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Karl Hagemeister

Das dramatische Auf und Ab eines Künstlerlebens

Der Durchbruch gelang dem vor 90 Jahren gestorbenen Maler des Havelländischen Impressionismus 1912 in der Galerie Heinemann. Eine Wiederentdeckung erlebte sein Werk 1923 in der Nationalgalerie

Martin Stolzenau
05.08.2023

Karl Hagemeister erschloss sich lange als Maler die märkische Havellandschaft, konnte im Schatten berühmter Kollegen nur wenige Werke verkaufen und führte in Werder und mit Malbesuchen auf Rügen ein zurückgezogenes Leben. Die Palette seiner Motive reichte von einer Teichzone oder einem Stück Mohnfeld über eine schneebeladene Kiefer sowie einem Busch am fließenden Bach bis zur Krone einer Wellenkette in der Ostsee. Das Dekorative seiner Bildausschnitte waren „kleine Winkel der Natur“ und erinnern an entsprechende Darstellungen in der japanischen Malerei.

Der deutschen Kunstwelt blieb er bis 1912 fast unbekannt. Über die Jahre hatte sich für Hagemeister zwar immer wieder die Gelegenheit ergeben, das eine oder andere Bild auf einer Ausstellung zu zeigen, zum Beispiel im Münchener Glaspalast 1888 sowie auf Ausstellungen der Berliner Secession 1891 und 1893, aber erst im Herbst 1912 wurde er durch eine große Kollektivausstellung der Galerie Heinemann in München in ganz Deutschland bekannt.

Diesem Durchbruch folgten bald schwere Schicksalsschläge. Erst erkrankte Hagemeister 1916 schwer. Von der Erkrankung, möglicherweise eine Bleivergiftung durch Bleiweiß, erholte er sich nie mehr und malte seitdem auch nicht mehr. Nach der Gesundheit verlor Hagemeister im Anschluss an den Ersten Weltkrieg auch noch seine ab dem Durchbruch 1912 angesammelten Ersparnisse durch die Inflation.

Schwere Erkrankung im Weltkrieg
Der Künstler stieg für Kunstfreunde, Sammler und Kunstspekulanten aber wie Phönix aus der Asche, nachdem der Direktor der Nationalgalerie in Berlin, Ludwig Justi, sein Haus zum Kauf einer „Ansicht vom Schwielowsee“ bewogen und zum 75. Geburtstag Hagemeisters 1923 – um es mit seinen eigenen Worten zu sagen – „den größten Saal der Nationalgalerie ausgeräumt und die langen Wände mit einer durchlaufenden Reihe solcher Wellenbilder behängt“ hatte, die er aus dem riesigen Bildervorrat Hagemeisters in Werder geholt hatte. Der Künstler machte sich auf die Reise nach Berlin und staunte, als er seine Wellen so im Licht nebeneinander sah, und staunte noch mehr über seine anschließend sprunghaft ansteigende Wertschätzung in der deutschen Öffentlichkeit. Kritiker überschlugen sich mit Lobeshymnen. Die Präsentation in der Berliner Nationalgalerie war eine Zäsur.

Der Künstler erhielt den Professorentitel, wurde Mitglied der Akademie der Künste und konnte sich endlich auch über viele Verkäufe freuen. Das sorgte für Wohlstand in seinem zuvor kargen Haushalt. Er gilt seitdem als Vater des sogenannten Havelländischen Impressionismus. Heute kann man seine Bilder außer in Werder, Potsdam, Brandenburg und Berlin vor allem in den großen Galerien von Leipzig, München, Wiesbaden und Hannover bewundern. Dazu befinden sich viele seiner Arbeiten in Privatbesitz.

Er wurde am 12. März 1848 in Werder an der Havel geboren. Großvater Hagemeister ist als Weinmeister in Werder an der Havel überliefert, wo auch der Vater vom Wein- sowie Obstanbau lebte. Mutter Hagemeister war ebenfalls die Tochter eines Weinmeisters in Werder. Sohn Karl wuchs in Naturnähe auf, offenbarte früh seine zeichnerische Begabung und machte sich nach autodidaktischen Studien mit dem Segen der Eltern 1871 auf den Weg nach Weimar, um an der aufstrebenden Großherzoglichen Kunstschule zu studieren. Unter dem Einfluss von Theodor Hagen praktizierte diese die freie Lehrerwahl, verhalf der ansonsten noch verpönten Freilichtmalerei zum Durchbruch und lehrte die Hinwendung zum schlichten Naturmotiv. Das war revolutionär für damalige deutsche Akademie-Verhältnisse.

Hagemeister kam in die Obhut von Friedrich Preller d. Ä., der seine Begabung förderte und ihn auf Studienreisen auf Rügen und nach Bayern mitnahm. Dabei lernte er Carl Schuch kennen, mit dem er nach 1873 gemeinsame Studienaufenthalte in den Niederlanden und Italien absolvierte. Aus dem Malerduo wurde durch Wilhelm Trübner zeitweilig ein Trio.

Verarmung durch die Inflation
Beim Aufenthalt in Venedig, wo er die Bekanntschaft des Malers Anselm Feuerbach machte, studierte Hagemeister erstmals intensiv die vegetabilische, die pflanzliche Form. 1877/78 ließ er sich in Ferch am Schwielowsee in seiner märkischen Heimat nieder. Der Maler lebte sehr bescheiden, erweiterte seinen Themenkreis auch auf märkische Bauernmädchen, die ihm Modell standen, und hatte über längere Zeit Schuch als Gast.

Die Malerfreunde führten einen Junggesellenhausstand und weilten 1884/85 in Paris. Dort kamen beide mit dem Kreis um Edouard Manet, dem maßgeblichen Wegbereiter des Impressionismus, in Kontakt. Sie erhielten stilistisch Impulse.

Das wurde an Hagemeisters Technik, seinem Farbauftrag und besonders seiner Hinwendung zum Licht deutlich. Er lebte abwechselnd in Ferch, Werder sowie Entenfang bei Werder und vervollkommnete Zug um Zug die vegetabilische Darstellung einer intensiv bewegten Naturstimmung. Zu den Motiven seiner märkischen Heimat gesellte sich die Landschaft Rügens, wo er sich oft aufhielt. Lohme auf Rügen wurde sein zweites Refugium.

Auf der Insel vertiefte er sich in die Seemalerei. Dort entstanden viele seiner bekannten „Wellenbilder“. Zwischendurch ließ er sich für dekorative Fresken in der Villa Hecht im Berliner Grunewald gewinnen, eine einträgliche Brotarbeit.

Erste Beteiligungen an Ausstellungen bescherten ihm wenig Aufmerksamkeit. Es reichte gerade zum Leben in der Kirchstraße Nr. 14 nahe der von Friedrich August Stüler entworfenen neugotischen Pfarrkirche von Werder.

Im eingeschossigen Vorderhaus lagen ein kleines Wohn- und ein noch kleineres Schlafzimmer. Ein Atelier gab es nicht. Gemalt wurde vor Ort in der Natur oder im Wohnzimmer. Seine große Bildersammlung bewahrte der Künstler im Keller unter nicht gerade idealen Bedingungen auf.

Erst nach der große Kollektivausstellung der Galerie Heinemann in München im Herbst 1912 rückte die Kunstkritik Hagemeister schlagartig ins Rampenlicht. Der ungewohnte Trubel um seine Person war ihm eher lästig. Dem entzog er sich per Flucht in die Naturidylle um Werder. Hagemeister wurde Ehrenbürger von Werder, interessierte sich im Alter noch für die Jagd und besonders für das Angeln, philosophierte mit Besuchern über die Kunst und Kochrezepte und trennte sich von seinen „Spätbildern“ mit expressiven Farben und bewegten Naturstimmungen nur noch ungern.

Seinen Gästen galt er wegen der theoretischen Kunstbetrachtungen im goethischen Sinne als „denkender Künstler“. Der Maler blieb ledig und wurde 85 Jahre alt. Wenige Monate nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, deren Lärm ihm lästig war, am 5. August 1933, starb Karl Hagemeister in seinem Geburtsort, in den er sich zurückgezogen hatte. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Inselfriedhof nahe seinem Wohnhaus in der Kirchgasse.


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