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Kranzler, Möhring, Rogacki: Zahlreiche Traditionsadressen streichen für immer die Segel
Ab Anfang kommenden Jahres will die Bundesregierung die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie dauerhaft auf sieben Prozent senken. Für einige renommierte Gastronomiebetriebe in der Hauptstadt kommt der zur Entlastung der Branche gedachte Schritt zu spät. In Berlin ist derzeit viel von einem „Gastro-Sterben“ die Rede. Betreiber nennen regelmäßig die gleichen Gründe, warum sie das Handtuch schmeißen: zu wenig Personal, zu wenig Kunden, zu hohe Kosten.
Durch die Medien gehen derzeit vor allem die gut bekannten Namen, die aufgeben: Nach knapp zwanzig Jahren schließt in Berlin-Mitte die Brasserie Gendarmenmarkt, und in Wilmersdorf hat nach 26 Jahren das Restaurant New Tian Fu dichtgemacht. Auch der Betreiber des Sternerestaurants Prism in Charlottenburg kündigt für Ende August die Schließung an. Schon vor Jahren verschwunden sind traditionsreiche gastronomische Adressen wie das alte Café Kranzler und das Café Möhring am Kurfürstendamm. Auch das Café Einstein-Stammhaus in der Kurfürstenstraße, eine Berliner Institution mit Wiener Kaffeehaus-Atmosphäre, ist nur noch Geschichte.
Für alteingesessene Berliner ärgerlich ist, dass nun eine weitere Adresse verschwunden ist, die über Jahrzehnte für das Lebensgefühl im Westen Berlins gestanden hatte. Bereits im Juli hat der traditionsreiche Berliner Feinkostladen Rogacki in der Wilmersdorfer Straße Insolvenz angemeldet. Der Familienbetrieb mit Wurzeln in Ostpreußen hatte 1928 zunächst im Arbeiterbezirk Wedding als Fischräucherei angefangen.
Kunden fehlt zunehmend das Geld
Nach der Eröffnung eines Ladens im bürgerlichen Charlottenburg etablierte sich Rogacki über Jahrzehnte als Institution für Feinschmecker – egal ob es um Fisch, Wild, Geflügel oder Fleisch ging. Viel stärker als in der elitär angehauchten Feinkostetage des Kaufhauses KaDeWe war bei Rogacki die für das alte West-Berlin typische Mischung anzutreffen: von der betuchten Wilmersdorfer Witwe, die Austern und Champagner orderte, bis hin zum Handwerker, der Bulette mit Kartoffelsalat auf seinem Teller wünschte. Noch Jahrzehnte nach dem Mauerfall schätzte Nicolai Rogacki, Urenkel des Firmengründers, ein: „Wir sind schon ein Teil von West-Berlin.“ Der Deutschlandfunk sprach in einem Bericht sogar anerkennend von der „Kantine des Westens“.
In die Insolvenz gerutscht ist das legendäre Feinkostgeschäft, nachdem Inhaber Dietmar Rogacki beim Brand seines Spandauer Hauses ums Leben gekommen war. Die nachfolgende Familiengeneration hat offenbar keine Chance gesehen, das Unternehmen erfolgreich weiterzuführen.
Bereits in den vergangenen Jahren hatte der Chef des Traditionsgeschäfts immer wieder über Probleme berichtet: Etwa von den Schwierigkeiten, Lehrlinge zu finden, oder der Sorge, wie lange die Behörden noch eine Genehmigung für die alten Buchenholz-Räucheröfen aus dem Jahr 1932 erteilen würden. Dazu bekam das Geschäft zu spüren, dass die Gäste stärker auf ihre Ausgaben achten mussten: „Die Kunden bleiben nicht aus, aber sie kaufen statt früher fünf Scheiben jetzt nur noch drei Scheiben Lachs“, so Dietmar Rogacki bereits im Jahr 2018.
Übernimmt das Clanmilieu die Läden?
Alte Einwohner des Berliner Westens haben mit dem Aus von Rogacki nicht nur ein hochwertiges Lebensmittelgeschäft, sondern auch einen sozialen Treffpunkt verloren – ob sie gleichwertigen Ersatz finden, ist fraglich. Das Nobelkaufhaus KaDeWe mit Europas größter Lebensmittelabteilung orientiert sich seit dem Erwerb durch einen thailändischen Eigentümer mittlerweile stark an zahlungskräftigen asiatischen Touristen.
Auch in den Kiezen von Charlottenburg und Wilmersdorf erleben die Bewohner schon seit Jahren, wie altbekannte Restaurants und Lokale, aber auch viele alteingesessene Läden verschwinden – dafür aber die Zahl der Asia-Imbisse, Dönerläden, Barbershops und Shisha-Lokale immer größer wird.
Jürgen P., ein Berliner, der schon seit den 1970ern in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms lebt, hat das langsame Verschwinden traditionsreicher Lokale und Geschäfte in seiner Wohnumgebung im Laufe der Jahre aus der Nähe beobachten können. Innerhalb weniger Jahre seien aus ganzen Straßenzügen lang ansässige Läden und Lokale verschwunden, so der 66-jährige Charlottenburger, der jahrelang in der Kommunalpolitik aktiv war.
Nach seinen Kenntnissen sind neue Mietverträge oftmals an Angehörige des Berliner Clanmilieus gegangen, die Vermietern mehrere Jahresmieten im Voraus angeboten haben. Mit dem weitgehenden Verschwinden deutscher Gastronomiebetriebe in Berlin sieht der pensionierte Beamte auch ein Stück kulturelles Erbe verschwinden.