02.11.2025

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Reif fürs Altpapier? Man trennt sich ungern von der eigenen Bibliothek, selbst wenn man den Überblick verliert
Bild: ShutterstockReif fürs Altpapier? Man trennt sich ungern von der eigenen Bibliothek, selbst wenn man den Überblick verliert

Geschichte

Gefangene der Bücherparadiese

Kleines Plädoyer für die Hausbibliothek – Warum der Besitz von Büchern, DVDs und CDs glücklich macht

Ansgar Lange
02.11.2025

Die Überschrift eines Artikels lautete jüngst: „Wohin mit all den Büchern?“ Dieser erschien nicht etwa in einer Wohnzeitschrift, in der das übliche Loblied auf den Minimalismus gesungen wurde. Nein, er erschien im Kulturteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, zu deren Lesern auch Besitzer üppiger Bibliotheken gehören dürften. „Literaturberge und Trennungsdramen: Mit jedem neuen Titel wächst nicht nur die Bibliothek, sondern auch das Chaos in der Wohnung. Irgendwann droht die Papierflut das Leben zu überrollen“: Wenn sich die „FAZ“ schon liest wie die „Brigitte“, dann ist Vorsicht geboten.

Warum werden Büchermengen eigentlich immer mit Unordnung assoziiert? Wofür sollen denn die Fußböden und Wände freigehalten werden? Etwa für Flachbildschirme mit den Ausmaßen eines kleinen Heimkinos? Oder für riesige „Wohnlandschaften“? Bisweilen hat man den Eindruck, als würden physische Medien wie Bücher, DVDs, Langspielplatten oder CDs nur noch als Ballast empfunden. Man könnte vielleicht sogar auf den Gedanken kommen, dass manche Gehirne so leer sind wie die „cleanen“ Wohnungen, die allerhöchstens ein Sofa, einen Tisch und vielleicht noch ein paar Stühle beherbergen. Steril ist das neue gemütlich.

Viele Wohnungen sind heute weitestgehend leer. Wenn überhaupt, wird die Zeitung nur digital gelesen. Das Interesse an DVDs und Blu-rays ist weiter rückläufig. Sony will die Produktion sogar ganz einstellen. Bücher werden zugunsten von E-Books entsorgt. Menschen trennen sich von ganzen Bibliotheken. Es ist also an der Zeit, ein kleines Plädoyer für den Wert der Dinge zu halten. Wer seine Lieblingsfilme daheim auf DVD hat, kann diese Schätze so oft er möchte anschauen – bei Streaming-Diensten ist dies nicht der Fall.

Bei jedem Umzug wird man die These dieses Artikels wahrscheinlich in Zweifel ziehen. Spätestens, wenn der Inhalt der Bücherregale in die Umzugskartons verschwindet und diese dann Treppen herunter- und wieder hinaufgetragen und anschließend wieder ins Regal sortiert werden, stellt man sich die Frage: Könnte man sich diesen ganzen Aufwand und die damit verbundenen Anstrengungen und eventuell Rücken- und Knieschmerzen nicht einfach sparen? Wäre der E-Reader nicht nur eine Alternative für den Urlaub, sondern fürs ganze Jahr? Aber spätestens, wenn man zu Hause im Lieblingssessel mit einem Glas Wein oder einem anderen Getränk vor der eigenen Bücherwand sitzt, schleicht sich sofort wieder dieses vertraute Gefühl der Behaglichkeit ein: Bücher schaffen Atmosphäre.

Nicht nur die edlen Buchrücken, vielleicht sogar in Leder, machen sich gut. Auch die alten, zerlesenen Taschenbücher zeigen die Persönlichkeit des Besitzers. Die Anstreichungen und kleinen Malereien, selbst alte Tee- und Kaffeeflecken wecken zuweilen Erinnerungen. Dieses Buch hat man damals bei schwerstem Liebeskummer gelesen. Jener Goldmann-Band zeigt, dass man damals noch Edgar-Wallace-Fan war, während man heute ganz andere Krimiautoren bevorzugt.

Schätze, die keinen Heller wert sind
Angeblich steht die Leere einer Wohnung als Zeichen dafür, dass man sein Leben im Griff hat. Alles steht an seinem Platz. Alles ist aufgeräumt. Aber ist das Leben so? Ist das Leben nicht eigentlich voller Brüche und Winkelzüge, manchmal ganz schön unaufgeräumt, aber daher umso spannender und farbiger? „Der zeitgenössische Vorzeigemensch lebt in einer Wohnung, die einer sorgfältig kuratierten Klosterzelle gleicht. Nur das Nötigste steht da, und nur das Schönste“, so die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“). Unordnung wird mit Kontrollverlust assoziiert. Doch übertriebene Ordnung und Leere könnten genauso Ausdruck einer Zwangsneurose sein. „Dinge sind nämlich nicht nur unbeseelte Objekte“, so die „NZZ“. „Sie sind Souvenirs, Ausstellungsobjekte im Museum inneren Lebens.“ Wer zwanghaft und gleichsam mit der Kettensäge aussortiert, löscht gleichzeitig Erinnerungen.

Über die Jahre hat man als Besitzer einer kleinen Bibliothek durchaus Tausende Euro in das eigene Bücherparadies investiert. Will man seine Schätze loswerden, dann bekommt man schnell mit, dass Bücher keinen Wert mehr haben. Denn selbst Antiquare scheuen sich, größere Buchnachlässe zu erwerben. Wer sich trennen will oder muss, der sollte seine Bücher besser in öffentliche Bücherschränke stellen – wobei deren Nutzer oft nur die neuesten und ganz bestimmte Bücher haben wollen –, verschenken, einem Basar überlassen oder schlicht im Altpapier entsorgen.

Schon vor acht Jahren berichtete der „Welt“-Autor Thomas Schmid von seinem Versuch, sich von einem Großteil seiner Bücher zu trennen. Die Bücherwand in den eigenen vier Wänden sei eine „bürgerliche Kopie der barocken Kloster- und der Universitätsbibliotheken“. Es gelte „längst als uncool“, viele Bücher zu besitzen. Doch ist es vielleicht „cool“, wie ein Schaf der Herde zu folgen? Woon-Mo Sung, Redakteur bei „Techbook“, einem „Magazin für digitalen Lifestyle und Entertainment“, kam jüngst zu dem Schluss, dass die eigene Videothek aus DVDs und Blu-rays nichts übertreffe: „Dass ich eine Kopie meines Lieblingsfilms mein Eigentum nennen und ihn jederzeit und so oft ich will anschauen kann – das fühlt sich bis heute an wie purer Luxus. Gerade in Zeiten der Dominanz diverser Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon Prime Video oder Disney+.“

Wer ausschließlich digital kaufe, zahle streng genommen nur für die Dienstleistung der Bereitstellung, sagt der Kenner. Doch ändere sich hinter den Kulissen ein Vertrag, laufe eine Vereinbarung aus oder werde ein Dienst gar komplett eingestellt, dann könne es passieren, dass auch die digitale Videothek ganz unerwartet „futsch“ sei. Dies gelte im Übrigen auch für Streaming-Abos.

Wie so oft im Leben sind Maß und Mitte ein guter Ratgeber. Man muss es nicht mit dem italienischen Gelehrten und Schriftsteller Umberto Eco halten, dessen Privatbibliothek angeblich über 30.000 Bücher umfasst haben soll. Und man muss es nicht mit den Puristen halten, deren minimalistischer Furor schon aufbegehrt, wenn ein Buch einfach so in der Wohnung herumliegt. Bewusster Besitz heißt die Zauberformel.


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