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Vor 25 Jahren starb der Schriftsteller Ernst Jünger. Zu Lebzeiten vielfach umstritten, gilt er heute als Klassiker der Literatur des 20. Jahrhunderts
Die Ehrung kam spät, aber sie kam. Als der Schriftsteller Ernst Jünger am 29. März 1995 seinen 100. Geburtstag feierte, machten ihm in Person von Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Roman Herzog die höchsten Repräsentanten der deutschen Politik ihre Aufwartung. Zwei Jahre zuvor bereits war Kohl mit dem französischen Präsidenten François Mitterand zu Jüngers Wohnsitz, dem Stauffenbergschen Forsthaus in Wilflingen, gepilgert. Dass ausgerechnet eine Gallionsfigur der sozialistischen Internationale, zudem ein Franzose, den hochbetagten Autor aufsuchte, widerlegte all jene Kritiker, die Jünger vorwarfen, Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen zu sein, oder aber in seinen Erzählungen und Tagebüchern die beiden Weltkriege verherrlicht zu haben.
Dabei übersahen Jüngers Kritiker aus dem bundesrepublikanischen Zeitalter, dass dieser Autor nicht nur ihnen, sondern sein ganzes Leben seinen Zeitgenossen ein „Ärgernis“ war, wie Jünger es selbst 1982 anlässlich der Verleihung des Goethepreises in der Frankfurter Paulskirche formulierte: in der Schule, in der Familie (sein Vater musste den jungen Abenteurer aus der Fremdenlegion herauskaufen), beim Militär und dann als innerlich freier Schriftsteller und Publizist.
Ästhetisierung des Schreckens
Unstrittig ist, dass der am 29. März 1895 geborene und am 17. Februar 1998 gestorbene Jünger ein wahrer Jahrhundertmann war. Und das nicht nur wegen des erreichten biblischen Alters. Er lernte das Kaiserreich in dessen Blüte kennen, erlebte den Ersten Weltkrieg und wurde mit dem Orden „Pour le Mérite“ ausgezeichnet, er wurde zu einem der einflussreichen Autoren der Weimarer Zeit, erlebte den Zweiten Weltkrieg und den deutschen Zusammenbruch, die Teilung der Nation und sogar noch die Einheit von 1990. Das alles und noch viel mehr reflektierte Jünger in seinen Tagebuchbänden, Romanen, Essays und Reiseberichten.
Sein erstes, 1920 erschienenes Buch „In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“ ist bis heute sein bekanntestes. Schon der Titel dieses Werks deutet einen ästhetisierenden Blick auf die Schrecken des Krieges an, der auch später ein prägendes Merkmal vieler Jünger-Werke wurde. Weitere Erzählungen über die Zeit des Ersten Weltkriegs waren unter anderem „Der Kampf als inneres Erlebnis“ und „Das Wäldchen 125“. Neben seinen Büchern erwarb sich Jünger in den 1920er Jahren mit zahlreichen Beiträgen für nationalkonservative und völkische Blätter einen Ruf als junger Starautor der deutschen Rechten. Seinen ersten politischen Artikel veröffentlichte er 1923 im „Völkischen Beobachter“. Die Weimarer Republik – damals freilich von vielen Krisen heimgesucht – lehnte er ab.
Dennoch brach Jünger lange vor deren Machtergreifung auch mit den entschiedensten Gegnern der jungen deutschen Demokratie, den Nationalsozialisten. Dies nicht etwa, weil ihm die Partei Hitlers zu radikal gewesen wäre, sondern weil sie ihm im Kampf gegen die Weimarer Republik nicht radikal und revolutionär genug erschien. In jener Zeit veröffentlichte Jünger auch einige Essays und theoretische Abhandlungen wie „Die totale Mobilmachung“ (1930) und „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ (1932), in denen er sich mit der Verdrängung des bürgerlichen Zeitalters durch die Industrialisierung auseinandersetzte.
Flucht in die innere Emigration
Als die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernahmen, ließ Jünger sich nicht als künstlerische Gallionsfigur des neuen Systems einspannen, was ihm immerhin ein bequemes Leben ermöglicht hätte, sondern wählte den Weg in die innere Auswanderung. Er lehnt unter anderem die Aufnahme in die Deutsche Akademie der Dichtung ab und untersagt dem „Völkischen Beobachter“, nun immerhin die wichtigste Zeitung im Reich, Nachdrucke seiner Texte. 1939 veröffentlichte Jünger mit dem Roman „Auf den Mamorklippen“ eine Geschichte über eine fiktive Gesellschaft im Umbruch, die umgehend als Abrechnung mit dem „Dritten Reich“ verstanden wurde – und heute als einer der prominentesten Texte der inneren Abkehr vom NS-Regime gilt.
Den Zweiten Weltkrieg erlebte Jünger in Frankreich, zuerst als Kompaniechef am Westwall, dann im Stab des Militärbefehlshabers von Frankreich in Paris. Auch diesmal führte Jünger Tagebuch, auch diesmal veröffentlichte er seine Notizen nach dem Krieg, nun unter dem Namen „Strahlungen“, und erzielte damit einen weiteren publizistischen Erfolg.
Doch zunächst wurde Jünger nach dem Krieg von der britischen Besatzungsmacht mit einem Publikationsverbot belegt. Dies jedoch nicht wegen einer etwaigen Verstrickung in den Nationalsozialismus, sondern weil er sich weigerte, den alliierten Entnazifizierungsfragebogen auszufüllen. Erst 1949 wurde das Publikationsverbot aufgehoben.
Spätwerk und Nachruhm
1950 übersiedelte Jünger auf Einladung Friedrich von Stauffenbergs nach Wilflingen. In dem Essay „Der Waldgang“ setzte er den Weg der tiefsinnigen Reflektion der Moderne und der Stellung des Einzelnen in ihr sowie der zeitgleichen inneren Abkehr von ihr fort. Jünger reiste mehrfach durch die Welt, erkundete fremde Kontinente und Kulturen. Neben immer neuen Publikationen, die aufzulisten den Rahmen eines jeden Artikels sprengen würde, entstand eine Käfersammlung von am Ende rund 40.000 Exemplaren. Dass zu den Sammelleidenschaften Jüngers auch die Erfahrungen mit diversen Drogen von Bier, Wein und Nikotin bis zu Kokain, Cannabis und LSD gehörten, zeigte Jünger 1970 in dem Essay „Annäherungen. Drogen und Rausch“. Zu den wichtigsten publizistischen Werken seiner späten Jahre gehören Jüngers Tagebuchbände „Siebzig verweht I bis V“.
Ein Vierteljahrhundert nach dem Tode eines Autors stellt sich unweigerlich die Frage, ob dieser der Gegenwart noch etwas zu sagen hat. Nicht zuletzt, weil die Bestseller einer Epoche oft mit deren Ende gleichsam im Dunkel der Geschichte versinken. Dieses Schicksal scheint Ernst Jünger, dessen Werke ohnehin selten riesige Auflagen erfuhren, nicht zu ereilen. Seine Kriegsberichte „In Stahlgewittern“ und „Strahlungen“ sind längst Klassiker der Literatur des 20. Jahrhunderts, wiederholt von Jünger selbst überarbeitet und wiederholt neu herausgegeben, unter anderem von seinem Biographen Helmuth Kiesel. Dass der Bedarf an „neuen“ Jünger-Texten keineswegs nachlässt, belegen die Editionen der Briefwechsel mit großen Geistern seiner Zeit.
Offenkundig ist der Chronist einer aufgewühlten Zeit noch immer relevant.
Chris Benthe am 27.02.23, 09:08 Uhr
Danke für diese Würdigung Ernst Jüngers. Ich lese gerade den Waldgang, ein Buch, das eine wiederkehrende Aktualität erlangt. Es ist ein Trost in einer kalten Zeit.
Kersti Wolnow am 20.02.23, 08:31 Uhr
Die Verdrängung des bürgerlichen Zeitalters durch die Industrialisierung war mit Sicherheit ebenso schlimm wie die jetzige Auflösung des staatlichen und nationalen durch die Globalisierung, in der es keinen Fortschritt geben wird, weil jeglicher Wettbewerb entfällt. Öde Gleichheit umgibt uns alle, und wer ist nicht in innerer Emigration? Dorthin begibt sich der Mensch immer dann, wenn er in einem totalitären System nichts verändern kann. Ehemaligen DDRlern wird das bekannt vorkommen. Tragisch ist, daß in der BRD trotzdem wieder solche Zustände aufkommen konnten.