotha. Das trug Johann Friedrich II. Haft bis zum Lebensende ein. Grumbach und Brück aber erlitten auf dem Hauptmarkt die grausame Hinrichtung durch Vierteilung bei lebendigem Leibe. Die Stelle, an der dies geschah, markiert eine rote Steinplatte, die keine Namen, sondern nur das Todesdatum nennt: 18. April 1567. Sie befindet sich vor der Südseite des rot verputzten Rathauses.
Im Nordgiebel dieses schmucken Renaissancebaues thront die Skulptur von Gothas Schutzpatron: dem heiligen Gothardus, wie hier Bischof Godehard von Hildesheim genannt wird.
Üppig und überreich geschmückt
Eine weitere Folge der sogenannten „Grumbachschen Händel“ war, dass die Sieger die Burg Grimmenstein schleiften. An ihrer Stelle ließ Ernst I. (1601-1675) Schloss Friedenstein erbauen. Ernst gründete 1640 das Herzogtum Sachsen-Gotha, welchem 1672 Altenburg zufiel. Der imposante, auf einem Berg über Gotha thronende vierflügelige Friedenstein ist das größte frühbarocke Schloss Mitteleuropas. Die Mehrzweckanlage war repräsentativer Wohnsitz, Verwaltungszentrum des Herzogtums und weist im 1687 eingeweihten Ekhof-Theater Deutschlands älteste noch funktionstüchtige Bühnenmaschinerie auf. Relikt vom Grimmen-stein ist das prachtvolle Portal der Schlosskirche. Man sieht dem massiv wirkenden Schloss nicht an, dass nur die Außenmauern aus Stein, die hofseitigen und die Innenwände aber aus Fachwerk errichtet sind, um möglichst billig zu bauen.
Üppig ausgestattet sind hingegen die Wohn- und Repräsentationsräume. Höhepunkt des Rundgangs auf Filzpantoffeln ist der von Giovanni Canoveri überreich mit Stuck geschmückte Festsaal, der auf Herzog Friedrich I. (1646–1691) zurückgeht. Kolossale Hermenpaare stützen Wappen. Lebensgroße Allegorien der vier Jahreszeiten flankieren paarweise die beiden mit Porzellan oder Tafelsilber ausgestatteten Nischen der Stirnseiten. In den ehemaligen Räumen des Erbprinzen sind der von Johann Melchior Dinglinger geschaffene kleine Elefant sowie viele andere Objekte aus Silber und Gold, Elfenbein oder Bernstein untergebracht.
Eine weitere Attraktion des Schlosses ist die Universitäts- und Forschungsbibliothek. Ihre kulturhistorisch wertvollen Sammlungen begründete Ernst I., der bald nach seinem Tod den Beinamen „der Fromme“ erhielt. Der streng gläubige Lutheraner legte den Grundstein zur bedeutenden reformationsgeschichtlichen Sammlung. Sie ist Ausdruck der protestantischen Selbstinszenierung der Herzöge, die sich als Sachwalter des Luthertums verstanden.
Martin Luther war übrigens gern in Gotha, wo er seinen Vertrauten und Mitreformator Friedrich Myconius besuchte. Die Forschungsbibliothek bewahrt im Original oder in zeitgenössischer Abschrift 1100 Briefe Luthers auf und somit ein Viertel seiner Korrespondenz. Prachtvollster Raum der Bibliothek ist das von Herzog Friedrich II. (1676–1732) eingerichtete Münzkabinett. An den Seitenwänden stehen jeweils sieben Münzschränkchen neben Postamenten, auf denen von Cäsar bis Domitian die vergoldeten Gipsbüsten der ersten zwölf römischen Kaiser stehen.
Bis 2. November läuft in der Forschungsbibliothek die Sonderausstellung „Adel Macht Staat. Der Gothaische Hofkalender 1763 bis 1944“. Er und seine französische Parallelausgabe „Almanach de Gotha“ waren das wichtigste genealogische Standardwerk des europäischen Adels. Seit 2015 erscheint „der Gotha“ wieder. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich Ernst der Fromme als Stammvater der heute amtierenden Monarchien Europas erweist. Das gilt etwa für König Charles III. und Harald V. von Norwegen, Frederic X. von Dänemark, Carl XVI. Gustav von Schweden und Felipe VI. von Spanien. Bemerkenswerter noch ist, dass sich Gothas barockes Universum mit dem Schloss und seinen historischen Innenräumen, den Sammlungen und dem weitläufigen Schlosspark weitgehend unverändert erhalten hat. Und das ist weltweit wirklich einzigartig.