Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der Politologe Enrico Seemann und der Historiker Urs Unkauf legen eine umfangreiche Chronik vor
Beide Autoren des Buchs „Deutschland und Polen. Die Geschichte der amtlichen Beziehungen“, sind renommierte Wissenschaftler – Enrico Seewald ist Politologe, Urs Unkauf Historiker. Ihre Spezialgebiete liegen im Osten Europas einschließlich der Geschichte der DDR.
Ihr Buch behandelt ein Thema, über das es in Deutschland unzählige Publikationen der unterschiedlichsten Art gibt
– in Buchform oder einzelnen Beiträgen. Ihr Ansatz aber ist eine Geschichte der amtlichen Beziehungen beider Länder auf quellenbasierter Basis, gewissermaßen eine Geschichte der diplomatischen Beziehungen, die es bisher nicht gibt.
Es ist eine Geschichte von oben. Diese beginnt im 9. und 10. Jahrhundert, als Eckdatum gilt das Jahr 1000. In Gnesen traf der deutsche Kaiser Otto III. den polnischen Herzog Bolesław. Gnesen wurde damals zum Erzbistum erhoben, ein erster Schritt zur Selbstständigkeit Polens. In chronologischer Reihenfolge bis in die Gegenwart werden alle acht Kapitel behandelt. Sie sind je nach Thematik in Einzelbeiträge gegliedert. Ein Beispiel ist das achte Kapitel: „Polen und das geteilte Deutschland“ mit themenorientierten Beiträgen wie „Die Potsdamer Konferenz“ oder „Die Akzeptanz der Oder-Neiße-Linie in Deutschland“.
Für das Konzept der Autoren einer Diplomatiegeschichte mit den Institutionen und Personen, die sie geschaffen haben, wurden umfangreiche und auch jahrelange Vorbereitungen erforderlich: die Sichtung aller offiziellen Dokumente und Verlautbarungen vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Archive und Museen, Erinnerungen und gegebenenfalls Tagebücher beteiligter Persönlichkeiten, für die Jahrzehnte der Gegenwart Zeitzeugengespräche, aber auch eigene Kenntnisse und Erfahrungen.
Von dieser immensen Detailarbeit zeugen die 34 Seiten Anmerkungen, welche die benutzten Quellen für den Leser angeben. Hier wären als Ergänzung ein Verzeichnis der benutzten Literatur sowie Karten für die jeweiligen Epochen der deutsch-polnischen Geschichte nützlich gewesen. Die Fotos von handelnden Persönlichkeiten und Orten des Geschehens ergänzen die Textdarstellungen.
Der Weg durch die deutsch-polnische Geschichte anhand der amtlichen Beziehungen ist den Autoren in diesem ersten Versuch insgesamt gelungen. Die Schlüsselereignisse der gemeinsamen Beziehungsgeschichte werden behandelt, das Mittelalter mit Gnesen, dem Deutschen Ritterorden sowie der Ostsiedlung wegen der geringeren amtlichen Quellenlage mit weniger Raum als die Neuzeit.
Diese wird angesetzt mit den Teilungen und dem Auslöschen eines polnischen Staates ab 1772, seine Wiederherstellung nach dem Ersten Weltkrieg, die NS-Besatzung, das Verbrechen von Katyn, die beginnende Diskussion über den Verlauf der deutsch-polnischen Grenze, SolidarnoŚć und die politische Wende in Polen, Deutschland und Europa, die Beziehungen beider Staaten bis in die Gegenwart schließen sich an.
Diese Aufzählung gibt keine feststehenden Daten wieder, sondern zeigt stets Entwicklungen, die sich über längere Zeiträume erstrecken. Besonders für Polen ist die lange umstrittene Forderung einer endgültigen Festlegung der polnischen Westgrenze an Oder und Lausitzer Neiße eine existentielle Frage. Die DDR erkannte die Demarkationslinie bereits 1950 im Görlitzer Vertrag als Grenze zwischen Polen und Deutschland an, obwohl sie nicht die Legitimation besaß, im Namen des gesamten Deutschlands zu sprechen. Noch vor der deutschen Vereinigung im November 1970 bekannten Polen und die Bundesrepublik Deutschland die Endgültigkeit der polnischen Westgrenze an Oder und Lausitzer Neiße.
Komplizierte Verhandlungen führten zum Ergebnis
Nicht erwähnt wird die Tatsache, dass die Bundesrepublik bis zur deutschen Vereinigung keine gemeinsame Grenze mit Polen hatte. Auch der ursprünglich bedeutende, dann aber sinkende politische Einfluss der Vertriebenenverbände wird behandelt sowie auch die von Polen wieder aufgeworfene Forderung nach Reparationen. Gerade die Auswertung der diplomatischen Papiere, die in den Sachfragen kapitelübergreifend sind, vermitteln eindrucksvoll die Erkenntnis für den Leser, wie kompliziert und auch langwierig die Verhandlungen sich gestalteten, bis sie zu einem Ergebnis führten.
Als weiteres Beispiel wird die Entwicklung zwischen der sowjetischen Besatzungszone (SBZ)/DDR und der Bundesrepublik Deutschland genannt. Eine weitere Erkenntnis ist die Tatsache, dass auch in demokratisch organisierten Staaten Einzelpersönlichkeiten den Gang der Geschichte beeinflussen oder sogar bestimmen, Lech Wałesa für Polen, Michail Gorbatschow für die ehemalige UdSSR und Konrad Adenauer oder Willy Brandt für die Bundesrepublik können genannt werden. Die Auswertung der offiziellen Dokumente bringt viele Informationen, die in Nachrichten oder Tageszeitungen nicht erscheinen. Ein sehr deutliches Beispiel ist die Dienstanweisung für das Personal in den Auslandsvertretungen der DDR: „Der Dienst und das Privatleben in Warschau regelten Anweisungen der Zentrale. Nach der Dienstordnung Nr. 1 hatte jeder Mitarbeiter den Arbeitstag maximal auszunutzen und unablässig an seiner politischen und fachlichen Weiterentwicklung zu arbeiten“. Es folgen Details wie zum Beispiel das Verbot von privaten Pkw.
Verwunderlich ist, dass es in den diplomatischen Quellen keine Hinweise auf die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen von 1976 gibt, die lange Jahrzehnte in beiden Ländern kontrovers diskutiert wurden. Sie wurden und werden bis heute von deutschen und polnischen Wissenschaftlern weiterentwickelt.
Eine Einschätzung des Buches kommt zu dem Ergebnis, dass es kein Geschichtsbuch über die deutsch-polnischen Beziehungen ist, aber eine wichtige Ergänzung zur Beziehungsgeschichte sein kann. Der Leser sollte Grundkenntnisse über den Verlauf der Beziehungen beider Staaten haben. Dabei ist ermutigend, dass die Arbeit der beiden Autoren auch zeigt, dass es weite Phasen friedlicher wechselseitiger Beziehungen gab.
Enrico Seewald/Urs Unkauf: „Deutschland und Polen. Die Geschichte der amtlichen Beziehungen“, BeBra Wissenschaft Verlag,
Berlin 2025, gebunden, 464 Seiten, 36 Euro