Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Über die jüngsten Verhärtungen im Ukrainekrieg, die potentielle Gefahr durch Drohnen auch für Europa und die Möglichkeit einer Eskalation des gegenwärtigen Konflikts in ungeahnte Ausmaße
Nachdem es im Spätsommer so aussah, als ob eine Verständigung zwischen dem US-amerikanischen Präsidenten Trump und dem russischen Präsidenten Putin möglich und damit auch ein Ende des Ukrainekriegs in Sichtweite wäre, wurde der Ton zuletzt wieder rauer. Ein zweites Treffen zwischen Trump und Putin wurde abgesagt. Stattdessen verhängten die USA Sanktionen gegen Russland, die Russen wiederum intensivierten ihre Angriffe in der Ukraine. Was bedeutet dies für die Hoffnungen auf einen Frieden? Fragen an einen Experten, der seit Ausbruch des Ukrainekriegs mit seinen Analysen das Geschehen stets zuverlässig eingeordnet hat.
Herr Kujat, wie bewerten Sie die jüngsten Entwicklungen rund um den Ukrainekrieg? Bedeutet die Absage eines zweiten Trump-Putin-Gipfels, der in Budapest geplant war, das Aus für die Hoffnungen auf einen baldigen Frieden?
Nicht unbedingt. Um die Absage des Gipfels besser einordnen zu können, sollten wir zunächst auf die Ereignisse davor schauen. Mitte Oktober war der ukrainische Präsident Selenskyj nach Washington gereist, um beim US-Präsidenten Trump um weitere Hilfen zu werben. Ein wichtiger Punkt dabei war die Lieferung von „Tomahawk“-Marschflugkörpern und die Freigabe für deren Einsatz tief in Russland. Hierzu konnte sich die US-Regierung nicht durchringen, da der Einsatz von „Tomahawks“ eine neue Eskalationsstufe im Ukrainekrieg wäre. Dies nicht nur wegen der mit 2500 Kilometern größeren Reichweite gegenüber bisher gelieferten Waffensystemen, sondern weil die ukrainischen Streitkräfte dafür auf die Unterstützung durch US-Spezialisten angewiesen und die USA somit direkt in den Krieg involviert wären.
Am Abend vor der Begegnung Selenskyjs und Trumps im Weißen Haus gab es noch ein Telefonat zwischen dem US-Präsidenten und dem russischen Präsidenten Putin. Darin soll Putin gefordert haben, dass die Ukraine die vollständige Kontrolle über die Regionen Luhansk und Donezk abgibt. Im Gegenzug, hieß es, sei Russland bereit, Teile der Regionen Saporischschja und Cherson an die Ukraine zurückzugeben. „Teile“ deshalb, weil Russland vermutlich auch künftig eine Landbrücke zur Krim halten möchte, aber das ist lediglich meine Interpretation.
Trump soll dann in dem heftigen Gespräch mit Selenskyj diesen nachdrücklich aufgefordert haben, den russischen Vorschlag zu akzeptieren. Er warnte davor, hieß es, dass Russland der Ukraine eine vernichtende Niederlage zufügen könne, wenn es keine Einigung gäbe. Selenskyj soll dann anhand von Karten dazu gedrängt haben, dass sich Trump der ukrainischen Forderung nach einem Waffenstillstand entlang des gegenwärtigen Frontverlaufs anschließt, woraufhin Trump die Karten vom Tisch gewischt haben soll. Trotzdem hat er sich im Nachhinein der Forderung Selenskyjs angeschlossen, dass zunächst die Kampfhandlungen gestoppt werden sollen und die aktuelle Frontlinie „eingefroren“ wird.
Russland besteht jedoch weiter darauf, dass ein Waffenstillstand erst dann zustande kommt, wenn zuvor im Laufe von Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien verbindliche Regeln für die Einhaltung des Waffenstillstandes vereinbart wurden. Eine Feuerpause ohne verbindliche Regeln ist sehr brüchig, denn jederzeit besteht die Gefahr, dass schon kleinste Zwischenfälle zur Wiederaufnahme von Kampfhandlungen führen und anschließend ein noch größeres Misstrauen herrscht als zuvor und die Aufnahme von Verhandlungen erschwert wird.
Doch so oder so gab es nach diesen Verhärtungen keine Grundlage mehr für eine Begegnung zwischen Trump und Putin, weshalb diese abgesagt wurde.
Bedeutet diese Absage ein Ende der Bemühungen um einen baldigen Frieden?
Die Absage des Budapester Gipfels muss nicht das Ende der Friedensbemühungen bedeuten. Natürlich sind die Positionen zwischen den Parteien verhärtet. Klar ist auch, dass die russischen Streitkräfte nach dem Aussetzen weiterer Gespräche versuchen, so viel ukrainisches Territorium wie möglich unter ihre Kontrolle zu bringen. Denn dies stärkt natürlich bei nächsten Gesprächsrunden, die es früher oder später geben wird, die Position Russlands. Aber das muss keineswegs bedeuten, dass die russische Regierung nicht mehr verhandeln will. Immerhin haben die Russen weiteren Gesprächen keine grundsätzliche Absage erteilt.
Dass Trump nun erstmals Sanktionen gegen Russland verhängt hat, ist natürlich ein starkes Signal an Putin. Gleichwohl ändert das nichts an der grundlegenden Haltung des US-Präsidenten, den Krieg auf jeden Fall beenden zu wollen. Dazu passt, dass auch Selenskyj zuletzt erkennen ließ, dass er zu direkten Friedensgesprächen bereit ist und einen vorherigen Waffenstillstand nicht mehr als Voraussetzung für Verhandlungen ansieht. Interessant ist, dass in die Positionen beider Kriegsparteien Bewegung gekommen ist. Russland hatte bislang stets die Anerkennung der Annexion der vier genannten Regionen und den Abzug der ukrainischen Streitkräfte aus deren noch nicht eroberten Teilen gefordert. Und die Ukraine hatte jede Verhandlung abgelehnt, solange die Kämpfe andauern. Beide Seiten sind also von ihren Maximalforderungen abgerückt. Und das stimmt mich hoffnungsvoll, dass eine politische Lösung weiterhin möglich ist.
Interessant ist auch, dass die US-Amerikaner ihre nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs nach Europa entsandten Verstärkungen wieder reduzieren. In Rumänien, zum Beispiel, sollte eine Basis für 10.000 Soldaten errichtet werden. Dazu wird es nun nicht kommen. Es ist eindeutig ein Zeichen der Entspannung, das hier von den Amerikanern gesendet wird. Und es ist auch ein Indiz, dass die USA die europäischen Annahmen eines baldigen russischen Angriffs gegen die NATO nicht teilen.
Obwohl die Nachrichtenlage eher für eine Eskalation spricht, sehen Sie also immer noch das Potential für einen baldigen Ausweg aus dem Konflikt?
Ja. Dafür muss man jedoch die losen Enden in den Argumentationssträngen der einzelnen Parteien aufnehmen und diese dann zusammenknüpfen. Leider sind vor allem die verantwortlichen Akteure in Europa festgefahren in ihrer Haltung, die Ukraine um jeden Preis mit Waffen unterstützen zu wollen. Damit ignorieren sie nicht nur, dass sie – anders als der US-Präsident – der Diplomatie keine Chance geben, sondern auch, dass die militärische Situation der Ukraine inzwischen äußerst kritisch ist und nur Verhandlungen das Land vor einer katastrophalen militärischen Niederlage bewahren können.
Die Haltung der europäischen Politik, weiter auf einen militärischen Sieg der Ukraine zu setzen, hängt unter anderem mit der Beobachtung zusammen, dass Russland zuletzt auf dem Schlachtfeld kaum vorankam. Stimmt dieser Eindruck?
Ja und nein. Ja in dem Sinne, dass von Russland in der letzten Zeit keine großen Geländegewinne erzielt wurden. So ist es den russischen Streitkräften in dreieinhalb Jahren nicht gelungen, die vier annektierten Regionen vollständig zu erobern. Selbst die Region Donezk ist noch nicht ganz von den Russen besetzt. Allerdings ist dies das Gebiet, in dem die Russen jetzt schwerpunktmäßig angreifen.
Jedoch muss man in diesem Zusammenhang immer wieder betonen, dass das primäre Ziel der russischen Operationen nicht die schnelle Eroberung gegnerischen Geländes ist, sondern die Vernichtung der ukrainischen Streitkräfte durch deren kontinuierliche Abnutzung. Sollte ihnen dies gelingen, würde ihnen das umkämpfte Territorium mehr oder weniger kampflos zufallen. Nicht außer Acht zu lassen ist auch, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht mehr zu groß angelegten Offensiven, sondern nur noch zu einem Verzögerungsgefecht in der Lage sind.
Beispielhaft für die Gesamtsituation ist die derzeitige Lage im Raum Pokrowsk. Die Russen haben den Ort – wie zuvor in Awdijiwka und Bachmut – weitgehend eingekesselt. Sollten die Russen Pokrowsk vollständig einnehmen, würden sie die ukrainischen Streitkräfte nördlich der Stadt weitgehend von der weiteren Versorgung abschneiden.
Offenbar versuchen die Russen derzeit auch, einen Brückenkopf auf der Westseite des Dnjepr einzurichten, um in Richtung Odessa vorzustoßen. Ich war bislang der Meinung – wir haben mehrfach darüber gesprochen –, dass sie sich mit den vier genannten Regionen begnügen werden. Aber die Option Odessa stand natürlich immer im Raum, weil die Russen damit die Ukraine vom Schwarzen Meer abschneiden und sich selbst den Zugang zum Mittelmeer sichern würden.
Es ist also kein Geheimnis, dass Russland bis zu einem möglichen Friedensvertrag weiterhin versucht, ukrainisches Territorium zu erobern. Aber das heißt nicht, dass Russland den Krieg nicht beenden will. Und ich bin auch davon überzeugt, dass Russland – wenn man sich seine Gesamtlage ansieht – den Krieg allmählich auch beenden muss. Nicht zuletzt, weil nach dreieinhalb Jahren Krieg seine geopolitische Handlungsfähigkeit an anderen Schauplätzen eingeschränkt ist. Man erkennt dies an dem Einflussverlust im Südkaukasus und im Nahen Osten.
In deutschen Medien wurde zuletzt davon berichtet, dass die Ukrainer sich mittlerweile in stabilen Verteidigungsstellungen eingerichtet haben und die Russen dadurch nicht mehr in der Lage wären, weiteres ukrainisches Territorium zu erobern.
Es ist richtig, dass die Ukrainer in letzter Zeit ihre Verteidigungsstellungen deutlich verstärkt haben und diese für die russische Seite sehr schwer zu durchbrechen sind. Aber das ändert nichts daran, dass die Russen materiell und vor allem personell über den längeren Atem verfügen. Die Defizite beim Material können die Ukrainer durch die Unterstützung der USA und der europäischen Staaten ausgleichen, das Missverhältnis bei den Truppenstärken jedoch nicht. Denn die Entsendung westlicher Soldaten würde die Eskalation zu einem großen europäischen Krieg bedeuten.
Was sich in den letzten Monaten auch beobachten lässt, ist eine deutliche Verlagerung des Kampfgeschehens vom Gefechtsfeld hin zu Angriffen über große Distanzen. Dies vor allem durch den Einsatz von Drohnen. Beide Seiten versuchen, den Gegner weit hinter den Kampflinien zu schwächen, indem sie insbesondere dessen Energieversorgung angreifen. Aber letzten Endes sind dies keine Kampfhandlungen, die eine strategische Entscheidung herbeiführen können, sondern auch nur Elemente des Abnutzungskriegs.
Stichwort: Drohnen. Auch in mehreren Staaten der Europäischen Union haben diese zuletzt für Furore gesorgt. Es gab Berichte über einen Drohneneinschlag auf polnischem Staatsgebiet unweit der Grenze zu Weißrussland. Und es gab Drohnensichtungen an europäischen Flughäfen wie Kopenhagen, München und Frankfurt. Diese wurden mehrheitlich als russische Provokationen gedeutet. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Bislang wurde immer nur vermutet (!), dass es sich um russische Drohnen handelte. Bei dem Vorfall am Kopenhagener Flughafen, bei dem anfangs sogar von einem Angriff die Rede war, sind die Dänen inzwischen zurückgerudert. Beim Vorfall in Frankfurt handelte es sich um einen Hobby-Piloten, der gerade eine Drohne gekauft hatte und diese ausprobieren wollte.
Im Falle der Drohnen, die in den polnischen Luftraum eingeflogen sind, liegt die Sache anders. Da sind tatsächlich in der Nacht vom 9. auf den 10. September 19 russische Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen. Es gibt allerdings eine Erklärung des stellvertretenden weißrussischen Verteidigungsministers, in der es heißt, dass sowohl russische als auch ukrainische Drohnen im Luftraum der Ukraine im Einsatz waren und einige von ihnen durch elektronische Störungen vom Kurs abgekommen sind. Diese Drohnen sind zunächst in den Luftraum Weißrusslands eingeflogen, und einige davon wurden von der weißrussischen Luftverteidigung abgeschossen. Die Weißrussen haben daraufhin die polnische Luftverteidigung informiert. Weiter heißt es, dass dann auch Polen reagiert und Informationen an Weißrussland gegeben habe. Von den 19 Drohnen, die dann in den polnischen Luftraum eingeflogen sind, sind drei oder vier abgeschossen worden, und zwar von polnischen Luftverteidigungsflugzeugen. Von einer Drohne heißt es, sie habe ein Haus erheblich beschädigt, worauf es dann am nächsten Tag auf Antrag Polens eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates gab, in der Polen ausdrücklich von einem Angriff sprach.
Es stellte sich dann aber heraus, dass dieses Haus von einer Luft-Luft-Rakete eines polnischen F16-Kampfflugzeuges getroffen wurde und nicht von einer Drohne. Diese Luft-Luft-Rakete war nicht scharf gestellt, weshalb das Haus auch nicht explodierte. Das bedeutet aber auch, dass jeder Laie sofort hätte erkennen können, dass es sich um eine Rakete und nicht um eine Drohne handelte.
Von den 15 russischen Drohnen, die weiter in den polnischen Luftraum hineingeflogen sind, ist keine einzige detoniert. Sie sind alle nach dem Erreichen ihrer maximalen Reichweite abgestürzt. Und das, was auf den in den Medien gezeigten Fotos zu sehen war, deutet darauf hin, dass es sich überwiegend um Täuschkörper gehandelt hat, die der Ablenkung der ukrainischen Luftverteidigung dienten. Wir sollten also die jeweiligen Fälle stets genau analysieren, bevor wir durch vorschnelle Behauptungen zu einer Eskalation einer ohnehin schon heiklen Lage beitragen.
Die Europäische Union nahm die Vorfälle gleichwohl zum Anlass, Pläne für einen sogenannten Drohnenwall vorzustellen. Gehört es überhaupt zu den Kompetenzen der EU, Verteidigung zu organisieren? Und ist solch ein „Wall“ militärisch überhaupt sinnvoll?
Grundsätzlich ist es richtig, Pläne für die Abwehr von Drohnen als ein Element einer Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Allerdings müssen diese Überlegungen berücksichtigen, dass Drohnen in der gegenwärtigen Kriegführung zwar eine größere, aber keine allein entscheidende Rolle spielen. Es ist, wenn man von Nuklearwaffen absieht, immer der Systemverbund, der kriegsentscheidend ist.
Ein anderer Punkt ist, dass es wesentlich effektivere Waffensysteme gibt, gegen die ein „Drohnenwall“ nichts ausrichten könnte. Hyperschallwaffen beispielsweise oder Waffensysteme mit unabhängig voneinander steuerbaren Geschäftsköpfen, wie sie die Russen entwickelt haben. Wenn es also darum gehen soll, die europäische Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen, dann muss man sich das gesamte Spektrum an modernen Waffensystemen anschauen.
Aber ist es überhaupt Aufgabe der EU, sich auf diesem Gebiet zu engagieren? Immerhin gibt es zum Schutz unserer äußeren Sicherheit die NATO.
Tatsächlich bewegt sich die EU mit ihrem Versuch, Einfluss auf militärische Aspekte zu erhalten, auf fremdem Terrain.
Zu berücksichtigen ist, dass die Verteidigungsfähigkeit der NATO nur dadurch entsteht, dass alle ihre Mitgliedsstaaten in der gemeinsamen Streitkräfteplanung ihren Anteil übernehmen und insgesamt die Schlagkraft des Bündnisses darstellen. Zudem verfügt die NATO über eine gemeinsame Kommandostruktur, die die Europäische Union nicht im Ansatz hat. Wenn also die EU anfangen sollte, ohne Rücksicht auf die NATO eigene Verteidigungsfähigkeiten zu entwickeln, wäre dies der Aufbau einer nutzlosen Doppelstruktur, die lediglich den Brüsseler Beamtenapparat aufblähen würde.
Grundsätzlich sollten wir uns nicht aufgrund einiger ungeklärter Vorfälle in teure Fehlentwicklungen treiben lassen. Der Ort, an dem europäische Verteidigungsfähigkeit organisiert werden muss, ist die NATO. Und zwar durch einen starken europäischen Pfeiler innerhalb der Allianz.
Noch mal zurück zum Ukrainekrieg. Ein wichtiger Faktor, der hierzulande noch immer kaum berücksichtigt wird, ist China. So wie die Ukrainer ihre Verteidigung nicht allein organisieren, sondern mit Unterstützung der europäischen Staaten und der USA, so stehen hinter Russland die Chinesen. Pekings Außenminister Wan Yi hat unlängst in Brüssel erklärt, dass sein Land es unter keinen Umständen zulassen werde, dass Russland den Krieg verliert.
So ist es. Anders als die westlichen Staaten hat China nach Ausbruch des Krieges seine Beziehungen zu Russland nicht abgebrochen, sondern sogar intensiviert. Damit verfolgt das Reich der Mitte geopolitische und ökonomische Interessen. Zu denen gehört, dass die Chinesen nicht wollen, dass die westliche Einflusssphäre weiter ausgedehnt wird. Zu denen gehört aber auch, dass China ein Interesse daran hat, dass dieser Krieg nicht irgendwann die eigenen Exporte gefährdet. Deshalb hat Peking wiederholt eigene Vorschläge zur Beilegung des Konflikts unterbreitet.
Das neue Gewicht Chinas hat sich auch in der vergangenen Woche gezeigt, als sich Trump mit seinem Kollegen Xi Jinping im südkoreanischen Busan traf. Anders als die EU hatte China nicht vor den Zolldrohungen der USA gekuscht, sondern mit eigenen Sanktionen reagiert. Nun verkündeten beide Staaten eine Einigung, was einmal mehr zeigt, dass hier eine Supermacht erwachsen ist, die den USA zunehmend ebenbürtig wird. Bei diesem Treffen wurde auch über den Ukrainekrieg gesprochen, und beide Präsidenten haben vereinbart, für ein Ende des Krieges zusammenzuarbeiten. Ich bin überzeugt, dass davon ein wichtiger Impuls ausgehen wird.
Diejenigen, die nach wie vor an einen Sieg der Ukraine glauben, stützen ihre Hoffnung darauf, dass den Russen bei andauernder Unterstützung der Ukraine und bei gleichzeitiger Fortsetzung der Sanktionen früher oder später die Puste ausgeht. Sind derlei Hoffnungen angesichts der Rolle Chinas nicht illusorisch?
Das ist genau der Punkt. Natürlich wirken sich die Sanktionen wie auch der permanente Verbrauch und Verschleiß von militärischen Gütern auf Russland und seine Volkswirtschaft aus. Aber eben nicht in dem Maße, wie es sich der Westen erhofft hat. Wir stehen jetzt vor dem 19. Sanktionspaket gegen Russland, und bislang hat noch keines das Kriegsgeschehen zugunsten der Ukraine verändert.
Russland hat übrigens nicht nur die Chinesen, sondern die Staaten der BRICS+-Gruppe und der Shanghai-Organisation an seiner Seite, die einerseits Rohstoffe wie Öl von den Russen kaufen und sie andererseits mit Konsumgütern beliefern. Die Russen sind also alles andere als isoliert. Der Glaube an einen baldigen Zusammenbruch der russischen Militärmacht ist deshalb ebenso eine Fiktion wie die Hoffnung darauf, dass die Ukraine den Krieg doch noch auf dem Schlachtfeld gewinnen könnte.
Lassen Sie uns zu guter Letzt noch einen Punkt ansprechen, der gerade in den letzten Tagen für Furore gesorgt hat. Der US-Präsident verkündete im Umfeld seines Treffens mit Xi, dass sein Land gezwungen sei, zu Atomwaffentests zurückzukehren. Wie ist dieser Schritt zu bewerten?
Russland hat Ende Oktober erfolgreiche Tests des Torpedos „Poseidon“ mit einer Reichweite von mehr als 10.000 Kilometern und des Marschflugkörpers „Burewestnik“ mit einer praktisch unbegrenzten Reichweite bestätigt. Beide Waffensysteme verfügen über einen nuklearen Antrieb durch einen Miniatur-Kernreaktor und können mit einem nuklearen Gefechtskopf ausgerüstet werden. Sie sollen das interkontinental-strategische Gleichgewicht mit den USA durch eine gesicherte nukleare Zweitschlagfähigkeit Russlands garantieren. Dazu wurde insbesondere der Marschflugkörper „Burewestnik“ entwickelt, mit dem Russland das Ziel verfolgt, Raketenabwehrsysteme zu durchdringen.
Auf diese Nachricht hin verkündete Trump die Wiederaufnahme amerikanischer Atomtests, betonte zugleich jedoch, dass er es hasse, dies tun zu müssen. Da jedoch die Russen ihre neuen Waffensysteme ohne atomare Gefechtsköpfe getestet haben, fehlt der Ankündigung des US-Präsidenten letztlich die Grundlage.
Käme es allerdings tatsächlich zu neuen Atomwaffentests, würde dies nach mehr als dreißig Jahren eine Erosion der internationalen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsordnung markieren und wäre in der Tat eine Rückkehr in finstere Zeiten. Denn seit dem letzten Nukleartest der USA 1992 gilt ein faktisches Testmoratorium der fünf Atommächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Zudem verbietet der „Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty“ (CTBT) von 1996 nukleare Tests. Allerdings ist dieser bisher nicht in Kraft getreten.
In jedem Fall ist die Diskussion über neue Atomwaffentests ein Beispiel dafür, an welche Abgründe die Welt ganz schnell geraten kann. Weshalb es dringend erforderlich ist, die Suche nach einer politischen Lösung des bestehenden militärischen Konfliktes in der Ukraine nicht aufzugeben.
Das Gespräch führte René Nehring.
General a. D. Harald Kujat war von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.