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Politik

Das Ergebnis von Kiel gibt allen Parteien zu denken

Der Wahlabend von Schlewig-Holstein war schnell entschieden – und bot dennoch wichtige Erkenntnisse für den Bund und die kommende Wahl in Nordrhein-Westfalen

Werner J. Patzelt
11.05.2022

Wir hatten keinen spannenden Wahlabend erwartet. In Schleswig-Holstein würde die CDU gewinnen, die Partei der Grünen sich gut halten, die SPD etliche Wunden zu lecken haben. Und doch bescherte die Kieler Landtagswahl Analytikern Feinschmeckerkost.

Die CDU gelangte wieder in einst gewohnte Höhen von mehr als 40 Prozent und feierte wie in alten Zeiten. Die Grünen genossen es, die SPD neben sich schrumpfen zu sehen. Tatsächlich macht es einen Unterschied, ob der Charmeur Habeck das Gesicht einer Partei abgibt oder der Miesepeter Stegner. Die FDP halbierte ohne ihren Talkshow-Meister Kubicki an der Spitze fast ihre Stimmenzahl. Und die AfD flog erstmals in ihrer jungen Geschichte aus einem Landtag.

Der im Amt bestätigte Kieler Regierungschef Daniel Günther trat vor allem als Integrator von Deutschlands traditionellen Parteien auf. Als solcher gewann er stark hinzu aus den Reihen von SPD und FDP. Auch ein nennenswerter Teil von Grünen-Wählern stimmte für ihn. So in etwa hatten sich CDU-Strategen zu Angela Merkels Zeiten die Zukunft der Union gewünscht. Vermutlich fühlen sie sich nun bestätigt. Sie sollten aber nicht vergessen, dass dieser Erfolg in einem kleinen, vielfach für Deutschland untypischen Bundesland gelang.

Parteien am Scheideweg

Die Grünen müssen nun klären, ob sie weiter gemäß ihrem Grundgefühl eine linke Partei an der Seite der SPD sein wollen, die nur in Zeiten von deren Schwäche mit der CDU zusammengeht – oder ob sie, wie es dem Bildungsstand und Geldbeutel ihrer Wähler entspräche, eine verlässlich bürgerliche Kraft sein möchten. Umgekehrt steht die CDU vor der Frage, ob sie der FDP verlässlich das Mitregieren in Aussicht stellen will, wann immer die Wähler das zulassen, oder ob sie das Risiko eingehen soll, die Liberalen der SPD zuzutreiben, falls sie die Grünen als „natürlichen Partner“ behandelte.

Diesbezüglich wird viel vom Wahlausgang in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag und von der Spannungsdynamik in der Berliner Ampelkoalition abhängen. Freilich sind auch dauerhaftere Faktoren zu erwägen. Zu denen gehört, dass die Union vor allem bei älteren und weniger gebildeten Wählern Zuspruch findet, die grüne Partei hingegen bei den jüngeren mit höherer formaler Bildung. Lässt sich daraus eine „neue Mitte“ schaffen? Oder werden umstrittene Themen solche Bündnisse allzu oft entlang von Sollbruchstellen aufsprengen, die mit Lebenserfahrung und Echokammern zu tun haben?

Das Abschneiden der AfD weckt bei ihren Gegnern die Hoffnung, nun wirke endlich die gegen sie hochgezogene Brandmauer. Tatsächlich könnte das jahrelange Wachstum der Partei in ein Schrumpfen übergehen, falls folgende Faktoren weiter von Gewicht sein sollten: Erstens verlangen auch Anhänger einer Protestpartei irgendwann auch nach politischen Inhalten, die zu realen Problemen passen und in sich stimmig sind. Solche Inhalte wusste die AfD weder bei der Corona-Pandemie noch angesichts von Russlands Krieg anzubieten. Zweitens fehlen der Partei ihre zwei großen Mobilisierungsthemen: Angela Merkel – und die öffentliche Sichtbarkeit einer Zuwanderung, die nicht aus Flüchtlingen, sondern aus selbstermächtigten Migranten besteht.

Mobilisierungslähmend ist für die Partei auch die offene Frage, ob sich dauerhaft die rechtsaußen stehende Mitgliederschaft durchsetzt, oder ob sich konservative und ordoliberale Demokraten die Chance auf eine Kursänderung hin zu einstigen Lucke- oder Petry-Positionen erarbeiten können. Von Relevanz ist auch die Frage, ob die Union sich vielleicht doch wieder als Partei auch derer anbietet, die nicht links oder mittig sind, aber unstrittig innerhalb des Verfassungsbogens stehen. Im Norden jedenfalls verteilten sich die Verluste der AfD zu knapp zwei Dritteln – in dieser Reihenfolge – auf Nichtwähler, CDU und Liberale. Das sind jene Reservoirs, aus denen sich einst bundesweit ihre Erfolge speisten.

Mut zu Flügeln

Für die SPD wiederum stellt sich die Frage, wie gut sie durch Zeiten kommen kann, in denen linke Illusionen an der harten Wirklichkeit zerschellen. Da zerstiebt der Traum vom Frieden dank Friedenswilligkeit und von einer regelbasierten internationalen Ordnung; da platzt die Hoffnung auf „Wandel durch Handel“ am Falle Russlands, mit dem so viele Deutsche eine Art politische Romantik verbindet; und da wird mehr und mehr die Weiternutzung von Kernenergie zum Silberstreif am dunklen Horizont der Verfügbarkeit und der Kosten fossiler Energieträger, während das Aufstellen von Windrädern und Solarmodulen sich im Unterholz von Planungsrecht, Verwaltungsjustiz und Widerstand vor Ort verfängt.

Wieviel schadet es der SPD, wenn sich ihre aus Gründen der Geschlechterparität in Ministerämter berufene Damenriege als sachlich hilflos und politisch leichtgewichtig erweist? Und wie geht es weiter, wenn die Grünen ihre politisch profitablere Passfähigkeit zur CDU nicht nur entdecken, sondern bald in immer mehr Bundesländern ausleben?

Dann wird es wohl Zeit, dass die SPD der CDU vormacht, wie nützlich es sein kann, wenn eine Partei mindestens zwei Flügel hat und diese auch politisch nutzt. Die Sozialdemokraten bräuchten einen starken linken Flügel, der – anders als heute – denen in der Partei nicht ihre sozialdemokratische Identität bestritte, die sich auch in der CDU heimisch fühlen könnten. Und die CDU müsste sich wieder trauen, auch einen einflussreichen konservativen Flügel zu haben, der diese Partei von rechts her schwerer angreifbar machte als zu Merkels Zeiten.

Freilich verlangt politisches Fliegen auf weit ausholenden Schwingen große Fähigkeiten zum koordinierten Gewährenlassen und zum Zusammenhalten in unvermeidlichen Spannungszeiten. Derlei Führung darf innerparteiliche Debatten weder ersticken wie zur Zeit der Merkel-CDU noch sie aus dem Ruder laufen lassen wie einst in Willy Brandts SPD. Das ist viel verlangt. Doch die Zeiten fordern das.


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Kommentare

sitra achra am 16.05.22, 16:55 Uhr

Wir Schleswig-Holsteiner haben zwei offensichtlich fähige Schleswig-Holsteiner gewählt, das ist Fakt.
Was interessiert uns das Land südlich von Hamburg?
Eure Querelen sind für uns von null Interesse, unser Nachbarland liegt uns kulturell viel näher.

Berlin 59 am 11.05.22, 10:05 Uhr

Das ist jetzt also die Analyse über die Landtagswahl 2022 in Schleswig-Holstein. Da wird über das Innenleben der Parteien spekuliert, noch linkerer Flügel für die SPD, mehr oder weniger fähige Frauen als Minister usw. usf. Fakt ist aber das alle Parteien die Putins Überfall auf die Ukraine durch positiven Passivismus relativieren, schwere Verluste eingefahren haben. Die SPD verliert mehr als 10%, die Linke halbiert sich ins nichts hinein, die fehlgeleitete AFD fliegt aus dem Landtag. Der Wähler hat da mal mit der Faust kurz auf den Tisch gehauen. Um 1945 sind viele Ostpreußen über Dänemark vor der Roten Armee flüchtend schließlich in Schleswig-Holstein gelandet. Die haben sich ein neues erfülltes Leben aufgebaut und ihre Nachkommen wollen auch, dass das so bleibt. Da wählt man dann den bewährt langweiligen Klaren Typen von der CDU und die erstaunlich unkonventionell handelnden Grünen. Die farblose FDP hatte Pech. Man wünscht sich Politiker die dann zupacken, wenn es nötig ist wie es nötig ist, ohne von Ideologischen Ballast und Weltrevolutionären Ideen aus -gebremst zu werden. Wenn da irgendwo Verständnis für das heranzüchten von Neosowjetischen Steinzeit Aggressoren gehegt werden, war die politische Arbeit der letzten 25 Jahre umsonst. Diese Wahl war ein Votum für die Demokratische Grundordnung wie Sie sich in der alten BRD nach dem 2.Weltkrieg entwickelt hat. Daran sollte vor allen die SPD denken.

Chris Benthe am 11.05.22, 09:22 Uhr

Patzelt mal wieder...kaum hatte ich die ersten zwei, drei Zeilen gelesen, ahnte ich den Autor. Zuverlässig liegt er wieder einmal daneben und simuliert politische Normalität in stürmisch bewegten Zeiten, als gälten weiterhin die altverstaubten Maßstäbe. Patzelts Plauderton erinnert mich an die "guten" alten Zeiten (die nie wirklich gut waren), in denen "Analysten" sich die Parteien-Arithmetik zur Brust nahmen und sich überhaupt nicht vorstellen konnten, dass es jemals etwas anders geben könnte. Unerträgliches affirmatives Geplänkel. Die katastrophal niedrige Wahlbeteiligung interessiert Herrn Patzelt offenbar nicht und findet lediglich in der Analyse des AFD-Abschneidens kurz Erwähnung. 40 Prozent Unbeteiligte, die nur scheinbar unbeteiligt sind ! Die gewinnt man nicht mit althergebrachtem Kalkulationsspielchen aus Zeiten erkennbarer Parteien-Unterschiede. Mittlerweile existiert ein Parteienblock mit austauschbaren Pseudo-Positionen, die niemand, der noch alle Sinne beisammen hat, ernst nehmen kann. Die wahren Herausforderungen der nahen Zukunft kann und wird dieser wiedergewählte Parteienblock jedenfalls nicht stemmen. Verpasste Reformen, ideologische Verblendung, Unfähigkeit und Zustandekommen des politischen Personals schrecken 40 Prozent der Wähler ab. Wenn diese Gruppe mit den Füßen abstimmt, bleibt von Patzels "Analyse" nichts mehr übrig. Und schon gar nicht von dessen geliebtem Forschungsgegenstand, den Blockparteien und deren als seriös verkauften Protagonisten.

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