05.09.2025

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In seinem Arbeitszimmer im Jahre 1911: Matthias Erzberger
Bild: AS Syndication – ullstein bildIn seinem Arbeitszimmer im Jahre 1911: Matthias Erzberger

Matthias Erzberger

Berufspolitiker im Feuer der Milliarden

Der politisch im Zentrum beheimatete Publizist, Reichstagsabgeordnete, Unterzeichner des Waffenstillstands von Compiègne und Reichsfinanzminister der jungen Weimarer Republik kam vor 150 Jahren in Schwaben zur Welt

Bernhard Knapstein
05.09.2025

Es gibt Namen in der deutschen Geschichte, die nicht so präsent sind wie Bismarck, Adenauer oder Brandt – und doch für historische Wendepunkte stehen. Eine solche Persönlichkeit war Matthias Erzberger. Er war einer der ersten, die Politik nicht mehr als Ehrenamt verstanden, sondern als Beruf im modernen Sinne: organisiert, taktisch, auf Dauer angelegt, als Gelderwerb. Erzberger war ein Mann, der seine Karriere aus Überzeugung, aber auch mit Professionalität betrieb – und damit eine Linie zog, die bis in die Gegenwart reicht.

Geboren wurde Matthias Erzberger am 20. September 1875 in Buttenhausen auf der Schwäbischen Alb, als Sohn eines Schneiders. Sein Weg führte ihn zunächst auf das katholische Lehrerseminar in Saulgau. Doch er unterrichtete nur kurz – der Drang in die Politik war stärker. Schon als junger Mann schrieb er für die katholische Presse, ehe er sich der Zentrumspartei anschloss. 1903, mit gerade einmal 28 Jahren, zog er in den Reichstag ein – einer der jüngsten Abgeordneten seiner Zeit.

Damit war Erzberger Teil einer neuen Generation: weder großbürgerliche Herkunft noch adeliger Hintergrund, sondern ein ausgebildeter Lehrer, der die Politik zum Beruf machte.

In seinen frühen Jahren galt er als „rasender Wahlkämpfer“: Er zog durch die Provinzen, hielt Reden, verteilte Flugblätter, sammelte Stimmen – wie es in der wilhelminischen Gesellschaft noch als „unfein“ galt. Doch Erzberger verstand Politik bereits als Handwerk. „Politik ist nichts für Feiertage, sie ist tägliche Arbeit“, so sein Credo.

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war Erzberger längst eine feste Größe im Reichstag. Anfangs unterstützte auch er die Kriegsanstrengungen – wie fast alle Parteien. Doch je länger die Fronten erstarrten, desto stärker zweifelte er. Schon 1917 plädierte er öffentlich für einen Verständigungsfrieden, ohne Annexionen, ohne Machtträume. „Wir müssen die Kraft haben, dem Volke zu sagen: Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen“, forderte er im Reichstag.

„Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen“
Es war ein Satz, der ihn politisch isolierte – aber auch zu einer der wenigen Stimmen der Vernunft machte. Damit taugte Erzberger vor allem als Feindbild. Diese Rolle kulminierte im November 1918, als Erzberger im Auftrag der Reichsregierung den Waffenstillstand von Compiègne unterzeichnete. In einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne musste er die Bedingungen der Alliierten akzeptieren – Demütigung und Notwendigkeit zugleich. In seinen Memoiren notierte er später: „Ich wusste, dass die Hand, die ich reichte, mir in Deutschland abgeschlagen würde. Aber ich wusste auch, dass kein anderer sie ausstrecken konnte.“

Diese Erfahrung machte ihn zum Symbol der „Dolchstoßlegende“, er galt als Vertreter jener Kräfte, die im sicheren Hinterland den Sieg derjenigen verhindert haben sollen, die tief im Feindesland die Stellungen hielten.

Auch nach dem Krieg blieb dem Zentrumspolitiker die politische Tragik treu. Erzberger übernahm in der jungen Weimarer Republik ein Ressort, das bis heute in der Krise ein Zentrum der Macht ist: das Finanzministerium. Sein Auftrag: die zerrütteten Finanzen des Reiches zu ordnen. Deutschland stand vor einem Schuldenberg von 154 Milliarden Mark, die Kriegskosten waren unvorstellbar. Hinzu kamen die Reparationsforderungen der Alliierten.

Erzberger erkannte, dass die bisherigen föderalen Strukturen nicht mehr ausreichten. Mit seiner großen Finanz- und Steuerreform von 1919 und 1920 zentralisierte er das Steuerwesen: Er führte die Einkommensteuer ein, erhob Körperschaft- und Vermögensteuern, schuf eine Reichsfinanzverwaltung, die erstmals über Ländergrenzen hinweg durchgriff.

„Ich verlange Opfer, weil ich weiß, dass nur Opfer uns retten können“, erklärte er im Reichstag.

Die Dimensionen waren gigantisch. Erzberger musste Geldströme organisieren, die noch nie in solcher Höhe in Deutschland bewegt worden waren. Er agierte wie ein Jongleur, der gleichzeitig mit Milliardenforderungen der Alliierten, mit Steuerlasten für die eigene Bevölkerung und mit dem Misstrauen der Wirtschaft umgehen musste. Sein Dilemma: Erzberger wollte moderne Finanzpolitik betreiben, während die Republik politisch und fiskalisch noch in den Geburtswehen lag.

Inbegriff des „Erfüllungspolitikers“
Erzbergers Mut zur unbeliebten Handlung aus Verantwortung hatte einen Preis. Er war der Inbegriff des „Novemberverräters“ – jener Politiker, die den Krieg beendeten und das Reich angeblich erniedrigten. Karikaturen zeigten ihn antisemitisch konnotiert, Nationalisten und Militaristen forderten offen seinen Tod.

Am 26. August 1921 wurde Erzberger im Schwarzwald von Mitgliedern der rechtsextremen „Organisation Consul“, deren Mitglieder vor allem in der Brigade Ehrhardt verortet waren, erschossen. Mehrere Kugeln trafen ihn in den Rücken – ein Mord mit Symbolkraft, ein „Dolchstoß“ im Wortsinn.

Mit seinem Tod verlor die junge Weimarer Republik einen der wenigen Politiker, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. „Mit Erzberger starb der erste moderne Politiker Deutschlands – und mit ihm ein Stück Hoffnung“, formulierte der Historiker Heinrich August Winkler später. Der Mord war keine Katharsis, Erzbergers gewaltsamer Tod war erst der Beginn des Endes der von Anbeginn siechenden Weimarer Republik.

Selbstverständlich lassen sich Zeiten nicht gleichsetzen. Aber die Figur des Berufspolitikers, wie Erzberger sie verkörperte, hat heute eine Selbstverständlichkeit erreicht, die damals neu und umstritten war. Allerdings verband er seine Vorstellung vom Berufspolitikertum fest mit dem Ethos des Idealisten und pflichtbewussten Patrioten, der bereit war, sich mit seiner ganzen Person in den Dienst des Vaterlandes zu stellen – auch wenn er sich damit massivem Widerstand und letztlich einer mörderischen Gefahr aussetzte. Von diesem Ethos scheint sich die Masse der heutigen Berufspolitiker meilenweit entfernt zu haben.


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