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Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA ist ein überfälliger Weckruf für das selbstgefällig gewordene Europa und dessen politische Eliten
Die Aufregung ist dieser Tage groß in Deutschland und Europa. Seit der Veröffentlichung der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten am 4. Dezember versuchen sich Politik und Medien verschiedenster Couleur aufgebracht an deren Deutung.
Grund der Erregung ist, dass das von der US-Regierung vorgelegte Papier einen radikalen Bruch mit der multilateralen Ära der letzten Jahrzehnte markiert. Stattdessen priorisiert das Dokument nationale Interessen und die Souveränität der USA sowie außenpolitischen Pragmatismus anstelle ideologischer Missionen. Erklärte Kernprinzipien der künftigen US-Außen- und Sicherheitspolitik sind Non-Interventionismus, Fairness in Allianzen (insbesondere eine gerechte Verteilung der Lasten) und der Schutz der US-amerikanischen Nation vor transnationalen Entwicklungen wie der Migration.
Empörung bei Partnern in Europa
Neben der isolationistischen Tendenz des Strategiepapiers sorgten in Europa und Deutschland vor allem jene Punkte für Aufregung, die sich auf die europäischen Partner beziehen. So wollen die USA künftig kein „Atlas“ mehr sein, der Europa trägt. Stattdessen sollen die NATO-Mitglieder durch eine Anhebung ihrer Verteidigungsausgaben stärker selbst für ihre Sicherheit sorgen. Die USA hingegen wollen ihre Truppenpräsenz in Europa reduzieren, um Ressourcen in den Pazifik verlagern zu können. Für Empörung in Brüssel, Paris und Berlin sorgte, dass die US-Regierung sowohl die Europäische Union als auch viele EU-Staaten als „überreguliert“ und „selbstzweiflerisch“ kritisiert. Nicht zuletzt macht das Dokument in Europa einen Verlust an Identität aus und fordert dagegen eine „Zivilisationswiederbelebung“ sowie den Schutz der Grenzen und die Anhebung der Geburtenraten. Zudem sollen die Zensur abgebaut und patriotische Kräfte gestärkt werden.
Natürlich stellen manche Punkte in der US-Strategie für die europäischen Eliten eine Herausforderung und vielleicht auch Zumutung dar. Dennoch kann man sich über die Heftigkeit der Reaktionen hierzulande nur wundern. Denn zum einen hält die Strategie im Wesentlichen nur noch einmal schriftlich fest, was sich vor aller Augen in den vergangenen Monaten längst angedeutet hatte. Zum anderen erklärt das Dokument die besonderen transatlantischen Beziehungen keineswegs für beendet, sondern im Gegenteil für „vital“.
Umso aufschlussreicher sind die Reaktionen der Europäer. Viele der empörten Kommentare aus den letzten Tagen erinnern stark an die Redewendung von den getroffenen Hunden, die bellen. Wären die Vorwürfe der Amerikaner – vor allem der von der bedrohten europäischen Zivilisation – völlig aus der Luft gegriffen, hätten die hiesigen Kommentatoren diese doch locker an sich abperlen lassen können. Oder? Auch der Vorwurf der gefährdeten Demokratie hat offensichtlich einen Nerv getroffen.
Doch wie weiter? Anstatt zu lamentieren, sollten die Europäer lieber eine eigene, unvoreingenommene Analyse ihrer Lage vornehmen: Wo stehen sie in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts, welches Gewicht hat der Kontinent in der Welt von heute? Wo liegen die eigenen Stärken und Schwächen – und was von beidem überwiegt? Sollten die Schwächen überwiegen: Was hat zu dieser Situation geführt – und was muss getan werden, um zu alter Stärke zurückzufinden?
Vor unangenehmen Fragen
Fakt ist, dass das weltpolitische Gewicht der Europäer dramatisch geringer geworden ist. Betrug im Jahr 1900 der Anteil der europäischen Länder am weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch weit mehr als ein Drittel, so steuern sie heute nur noch etwa ein Sechstel zur weltweiten Wirtschaftsleistung bei. Der Anteil an der Weltbevölkerung sank im gleichen Zeitraum von etwa 27 auf rund neun Prozent. Selbst auf dem Gebiet der Wissenschaft, wo die Europäer sogar jahrhundertelang dominierten, geht ihr Einfluss zurück. Lag ihr Anteil an den globalen Patentanmeldungen um 1900 herum noch bei 75 bis 80 Prozent, sind es jüngsten Daten zufolge nur noch etwa zehn bis zwölf Prozent. Umso erstaunlicher, dass viele europäische Politiker angesichts dieser Zahlen noch immer meinen, der Welt vorschreiben zu können, wo es langgeht.
Zu einer ehrlichen Lageanalyse gehört angesichts dieser klaren Zahlen auch, jene „Werkzeuge“ zu hinterfragen, die sich die Europäer geschaffen haben, um ihre Position in der Welt zu stärken. Hier ist insbesondere die Europäische Union zu nennen. Diese wurde einst gegründet, um zwischen vormals verfeindeten Nationen Frieden zu stiften und hat in diesem Sinne zweifelsohne segensreich gewirkt. Doch in den 1990er Jahren wurde das Ziel einer „immer engeren Gemeinschaft“ ausgegeben und zu deren Legitimierung behauptet, dass „mehr Europa“ einen wachsenden Einfluss unseres Kontinents in der globalisierten Welt mit sich bringen würde. Dies kann angesichts der genannten Zahlen als widerlegt betrachtet werden. Umso absurder, dass EU-Politiker wie Manfred Weber angesichts der neuen US-Strategie reflexartig nach „noch mehr Europa“ – nun sogar auf dem Sektor der Verteidigungspolitik – rufen.
In jedem Fall gilt es für die Europäer jedoch, die Ruhe zu bewahren – und nicht angesichts ein paar unangenehmer Worte aus Washington einen irreversiblen Schaden anzurichten. Nachdem infolge des Ukrainekriegs auf lange Sicht das Verhältnis zu Russland beschädigt sein dürfte (und damit auch der Zugang zu preiswerten Rohstoffen verbaut ist, die andere Länder den Russen gern abnehmen) und nachdem auch das Verhältnis zur neuen Supermarkt China Schaden genommen hat, sollten es sich die Europäer gut überlegen, ob sie auch noch das Verhältnis zu ihrem traditionell stärksten Verbündeten beschädigen wollen.
Zumal sie ohne den Beistand dieses Verbündeten nicht einmal in der Lage wären, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen.