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Mit der Energiewende wurde Tschechnitz alter Strom abgedreht, neuer ist im Anmarsch
Während man in Deutschland an nur einem Tag, dem des „Offenen Denkmals“, an das Kulturerbe erinnert, tut man das polenweit gleich an zwei Wochenenden. Europaweit gibt es ein zentrales Motto der Veranstaltung, das in diesem Jahr hieß: „Architektonisches Erbe: Fenster zur Vergangenheit, Türen zur Zukunft“. In den Regionen östlich von Oder und Neiße wird an den Europäischen Erbetagen auch an das deutsche Erbe erinnert. So nutzte Tschechnitz [Siechnice] – eine Stadt im Speckgürtel von Breslau – die Chance, auf die Besonderheit ihrer Vorkriegsarchitektur sowie Errungenschaften der Moderne aufmerksam zu machen.
Für Tschechnitz, damals noch ein Dorf, schlug 1910 die Stunde des Aufstiegs. Durch das Elektrizitätswerk Schlesien AG wurde in Tschechnitz ein modernes Kraftwerk errichtet, das als Schaltstelle weite Teile der Region mit Energie versorgte. Für die Städte und Dörfer im mittelschlesischen Umland bedeutete dies den Sprung ins elektrische Zeitalter – von der Straßenbeleuchtung über die Eisenbahn bis in die Haushalte. Auch die Chemieindustrie entdeckte diesen Standort. 1916 gründete die Münchner Wacker-Gruppe hier die „Elektrochemischen Werke Breslau“. Produziert wurden Karbid und andere Grundstoffe, die für Metallverarbeitung, Bauwesen und später für die Rüstungsindustrie von Bedeutung waren. Damit war Tschechnitz ein fester Teil der deutschen Großchemie. In den späten 30er Jahren wurde im nun zu Kraftborn umbenannten Ort zudem die staatliche Versuchs- und Forschungsanstalt für Tierzucht angesiedelt. Sie stand im Dienste einer modernen Landwirtschaft, die Schlesien als Kornkammer des Reiches sichern sollte.
Eng verknüpft mit dem Kraftwerk war die kleine Tschechnitzer Arbeitersiedlung. Wie in vielen Industriestandorten der Kaiserzeit wurden hier einfache, aber funktionale und dennoch stilvolle Wohnhäuser für das Personal errichtet. Es handelte sich um zweigeschossige Backsteinbauten mit Satteldächern, oft in Reihenform, die bis heute teilweise gut erhalten sind. Zu den Häusern gehören kleine Gärten, die den Arbeiterfamilien zur Selbstversorgung und als Erholungsrefugien dienten. Diese Architektur folgte dem Leitbild der „Werkskolonie“ – einer Siedlungsform, die man in Schlesien unter anderem auch in den Zink- und Kohlenrevieren kennt.
Doch während die Bergarbeitersiedlungen meist groß angelegt waren, blieb die Kolonie in Tschechnitz überschaubar. Sie war auf die Belegschaft des Kraftwerks zugeschnitten, eine Art Dorfgemeinschaft im Schatten der Schornsteine.
Nach Kriegsende wurden Polen angesiedelt, die zunächst vorwiegend aus Ostpolen kamen. So auch die Eltern von Piotr Cieślak, der bereits in Tschechnitz geboren wurde. Er gehört zu denjenigen, die das Nachkriegsheizkraftwerk Czechnica derzeit kurz vor seinem Vorruhestand abwickeln. Denn seit einigen Monaten arbeitet es nicht mehr. „Warum? Nun, wir müssen jetzt auf die Umwelt achten“, lächelt der Elektroenergetikmeister bitter. Er deutet auf das neue Wärmekraftwerk in Tschechnitz, das die Funktion von Czechnica übernommen hat. Auch wenn das alte Wärmekraftwerk bereits neben Kohle auch mit Biogas gearbeitet hatte, „so gab es eben Kohleheizkessel, also Verbrennung, und damit Schwefeldioxid. In der neuen Anlage produzieren wir saubere Energie. So ist leider unsere Situation“, sagt Cieślak. Er freut sich nun auf seinen Vorruhestand und die Zeit, die er mit den Enkelkindern verbringen kann. Wie man in der niederschlesischen Mundart einst sagte, „tummen“ diese im Garten herum, wie einst Tochter Ania. Die Buchhalterin lebt mit ihrer Familie in Breslau, aber sooft sie nur kann, kommt sie mit den Kindern nach Hause. „Immer wenn ich das Eingangstor zur Kolonie betrete, ist es wie ein Weg nach Narnia (AdR.: eine literarische Parallelwelt, in der Kinder Abenteuer durchleben). Hier sind wir als Kinder herumgerannt“, lacht sie. Doch außerhalb der Kolonie ist Tschechnitz, das 1997 Stadtrechte erhielt, ein sich rasant entwickelnder Ort mit zahlreichen modernen Wohnblocks, einem neu angelegten Rathausplatz mit moderner Kirche und Rathaus. Die Cieślaks aber atmen immer wieder auf, wenn sie ihr Tor zu ihrem Narnia passieren.