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Geschichte

Alltag in der Bismarck-Zeit

Bruno Preisendörfer blickt facettenreich auf Themen jenseits der Politik wie die Frage des Wohnens, der Wirtschaft und der Technik

Dirk Klose
23.10.2023

Zum vierten Mal unternimmt Bruno Preisendörfer eine Reise in die deutsche Vergangenheit. Nach Ausflügen in die Zeit Martin Luthers („Als unser Deutsch erfunden wurde“), Johann Sebastian Bachs („Als die Musik in Deutschland spielte“) und Goethes („Als Deutschland noch nicht Deutschland war“) ist es jetzt die Bismarck-Zeit, die dem Leser ebenso anschaulich nahegebracht wird: „Als Deutschland erstmals einig wurde“.

Wieder bleibt die große Politik am Rande. Selbst die deutschen Einigungskriege 1864, 1866 und 1870/71 werden unter dem Aspekt thematisiert, dass der preußische Regimentsmusiker Gottfried Piefke zu den Siegen die passenden Märsche komponiert hat. Der Autor geht dem damaligen Alltag in seinen unterschiedlichsten Facetten nach. Er beschreibt die preußisch-deutsche Gesellschaft vom Hochadel, der das Bild des Kaiserreiches bestimmte, über das Groß- und mittlere Bürgertum bis zur Arbeiterklasse und der zahlenmäßig fast stärksten Klasse der „Bediensteten“. Das alles spiegelte sich in den, wie Preisendörfer zutreffend sagt, „großen Fragen“ der damaligen Zeit: der Arbeiterfrage, der sozialen Frage, der Wohnungsfrage, der Dienstmädchenfrage, der Frauen- und der Judenfrage. Alle bargen sozialen Sprengstoff, den zu entschärfen das Reich angesichts seiner starren Strukturen nicht in der Lage gewesen sei. Auf der anderen Seite war die Zeit Bismarcks eine des rasanten Fortschritts in Wirtschaft und Technik. Als Beispiele bringt der Autor die stürmische Entwicklung von Telegraph, Telefon, Elektrizität und der Kanalisation. Als „große Männer“, die diese Entwicklung prägten, nennt er Vater und Sohn Krupp, Werner von Siemens, Rudolf Virchow sowie aus Philosophie und Kunst Marx und Engels sowie Adolf Menzel („der Zwerg von 140 Zentimetern“ war kaum größer als der Stiefel von Bismarcks Gardekürassieruniform).

Preisendörfer stellt auch etwas abseits gelegene Themen heraus. So nennt er mehrere tapfere Frauen, die mit viel Einsatz politisch und karitativ wirkten, aber nie die benachteiligte Stellung der Frauen ändern konnten. Etwas unterbelichtet bleiben trotz der genannten Beispiele Wirtschaft und Finanzen. Deren stürmisches Wachstum prägte den Alltag ebenso wie Adel und Militär. Aber das schmälert nicht den Wert des Buches, der wohl noch größer wäre, hätte der Autor auf manch allzu saloppe Formulierung (im Teutoburger Wald das Denkmal des „Kupferhermann“, der „schwadronierende“ Nietzsche) verzichtet. Ungewöhnlich sorgfältig ist aber das Personenregister.

Bruno Preisendörfer: „Als Deutschland erstmals einig wurde. Reisen in die Bismarckzeit“, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2023, Taschenbuch, 448 Seiten, 16 Euro


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