Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Bruno Möhring war ein auf der Weltausstellung von 1900 gefeierter Architekt aber wirkte ebenso in Ostpreußens Provinz
Seit die Bibliotheken es einem gestatten, in den Regalen frei zu stöbern, weiß man: Das spannendste Buch ist nicht dasjenige, das man gerade sucht, sondern das nebenan. Mir erging es in aller Deutlichkeit vor über 15 Jahren ebenso, als ich Materialien zur ostpreußischen Stadtbaugeschichte zusammentrug und in der „Ostdeutschen Bau-Zeitung“, Heft 66/1918, unvermittelt auf den Namen Bruno Möhrings stieß: Ein Gasthaus sollte von ihm in Ostpreußen vorhanden sein. Sein Hochbahnhof „Bülowstraße“ grüßt uns noch heute mit charaktervollen Jugendstil-Masken, seine Zeche „Zollern“ war auf Briefmarken, sein Beitrag zum Groß-Berlin-Wettbewerb von 1910 ist jedem Städtebauer ein Begriff – aber ein Gasthaus? Im Revolutionsjahr? Draußen am Großen Friedrichsgraben? Klang auf alle Fälle erst einmal spannend. War aber dann doch zu weit von meinem eigentlichen Thema weg und blieb somit vorerst für mich eine offene Frage.
Jahre und Bücher später fand ich mich in Berlin-Marienfelde wieder – nicht weit von der Bruno-Möhring-Straße entfernt und tatsächlich mit des Namensgebers eigenem Hause. Den Architektenbrüdern Taut galt nun mein Interesse. Berühmt wurden sie mit den expressionistischen Phantasien und schlichten, doch feinen Siedlungen. Mehrere davon wurden inzwischen als Weltkulturerbe geschützt. In ihrer Geburtsstadt Königsberg überdauerte allein die Baugewerkschule in der Schönstraße als Augenzeuge ihres Werdens. Schnell war mein Entschluss gefasst, entsprechende Gedenktafeln anzubringen. Doch war nicht auch Möhring ein nach Berlin geratener Baugewerkschüler? Wäre nicht auch er eine Tafel wert? Und hatte nicht auch jener Möhring ein Häuschen irgendwo hinter Labiau?
Die Fischer und der Architekt
Noch hängt in der General-Sommer-Straße am Katasteramt keine Tafel. Die Quellen widersprachen sich, was die Antragstellung bei der Gedenktafelkommission verzögerte. Doch als dann im März unerwartet ein Briefwechsel mit Heidrun Bernitt einsetzte, einer ausgewiesenen Möhring-Kennerin, wurde eine „Kontrollfahrt“ geradezu unausweichlich.
Wie die vielen anderen „Ehemaligen“ kam Möhring 1915 in die gerade befriedete Heimatprovinz. Die im „Wachtfeuer“ abgedruckten stimmungsvollen Wegeskizzen zeichnen seinen Weg ziemlich genau nach: Von Ortelsburg über Königsberg weiter nach Labiau – und dann wieder nach Berlin. Irgendwo auf der Strecke wird auch sein Treffen mit der Juwendter Familie Lappöhn gewesen sein.
Diese Fischer-Familie betrieb schon vor dem Ersten Weltkrieg den Dorfkrug von Juwendt. Es lief gut, man leistete sich sogar allerlei teuere Modernitäten – sogar ein Telefonanschluss, was damals beinahe schon an Luxus grenzte. Und nun stand da nur noch eine eher triste, nahezu jämmerliche Brandruine.
Ein Star in der Provinz
Möhring wiederum war spätestens seit dem von ihm mit ausgestalteten „Deutschen Haus“ auf der Weltausstellung 1900 eine anerkannte Größe im Bau von Häusern für das Gastgewerbe. Wie die beiden zueinander kamen, wissen wir bis heute nicht. Vielleicht war Möhrings Engagement eine Belohnung für den verdienten Krugwirt? Oder eine Gabe an Möhring, dem in Diskussion begriffenen Konzept des „in künstlerischer Hinsicht befriedigenden Wiederaufbau der zerstörten Landesteile“ durch „wirkliche Baukünstler ... von dem Rufe des Professors Bruno Möhring“ entsprechend?
Interpretation einer Loggia
Die „Ostdeutsche Bau-Zeitung“ lässt beide Lesarten zu und spart nicht mit Lob: Ein Bau sei entstanden, der „seinen ... Nutzwert ... keinesfalls verleugnet oder auch nur verwischt, wo die Trennung der einzelnen Betriebszweige und die Übersichtlichkeit vortrefflich gelöst“ seien. Die Zeichnung zeigt ein Mittelbau mit fünf Fensterachsen unter einem Spitzgiebel, Kandelaber flankieren eine leicht außermittige Doppeltür des Hauseingangs. Eingeschossige Seitenflügel reihen sich links und rechts unters hohe Dach, an der linken Ecke eine schattige Loggia – es dürften wohl Wohnräume dahinter sein, oder?
Beim zweiten Hinsehen wird alles anders. Jene Loggia mit dem Mittelpfosten entpuppt sich als zwei nicht zusammenhängende, intern durch ein Mäuerchen voneinander getrennte Eingangsnischen. Drei weitere Türen, jede auf die eigene Weise des Titels „Haupteingang“ würdig, finden sich über die Straßen- und Hoffassaden verstreut. Sie führen zu zwei hausquerenden Dielen, bilden sechs Raumgruppen.
Mit Abort – aber nur für Männer
Der hintere Bereich mit privaten Wohnstuben des Wirts, der Küche und den Speisekammern war wohl noch Altbestand. Nur hier hat das Haus einen erwähnenswerten Sockel. Eine Diele legte Möhring vor und belegte sie mit reichlich Treppen, um die Höhendifferenz zu überwinden. Eine Poststube schob sich auch noch hinein, bevor die Raumfolge des Kaufladens ansetzt: „Mehlkammer“, „Heringe“, „Büro“. Dieser Verkaufstrakt mündete am Kanal in der einen, linken Loggia-Hälfte. Bediente man sich der rechten Loggia-Tür, stand man im Dorfkrug mit einer alles andere als trivial zu wertenden diagonalen Raumfolge. Auf diese einfache Weise wird ihre Größe eindrucksvoll gesteigert worden sein. Doch das Funktionale lässt Fragen offen.
Ein „Buffet“ ist eingezeichnet – zum Zubereiten aber musste wohl dennoch die Küche des Wohnbereichs aushelfen. Ein Abort – aber nur für die Herren. Ein entsprechendes Damenzimmer ist laut Grundriss allein nur über die Bühne zu betreten.
Im Reiseführer empfohlen
Jene Kandelaber-flankierte Doppeltür am Kanal diente nämlich in erster Linie dem großen mit einer Bühne ausgestatteten Saal ganz rechts. Die Herren- und die Bauernstube konnten für größere Gesellschaften und Feste dazugenommen werden, vielleicht sogar auch die Räume im Mezzanin. Eine Deckenwölbung im Saal ist sehr wahrscheinlich, man liest vom Parkettboden, doch von sonstiger Ausgestaltung wissen wir leider nichts.
Das Haus war nach dem Wiederaufbau weiterhin erfolgreich, überregional empfohlen. Selbst im „Meyers Reisebuch“ von 1931 findet man es auf Seite 154. Noch Jahre später schrieb Hildegard Hill im „Ostpreußenblatt“ (14. September 1991, Seite 11) von den dort gefeierten prächtigen, opulenten Sommerfesten.
Feuer durch Kurzschluss
Im nächsten Leben gab es nach 1947 statt Kolonialwaren nur noch ein Gemischtwarenladen einer Einkaufsgenossenschaft (Raipo). Der Rest, Krug wie Saal, wurde zu Fischerwohnungen. Jahre vergingen, es kam die Wende und die Privatisierung des Wohnens, doch hinterließen sie vorerst kaum Spuren am Haus. In der Dorfverwaltung erzählt man, jemand wollte dort eine Produktion einrichten, doch wer, wovon, und ob überhaupt? Die Belege fehlen allerdings allesamt.
Dann kam etwa 2002 ein Kurzschluss, und das mächtige Obergeschoß brannte ab. Bei der notdürftigen Wiederherstellung verschwanden die Räume im Dach und auch die weitgespannte Saaldecke; jener Teil des Hauses ist seitdem eine himmeloffene Ruine. Der Laden schloss, die Loggien sind seitdem vermauert.
Festhalten am Vorhaben
Die kurze Reise im August wurde zu einer reinen Schadensfeststellung. Will jemand einen echten Bruno-Möhring-Saal erleben, bleibt einem nur der Weg nach Mainz: Dort, im „Haus Kupferberg“, steht, aus Paris gerettet, des Meisters 1900er Weinstube von der Weltausstellung. Zu Besichtigung werden immerhin ganze fünf Sektsorten gereicht.
Und an den Gedenktafeln für Königsberg arbeiten wir selbstverständlich weiter – versprochen.