22.08.2025

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Eines der letzten Gespenster eines extremen Zeitalters: Horst Mahler, hier 1979 im Zellentrakt der JVA Berlin-Tegel
Bild: picture-alliance/dpa/GiehrEines der letzten Gespenster eines extremen Zeitalters: Horst Mahler, hier 1979 im Zellentrakt der JVA Berlin-Tegel

Zeitgeschichte

Das zerrüttete Abbild eines zerrütteten Jahrhunderts

Zum Tode Horst Mahlers, dessen Biographie die Biographie einer Zeit ist, die ihre Kinder mit Träumen von Größe vergiftete, nur um sie anschließend mit ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit zu bestrafen

Malte Herwig
22.08.2025

Das 20. Jahrhundert war eine Geisterbahn der Extreme und Horst Mahler eines seiner letzten Gespenster. Der Gedanke hätte seiner Eitelkeit gewiss geschmeichelt: Horst Mahler der politische Spukgeist, der unberechenbare Bürgerschreck und lachende Dritte am Abgrund der Weltgeschichte, die alle anderen verschlungen hat.

Mahlers Biographie ist die Biographie des deutschen 20. Jahrhunderts und einer Zeit, die ihre Kinder mit Träumen von Größe vergiftete, nur um sie dann mit dem Bewusstsein ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit zu bestrafen. Er war ein Produkt der deutschen Katastrophe, ein Mann, der in den Trümmern des „Dritten Reichs“ aufwuchs und zeitlebens nach einem neuen Reich suchte.

Produkt der deutschen Katastrophe
Horst Mahlers Biographie ist ohne seine deutsche Herkunft nicht zu verstehen.

Er wurde 1936 im niederschlesischen Haynau geboren. Als Kind im „Dritten Reich“ imitierte er Hitlerreden vor dem Spiegel. Sein Vater war ein überzeugter Nationalsozialist, der sich 1949 das Leben nahm, „als für ihn die Sache nicht mehr zu ertragen war“. Mahler und seine beiden Brüder sollten ihm nach dem Willen des Vaters in den Tod folgen. Doch der älteste Bruder verhinderte, dass die Kinder das Gift des Vaters schluckten. Er warf die Tabletten fort.

Später dann die Flucht vor diesem Erbe, der radikale Bruch, der Wunsch, „einer von den anderen Deutschen“ zu werden, mit dem er seinen Antrieb für die RAF-Gründung erklärte. Und dann, wieder Jahrzehnte später, die ebenso radikale Rückkehr, die geistige Versöhnung mit der Tätergeneration, die Entschuldigung des Unentschuldbaren. Der Weg vom Vatermord zum Vaterstolz – eine Volte, die in ihrer Schonungslosigkeit etwas Selbstzerstörerisches hatte und zugleich die ultimative Selbstdarstellung war.

Seine ideologischen Wendungen waren keine Überzeugungstaten, sondern Fluchtversuche – vor der eigenen Geschichte, vor der Verantwortung, vor der Normalität. Mahler konnte nicht einfach Rechtsanwalt sein, Ehemann, Vater. Er musste immer der Auserwählte sein, der Kämpfer, der Erlöser – oder wenigstens der Verfluchte.

Ich erinnere mich an unsere Begegnung vor vielen Jahren. Der Ort hätte symbolträchtiger nicht sein können: Die JVA Brandenburg an der Havel, eine Hochsicherheitsfestung, hinter deren Mauern erst die Feinde der Nationalsozialisten und später die Gegner der SED gesessen hatten.

Dort empfing mich damals Häftling Nummer 746/09, verurteilt wegen Volksverhetzung. Er, der einstige Mitbegründer der Roten Armee Fraktion, saß nun als Rechtsradikaler ein. Ein bulliger Mann mit randloser Brille und Dreitagebart, der mit einer Mischung aus Stolz und Belustigung erzählte, dass ein Gerichtsgutachten ihm bescheinige, keinen „Dachschaden“ zu haben.

Schlingerkurs durch die Ideologien
In diesem Moment, in diesem tristen Raum, wurde der Kern seines Lebens greifbar. Auf die Frage nach seinem ideologischen Schlingerkurs zwischen den Extremen des 20. Jahrhunderts wischte Mahler Begriffe wie „links“ und „rechts“ beiseite. Nichts als Schubladen, in die man ihn stecken wolle. Dann räusperte er sich bedrohlich laut und sprach den Satz, der sein ganzes ungeheures Ego umfasste: Er sei sich immer treu geblieben.

Und vielleicht, denke ich heute, hatte er darin sogar recht. Horst Mahler war das zerrüttete Abbild eines zerrütteten Jahrhunderts. Seine Biographie ein Schlingerkurs durch die Ideologien: FDJ, schlagende Verbindung, SPD, der radikale Studentenbund SDS, die Gründung der Rote Armee Fraktion, Banküberfälle und eine mehr oder wenige solide Ausbildung im Guerillakampf in Jordanien.

Dann Mahlers angebliche Läuterung in der Haft, befeuert durch die Werke Hegels, die ihm sein Anwalt Otto Schily in den siebziger Jahren in die Zelle brachte. Marx sei „Murx!“, verkündete Mahler auf einmal. Alles ein großes Missverständnis. Doch was folgte, war keine Rückkehr in die bürgerliche Ordnung, sondern der Sprung ins nächste Extrem: Im Jahr 2000 Eintritt in die NPD, deren Verbot er als Anwalt vor dem Bundesverfassungsgericht vereitelte, nur um kurz darauf wieder aus der NPD auszutreten. Mahlers Begründung: Die rechtsextreme Partei sei trotz allem dem Parlamentarismus verpflichtet, sprich: zu lasch und damit dem Untergang geweiht. Mahler leugnete den Holocaust und forderte die Wiederherstellung des Deutschen Reiches.

Als ich ihn in der Justizvollzugsanstalt besuchte, schien er mit sich und mit der Tätergeneration seiner Eltern im Reinen. Er verglich Dutschke mit Jesus und Hegel mit Hitler. Hegel habe erkannt, doziert Mahler im Besucherraum, dass nur im Widerspruch die Wahrheit liege. Hegel als intellektuelle Generalabsolution für Radikalismus. Dialektik als Lizenz zum ideologischen Amoklauf. Es war das letzte Kokeln jenes geistigen Brandsatzes, mit dem die 68er einst ihre Revolution entfachten.

Ein lebenslanges Toben gegen die Wirklichkeit
Die hellsichtige Philosophin Hannah Arendt beschrieb die gefährliche Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen. Für Horst Mahler wurde diese Haltung zur Lebensmaxime. Sein ganzes Leben war ein Toben gegen die Wirklichkeit, getrieben von einem Narzissmus, der sich für unangreifbar hielt. Ein XXL-Ego, das jeden Widerspruch nicht als Scheitern, sondern als Beweis der eigenen hegelianischen Größe deutete. Horst Mahler, der „Großdurchblicker“, der die Welt mit links und rechts jongliert.

Das Tragische daran war nicht sein Extremismus – das Tragische war seine innere Leere. Unter der ganzen Selbstinszenierung war da nur ein begabter, aber zutiefst verlorener Mann, der nie gelernt hatte, mit sich selbst allein zu sein.

Er brauchte Feinde, um sich zu spüren. Anhänger, um sich zu bestätigen. Gerichtsprozesse, um sich zu inszenieren. Mahlers Spezialität war der kalkulierte Fanatismus: „Ich sitze hier, weil ich hier sitzen will“, sagte er 2009 dem Richter, als säße mit ihm der Weltgeist auf der Anklagebank.

Resterampe des Revisionismus
In der JVA Brandenburg schwärmte Mahler von seinem Auftritt in der Passauer Nibelungenhalle, wo er vor 6000 NPD-Anhängern gesprochen hatte: „Da kommt was rüber. Da merken Sie was, das ist ein Geist, der sich da zeigt.“ Seine Augen leuchteten dabei wie die eines Kindes vor dem Weihnachtsbaum. Mahler war süchtig nach Aufmerksamkeit wie andere nach Heroin. Eine Sucht, die destruktiv nicht nur für seine Umwelt war, sondern auch für ihn selbst.

Darin glich er dem anderen Hauptdarsteller auf der Resterampe des Revisionismus, dem britischen Historiker und notorischen Holocaustleugner David Irving, den ich einige Jahre früher – ebenfalls in einer Haftanstalt – interviewt hatte. Beide waren mit mehr Intelligenz und Sendungsbewusstsein ausgestattet, als ihnen gut tat. Beide verheimlichten – vor der Welt und vielleicht auch vor sich selbst – dass hinter ihrem vorgeblichen Kampf um Wahrheit das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Akklamation stand. Es ging ihnen nie um die Wahrheit über Auschwitz, Gaskammern und den Holocaust, sondern um die größtmögliche Provokation.

War also alles nur ein einziges, gewaltiges Theaterstück, um im Zentrum der Aufmerksamkeit zu bleiben? Der ewige Provokateur, dem das Publikum weglief, als ehemalige Genossen wie Otto Schily, Joschka Fischer oder Gerhard Schröder erfolgreich den Marsch durch die Institutionen antraten und pragmatisch wurden? Rechtsaußen wurde für Mahler zum letzten Tabu, zur letzten Bühne für alternde Revolutionäre. Dort, bei den Applaus spendenden Glatzköpfen in der Passauer Nibelungenhalle, spürte er ihn wieder, diesen „Geist, der sich da zeigt“, wie er bei meinem Besuch im Gefängnis schwärmte.

Die letzten Jahre
2015 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide und Mahler wurde zur ärztlichen Behandlung vorübergehend aus der Haft entlassen. Aufgrund einer schweren Infektion wurde ihm der linke Unterschenkel amputiert. Als die Staatsanwaltschaft ihn nach seiner Genesung 2017 zur Verbüßung der Reststrafe wieder hinter Gitter bringen wollte, flüchtete der 81-jährige Rollstuhlfahrer nach Ungarn und bat Regierungschef Viktor Orbán in einem persönlichen Brief um politisches Asyl.

Doch Orbán ließ Mahler nach Deutschland abschieben, wo er in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg seine Reststrafe von dreieinhalb Jahren absitzen sollte. Dort musste ihm bald auch der rechte Unterschenkel amputiert werden. Dennoch lehnte die Staatsanwaltschaft jedes Entlassungsgesuch ab.

Man darf wohl fragen, ob die unnachgiebige Härte gerechtfertigt war, mit welcher der deutsche Rechtsstaat einen alten, schwerkranken Spinner für noch so verquere Meinungsäußerungen verfolgte. Die Staatsanwaltschaft begründete dies mit dem „öffentlichen Sicherheitsinteresse“ und der Gefahr, dass Mahler weitere Straftaten begehen könne.

Antisemit bis zum Schluss
Natürlich konnte er nicht an sich halten. Noch 2024 hielt Mahler als „Stimme Amaleks“, des biblischen Erzfeindes der Juden, Online-Vorlesungen mit Titeln wie „Der deutsche Geist und die Überwindung des Judentums“ und „Die Herausführung der Judenheit aus ihrer satanischen Bestimmung“. Der Zoom-Call als letzte Bühne, eingeleitet von kitschigen Jesus-Videos und der Russlandfeldzugsfanfare des Reichsrundfunks.

Sein ehemaliger Anwalt Otto Schily, der spätere Innenminister, sagte einmal: „Nur Idioten ändern sich nicht.“ Der Satz war auf die lernfähigen Achtundsechziger gemünzt, die ihren Frieden mit der Demokratie gemacht hatten. Horst Mahler war in seiner Weigerung, sich der Realität, der Moral, der historischen Evidenz zu beugen, der konsequenteste aller ideologischen Idioten, welche die an Idioten und Ideologen nicht arme deutsche Nachkriegsgeschichte zu bieten hat.

In einem hatte Horst Mahler vielleicht recht: Er war sich immer treu geblieben. Die Fragen, die seine Biographie aufwirft – nach den Verführungen des radikalen Denkens, nach den Brüchen in der deutschen Identität und der unheimlichen Kontinuität extremistischer Ideen – werden uns weiter verfolgen.

Dr. Malte Herwig ist Schriftsteller und Journalist. Er ist Verfasser mehrerer Biographien, unter anderem über den Schriftsteller Peter Handke, die Künstlerin Françoise Gilot und den Zauberer Kalanag. Für ein Porträt Mahlers für das „Zeit-Magazin“ besuchte er den Inhaftierten vor Jahren in der JVA Brandenburg. www.publicorum.com 


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