Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Alpbach gilt als „schönstes Dorf“ Österreichs. Die Landschaft drum herum kann sich aber auch sehen lassen
Es ist geschafft! Die Jausestation in 1521 Metern Höhe ist erreicht. Hüttenwirtin Nicole empfängt die Neuankömmlinge persönlich an der Eingangstür der 400 Jahre alten Farmkehralm. Das ist praktisch, denn der komplizierte Schließmechanismus der Holztür scheint noch aus den Anfangstagen der Alm zu stammen. „Ihr seid's ja garn nicht verschwitzt“, stellt sie anscheinend erstaunt fest.
Das ist auch kein Wunder, denn mit dem E-Bike war die etwa zwölf Kilometer lange Tour ein Kinderspiel. Sie führt von Alpbach über ruhige und pittoreske Höhenwege bis ans äußerste Ende eines Tales in den Kitzbüheler Alpen, die von dem 2424 hohen Großen Galtenberg abgeschlossen wird. Unterhalb des Gipfels liegt wie am äußersten Ende einer Sackgasse die Farmkehralm.
„Kommt's gerne rein und trinkt mit uns a Schnapserl mit“, bittet Nicole. Sie spricht Tirolerisch, obwohl sie aus Sachsen kommt. Allerdings ist sie schon seit Jahren im Alpbachtal heimisch und hat mit ihrer Gastfreundschaft und Kochkunst die Alm in der Sommersaison zu einem beliebten Ausflugsziel geformt. An kalten Tagen entfacht sie in der gemütlichen Stube ein Kaminfeuer, bei dem sich dann die Gäste nicht nur einen Kräuterschnaps als Willkommensgetränk, sondern auch Nicoles Schnitzelspezialität schmecken lassen.
In der Hüte geht es familiär zu. Mehr als zehn Gaste passen ohnehin kaum in diese enge Stube, die seit 400 Jahren nahezu unverändert ist. Die ganze Almhütte ist wie ein kleines Museum. Durch eine schmale Tür, unter der man sich hindurchbücken muss, gelangt man in die Küche, die räumlich größer ist als die Stube und die in früheren Zeiten der Hauptaufenthaltsort der Bewohner war, weil es hier wegen des Herdes meistens warm war. An den Wänden sind Bänke angebracht, auf denen sich Bauer und Bäuerin zum Nachmittagsschlaf hingelegt haben.
Wer die Ruhe mag, für den lässt es sich hier oben zwischen grasenden Kühen und Ziegen gut leben. Vereinzelt kommen Wanderer an und genießen bei warmen Frühlingsstrahlen die Aussicht auf die Bergwelt. Die Radwanderer hingegen sind bereits wieder auf dem Rückweg und fahren mit stets angezogener Handbremse die Serpentinen hinab Richtung Inneralpbach, einen kleinen Flecken am Gebirgsbach Alpbacher Ache. Von dort geht es allerdings wieder steil bergan. Mit dem E-Bike ist das natürlich kein Problem. Genüsslich kann man sich hier auf den vielen asphaltierten Wanderwegen herumtreiben lassen, und nach vielen Umwegen sowie Pausen ist es ähnlich wie mit den Wegen nach Rom: Im Alpbachtal führen alle Wege zum namensgebenden Ort.
Am östlichen Osteingang führt der Weg am modernen Congress Centrum vorbei, das in einen Berghang eingebettet wurde und sich somit architektonisch unaufdringlich in die traditionelle Umgebung einfügt. Hier hat das European Forum Alpbach seinen Sitz, eine Denkfabrik, die alljährlich internationale Spitzen aus Politik und Wissenschaft in das beschauliche Alpbachtal strömen lässt. Weiter geht es ins Ortszentrum, um die Räder im Bike-Shop zurückzugegeben, wo die bewegungsfreudigen Touristen sie für einen günstigen Tagespreis ausgeliehen haben.
Beim Bummel durch das Dorf erschließt sich erst die ganze Schönheit des Ortes. Hier stechen die schmucken Holzhäuser ins Auge, die häufig rundum an den Balkonen mit üppigem Blumenschmuck verziert sind. Alpbach wurde 1983 mit dem Titel „Schönstes Dorf Österreichs“ belohnt. So schreibt eine strenge Bauordnung vor, dass sich neue Gebäude an den traditionellen Holzbaustil der über 100 zum Teil noch originalgetreu erhaltenen Bauernhöfe anpassen müssen.
Bei allen Häusern darf lediglich die Parterre aus Mauerwerk bestehen. Ab dem ersten Stock muss das Gebäude aus Holz verarbeitet sein. Zudem gibt es spezielle Vorschriften bezüglich Dachschräge, Dachplatten, Gebäudehöhe, Holzfassade und Balkone. Selbst die Fensterbreite darf nicht von einer bestimmten Norm abweichen.
Nebenan liegt die kleinste Stadt
Dank dieser Vorschriften hat sich das Alpbachtal seine regionale Ursprünglichkeit bewahrt. Wer hier auf den vielen Wander- und Radwegen unterwegs ist, wird an keiner Stelle auf einen neumodischen Hotelkomplex stoßen. Weil auf Massentourismus verzichtet wird, geht es hier überall ähnlich familiär zu wie auf der Farmkehralm.
Apropos Familie: Auch für die Jüngsten ist hier einiges im Angebot. Eltern, die mit ihren Kindern in der Gondelbahn auf den Reither Kogel fahren, landen in „Juppis Zauberwald“. Hier lässt sich auf einem zweieinhalb Kilometer langen Naturlehrpfad die heimische Flora und Fauna spielerisch erkunden.
Und wer mit der Wiedersbergerhornbahn ins „Lauserland“ fährt, findet sich auf einem alpinen Spielplatz für Kinder wieder, die mit dem „Lauser-Sauser“, eine Art Achterbahn am Hang, gleich wieder ins Tal sausen können. Dabei kommt man aber um den Genuss eines Panoramawegs, den viele Familien nutzen, um von der Bergstation aus mit Kind und Kegel in rund einer Dreiviertelstunde auf das 2127 Meter hohe Wiedersberger Horn zu steigen, von dem man einen großartigen Rundblick auf das gesamte Alpbachtal hat.
Hinterher kann man sich an heißen Sommertagen in einem der vielen Badeseen im Tal abkühlen – sofern das möglich ist. Denn der Reintaler See in Kramsach zählt in der Sommerzeit zu den wärmsten Naturseen Tirols.
Kramsach liegt übrigens direkt gegenüber dem Alpbachtal auf der nordwestlichen Seite des Inntals auf halbem Weg zwischen der deutsch-österreichischen Grenze und Innsbruck. Touristisch zählt der Ort aber mit zur Region Alpbachtal. Außer einer Seenlandschaft gibt es hier auch das beliebte Museum Tiroler Bauernhöfe und den sogenannten „Lustigen Friedhof“ zu entdecken. Lustig deshalb, weil viele Inschriften an den Grabsteinen humorvolle Reime tragen: „Hier liegt Jakob Krug / der Kinder, Weib und Orgel schlug.“
Besondere Naturspektakel, die man von Kramsach aus erleben kann, sind die Klammen. Dabei handelt es sich um die wilden Schluchten bei Brandenberg mit ihren tosenden Gebirgsbächen, die man über enge, aber gut gesicherte Pfade erreichen kann.
Und weil Kramsach außerhalb des eigentlichen Alpbachtals liegt, lassen sich hier günstige, aber trotzdem verkehrstechnisch gut gelegene Unterkünfte finden. So etwa den Landgasthof Gappen mit seiner vorzüglichen Küche, von dem aus man per Bus schnell und unkompliziert auf die andere, die südöstliche Inn-Seite ins Alpbachtal gelangt. Hotelgäste der Region kommen übrigens in den Genuss der Alpbachtal-Card, mit der man kostenlos unter anderem die Sommerbergbahnen benutzen, Museen besuchen oder in Badeseen schwimmen kann. Auch in den Regiobussen fährt man gratis mit.
Eine solche Beförderungsmöglichkeit hätten sich die Bergarbeiter gewünscht, die vor Urzeiten Kupfer und Silber aus der Gratlspitze gehauen haben. Wer möchte, kann sich von Bergwanderführer Peter Schonner die Geschichten erzählen lassen, wie es war, als man sich täglich auf schmalen Wegen mit schwerem Gerät zum Berg hochkämpfte, um diesen auf der Suche nach den wertvollen Elementen praktisch auszuhöhlen. „Schon im Mittelalter wurde damit begonnen“, weiß Schonner, „auch Kinderarbeit war damals nichts Außergewöhnliches.“
All das erzählt er auf einer Rundtour um die Gratlspitze, die mit Alpbach ihren Aus- und Endpunkt hat. Zuerst geht es sanft an grünen Wiesen und Almkühen vorbei den Hang hinauf. Es folgt ein bewaldeter Teil mit Wanderpfaden, die Schonner als Wegewart nach dem Winter wieder trittsicher macht. Schließlich erreicht man ein mit einem Gipfelkreuz gekennzeichneten Grat, von dem man von der einen Seite einen Blick auf das Alpbachtal hat, auf der anderen aber einen noch beeindruckenderen auf das ruhig vor einem ausgebreitete Inntal.
Doch Schonner treibt seine Wandergruppe weiter an. Nächste Ziel ist auf 1450 Metern die Jausestation Holzalm, wo man sich unbedingt mit einem Kaiserschmarrn stärken sollte, um noch die nächsten Höhenmeter bewältigen zu können, die zur Abraumhalde an der Gratlspitze führen. Die Geröllauswürfe die sich hier über die Jahrhunderte gebildet haben, sind gigantisch. Kaum zu glauben, das Menschen so viel Gestein nur mit Hammer und Meißel oder bloßen Händen aus den Bergstollen gefördert haben.
Schonner zeigt auf grün-blaue Färbungen am Erz-Gestein: „Das ist Kupfer. Die Bergarbeiter haben es abgeschlagen, eingesammelt und den wertlosen Rest einfach den Berg hinabgeworfen.“
Der Bergbau, der der armen Region zu einigem Wohlstand verholfen hat, ist schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eingestellt, da die Erträge nur noch gering waren. Seitdem begann der Aufstieg des Fremdenverkehrs, dem die Wanderer nach ihrem Abstieg vom Berg wieder begegnen. Das schöne, vom üppigen Grün der saftigen Almwiesen umgebene Alpbach kommt in Sicht. Es gleicht aber doch etwas wie ein Aufstieg: nämlich jener von der Erinnerung an ein höllisches Tagwerk am Berg in ein irdisches Paradies im Tal.
Vom schönsten Dorf Österreichs gelangt man nach kurzer Fahrt übrigens zu dessen kleinster Stadt, die man sich nicht entgehen lassen sollte, wenn man sich schon in der Region befindet. Tatsächlich ist die Stadt Rattenberg mit ihren knapp 500 Einwohnern kleiner als das 2500-Einwohner-Dorf Alpbach.
Weil sie eingeklemmt liegt zwischen dem Inn und den Felsausläufern der Gratlspitze konnte sich der Ort nicht ausbreiten. Unterhalb der Burgruine Rattenberg verlaufen außerdem noch die viel befahrenen Gleise der Österreichischen Bundesbahnen. Trotzdem schlägt das Herz dieser Stadt ruhig: Es besteht fast nur aus einer mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Fußgängerzone, um die herum dicht an dicht die Bauten fleißiger Handwerker liegen. Nagelschmiede und Glasfabrikanten haben diese Stadt geprägt, die man wegen der vielen Glas verarbeitenden Betriebe auch Glasstadt nennt.
Mit einem Glas kühles Blondes nehmen wir denn auch Abschied von diesen „schönsten“ und „kleinsten“ Kleinoden in Tirol – vorläufig jedenfalls. Hierhin kommt man immer gerne zu Besuch.
Landgasthof Gappen: www.gappen.at
Allgemeine Auskünfte: www.alpbachtal.at