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Die berühmteste  Siedlung der GEHAG und Inspirator ihres  Logos:  Die Hufeisensiedlung im Berliner Ortsteil Britz des Bezirks  Neukölln
Foto: A. Savin, WikipediaDie berühmteste Siedlung der GEHAG und Inspirator ihres Logos: Die Hufeisensiedlung im Berliner Ortsteil Britz des Bezirks Neukölln

Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft

Beitrag zum Wohnen für jedermann

Was die Geschichte der vor 100 Jahren gegründeten GEHAG mit den Ostpreußen Martin Wagner und Bruno Taut verbindet

Steffen Adam
07.05.2024

Am 14. April 1924 gründete der Stadtplaner, Architekt und Stadttheoretiker Martin Wagner, Stadtbaurat des Bezirks Schöneberg von Groß-Berlin sowie Begründer und Leiter des Verbandes sozialer Baubetriebe (VsB), mit der GEHAG Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft ein bis dato einzigartiges Unternehmen zur Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung in den Ballungszentren mit bezahlbarem, gesundem und – wie wir heute wissen – nachhaltigem Wohnraum. Die GEHAG vereinigte eine Vielzahl von gemeinwirtschaftlich progressiven Organisationen als Aktionäre in sich und verankerte damit die Errichtung von Wohnraum breit in der Gesellschaft solidarisch.

Mit Bruno Taut verpflichtete Wagner einen Architekten, der mit seinen Wohnkonzepten und seinen farbigen Bauten die spezielle GEHAG-Qualität erfand und die Grundlagen des Wohnens im 20. Jahrhundert weltweit entwickelte. Vier Siedlungen der GEHAG sind mittlerweile zum Weltkulturerbe der UNESCO erhoben worden.

Taut, der spätere Architekt der klassischen Moderne und Meister des farbigen Bauens, wurde am 4. Mai 1880 in Königsberg geboren. Wagner kam am 5. November 1885 ebenfalls in der Hauptstadt der Provinz Ostpreußen zur Welt. Wagner studierte Architektur mit dem Schwerpunkt Stadtplanung, Bauablauf und Organisation. Beiden Königsbergern gemein war der bohrende Trieb, ihr Können und ihre Fähigkeiten der Versorgung weiter Schichten der Bevölkerung mittlerer und unterer Einkommen mit optimalem Wohnraum zugutekommen zu lassen.

Dass der „gute Wille“ philosophisch am Pregel geboren wurde, mag bei beiden Söhnen Königsbergs unterschwellig mitgewirkt haben, ihn im Hypothetischen Imperativ in die Tat umzusetzen. Taut und Wagner lernten sich 1908 im Studium an der Technischen Hochschule Charlottenburg in Berlin kennen, gingen danach aber zunächst getrennte Wege. Während Taut mit der Siedlung Paradies das Bunte Magdeburg errichtete, promovierte Wagner 1915 mit der Arbeit „Das sanitäre Grün der Städte, ein Beitrag zur Freiflächentheorie“ und wurde 1918 zum Baustadtrat der damaligen Stadt Schöneberg ernannt. In dieser Funktion organisierte Wagner den ersten Siedlungsbau der neuen, jungen Republik, den Lindenhof, zu dem Taut von Ferne das Ledigenheim – ein Geschossbau mit Ein-Zimmer-Wohnungen – beisteuerte.

Martin Wagners bedeutendstes organisatorisches Werk
Wagner unterstützte gleich nach dem Ersten Weltkrieg die Gründung freier, sozialer Baubetriebe durch den Deutschen Bauarbeiterverband. Zusammen mit dem Gewerkschaftler August Ellinger vertrat Wagner diese nun in der Bauhüttenbewegung zusammengefassten Betriebe reichs- und sogar europaweit. Die Gewerkschaften der europäischen Nationen fanden viel schneller wieder zueinander, als es politische Organisationen je vermochten oder auch nur anstrebten. Die Sozialen Baubetriebe sollten als erstes Standbein gemeinwirtschaftlichen Bauens lediglich die eigenen Gehälter erwirtschaften. Wagner setzte durch, dass sie trotz Subvention durch die Gewerkschaften stets im Wettbewerb untereinander blieben und vom unabhängigen Revisionsverband beaufsichtigt wurden.

Die gewinnorientierte Privatwirtschaft reagierte prompt. Sie organisierte einen Lieferboykott von notwendigen Baustoffen gegen die Bauhütten, versuchte einen Preiskampf und bekämpfte es heftig, dass den sozialen Baubetrieben die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau zuerkannt wurde.

Wagner überzeugte den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) und den Allgemeinen freien Angestelltenbund, baustoffproduzierende Betriebe oder Industrie zu erwerben. Sie sollten als freie Baustoffproduzenten das zweite Standbein der Bauhüttenbewegung bilden. Bis Ende 1922 wurden Ziegeleien, Betonwerke, Wälder und Sägewerke erworben – gerade noch rechtzeitig. Die Besetzung des Rheinlandes nutzte die Reichsregierung, um mit einer Hyperinflation gewaltigen Ausmaßes dem Ausland gegenüber zu beweisen, dass Deutschland die Reparationen unmöglich bezahlen könne. Dass auch der Mittelstand darüber seine Ersparnisse verlor, nahm die Regierung hin. Immobilien hingegen behielten ihren Wert, wurden sogar entschuldet.

Deshalb wurde die Besteuerung der Immobilienvermögen von Rudolf Hilferding, Finanzminister im „Kabinett der Fachleute“ unter Gustav Stresemann, zur Grundlage der rettenden Währungsreform. Wagner ergriff die Chance, um das dritte Standbein der sozialen Betriebe zu gründen: die GEHAG. Damit war zu den Baubetrieben und den Baustofferzeugern nun auch die Seite der Auftraggeber gemeinwirtschaftlich organisiert. Viele Fachleute waren erstaunt, dass Wagner nicht selbst Vorstand der GEHAG wurde, sondern Taut aus Magdeburg holte und ihn zum Chefarchitekten ernannte.

Gleich das erste Projekt der GEHAG begeisterte die Fachwelt: der erste Bauabschnitt 1924 der Siedlung am Schillerpark in Berlin-Wedding. Die von Taut konzipierte Siedlung gehört seit 2008 als „Siedlungen der Berliner Moderne“ zum Weltkulturerbe der UNeSCO. Das zweite, die Großsiedlung Britz, „Hufeisensiedlung“, ab 1925, gehört ebenfalls zum Welterbe. Das dritte, die Waldsiedlung Zehlendorf, „Onkel Toms Hütte“, ab 1926, steht seit November 2023 auf der Tentativliste (Vorschlagsliste) zum Welterbe. Dann folgen die Wohnstadt Carl Legien – Welterbe, die Siedlung Buschallee in Weißensee und die Trierer Straße. Fast alle Siedlungen der GEHAG, die aus dieser Zeit stammen und nach Plänen von Taut errichtet wurden, sind in die Denkmalliste Berlins eingetragen.

Bruno Tauts größtes architektonisches Werk
Taut verband in genialer Weise seine Verantwortung für breite Schichten der Bevölkerung mit den Ideen des hygienischen Wohnungsbaus, wie sie Albert Kohn, Direktor der Berliner Allgemeinen Ortskrankenkasse, propagierte, sowie Auflagen staatlicher und städtischer Förderungen, die den Geist Wagners atmeten.

Städtebaulich variierte Tau seine Baublöcke beziehungsweise Mietshäuser durch Vor- und Rücksprünge oder öffnete die Blöcke mit freien Ecken oder Durchgängen. Als Bauhöhe strebte Taut vier Geschosse bei Mietshäusern an. Die Abstände dieser Häuser konstruierte Taut am Sonnenstand, damit sich die Blöcke untereinander nicht verschatteten. Zwischen den Baublöcken wurde „Sanitäres Grün“ als Gemeinschafts- oder Mietergärten angelegt. Konzeptionell wird das Mietshaus der GEHAG als Zweispänner oder als Laubengang erschlossen. Die Hausbreite beträgt bei Taut rund elf Meter.

Als vorrangige Größe von Geschosswohnungen strebte Taut für ein bis vier Personen mit Kindern bis sechs Jahre 50 bis 60 Quadratmeter, zweieinhalb Zimmer, an. Deshalb war es Taut besonders wichtig, dass jede Wohnung über einen Balkon, eine Terrasse oder eine Loggia verfügen sollte. Als Außenwohnraum bezeichnete Taut diese Notwendigkeit im Wohnungsbau.

Die Flurfläche in den Wohnungen minimierte Taut, erschloss jedoch mit diesem einen Flur alle Räume der Wohnung. Alle Räume waren nach außen zu belichten und zu belüften. Das Verhältnis von Länge und Breite näherte sich dem Goldenen Schnitt an. Küche und Sanitärraum lagen bei Taut am Wohnungseingang. Das sollte die übrige Wohnung vor Lärm schützen. Die vollen Wohnräume waren etwa 20 Quadratmeter groß und gleichwertig, um flexible Nutzung zu gewährleisten. Halbe Wohnräume machte Taut mindestens zehn Quadratmeter groß. Lediglich die Sanitärräume waren mit etwa fünf Quadratmetern nach heutigen Bedürfnissen viel zu klein.

Bei Reihenhäusern stellte sich heraus, dass es günstig ist, zwischen Treppe und Wohnräumen einen Flur zur Erschließung der hinteren Räume einzuplanen. Die optimale Hausbreite legte Bruno Taut bei fünfeinhalb Metern fest.

Wagner erschuf mit der GEHAG sein bedeutendstes organisatorisches Werk, Taut sein größtes architektonisches. Beider Werke zusammen erscheinen bis heute als bedeutendster Beitrag Ostpreußens und vorbildlich für einen solidarischen Wohnungsbau, der die Herstellung aktuell benötigter Wohnungen und zukünftigen Wohnens ermöglicht.


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Kommentare

Kersti Wolnow am 10.05.24, 11:31 Uhr

Man wird das ungemütliche Gefühl nicht los, angesichts von geschmackloser Architektur, Kunst und Lebensart in einer menschenverachtenden Zeit zu leben. Alles, inbegriffen die Heerscharen von Kontinentfremden auf deutschen Straßen, ist ein Angriff auf unsere Seele.

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