19.11.2025

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Politik

Auch der deutsche Sozialstaat steht vor einer Zeitenwende

Der Streit um das Rentenprojekt der Regierung ist zu einem Symbol dafür geworden, dass das gewohnte Leben über die Verhältnisse an ein Ende kommt

René Nehring
19.11.2025

In der Debatte um das Rentenpaket der schwarz-roten Bundesregierung verhärten sich die Fronten dramatisch. Seit das Kabinett ein Paket beschloss, das unter anderem eine sogenannte Haltelinie beim Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031 festschreibt und das Niveau darüber hinaus um einen Prozentpunkt höher als geplant halten soll, verweigern 18 Abgeordnete der „Jungen Gruppe“ der Unionsfraktion im Bundestag dem Ansinnen offen die Gefolgschaft. Denn was den Rentnern von heute Planungssicherheit geben soll, verursacht bis 2040 zusätzliche Kosten von rund 118 Milliarden Euro – die über höhere Beiträge durch die Arbeitnehmer von heute und morgen bezahlt werden sollen.

Der Auftritt von Bundeskanzler Friedrich Merz beim Deutschlandtag der Jungen Union am Wochenende konnte die Rebellen keineswegs besänftigen. Die Aussage des Kanzlers, er könne dem mit den Sozialdemokraten getroffenen Kompromiss guten Gewissens zustimmen, konterten die unter 35 Jahre alten Bundestagsabgeordneten seiner Partei mit der Ankündigung, dass auch sie standhaft bleiben werden. Und da SPD-Chef Lars Klingbeil gleichzeitig jegliche Änderungen an dem beschlossenen Rentenpaket ausschloss und dieses zu einem Kernbestand des Koalitionsvertrags erklärte, scheint eine Lösung des Konflikts nur um den Preis eines massiven Gesichts- und Glaubwürdigkeitsverlustes von mindestens einer der beteiligten Seiten denkbar.

Kein Ausweg in Sicht
Damit steht Schwarz-Rot schon jetzt dort, wo die vormalige Ampelregierung erst nach rund zwei Jahren stand, als nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse die finanziellen Spielräume für die großspurigen Projekte vor allem der Grünen plötzlich eng wurden. Der Unterschied freilich ist, dass es bei den Plänen der Ampel um selbstgesteckte Ziele ging, deren Scheitern für die Bürger eher eine Erleichterung war, während es sich bei der Rente um ein Fundament des Sozialstaats handelt – nämlich um das Versprechen, dass diejenigen, die zeitlebens hart gearbeitet und brav in die öffentlichen Kassen eingezahlt haben, an ihrem Lebensabend vor Armut geschützt sein sollen. Die Stabilität der Rente ist somit ein Symbol für das Wohl und Wehe des Sozialstaats insgesamt.

Ein Symbol ist das Thema Rente auch in Bezug auf die jahrzehntelange Ignoranz bundesdeutscher Entscheidungsträger gegenüber klar ersichtlichen Fakten. So wiesen Kurt Biedenkopf und Meinhard Miegel schon vor über 40 Jahren auf die absehbaren Folgen der demographischen Entwicklung in unserem Land hin. Ihnen folgten weitere kluge Köpfe wie der Generationenforscher Bernd Raffelhüschen. Doch im politischen Tagesgeschäft setzten sogenannte Sozialpolitiker wie Norbert Blüm mit Floskeln wie „Die Rente ist sicher“ den Ton. Die Wahrheit zeigt sich in den Zuschüssen des Bundes in die Rentenkasse. Lagen diese 1982, bei der Berufung Blüms zum Sozialminister im ersten Kabinett Kohl, noch bei 11,9 Milliarden D-Mark (ca. 6,1 Milliarden Euro) und im Jahre 2000 bei immerhin schon 67,4 Milliarden Mark (rund 34,5 Milliarden Euro), so veranschlagt der Finanz-minister für 2026 inzwischen stolze 127,8 Milliarden Euro – und somit fast ein Viertel des Bundeshaushalts. Und dies bei einem System, für das Arbeitnehmer ihr ganzes Erwerbsleben lang ohnehin schon fast 20 Prozent ihres monatlichen Bruttogehalts aufbringen müssen.

Dass ein derart wachsender Anteil am Haushalt die Ausgabemöglichkeiten auf anderen Feldern wie Sicherheit, Bildung, Forschung und Verkehr verringert, liegt auf der Hand. Und so ist die Rentendebatte auch das Symbol einer Sozialstaats-
romantik, die mit ihrem Festhalten an gewachsenen Ansprüchen still und leise, aber kontinuierlich die Gestaltungsräume der Politik verringert.

Mehr als ein Generationenkonflikt
Ein Symbol ist die Rentendebatte auch in Bezug darauf, dass deutsche Politik stets den Weg des geringsten Widerstands geht. Anstatt die Kosten für den Wohlstand von heute einfach späteren Generationen aufzudrücken, hätte sie auch die Möglichkeit, alternative Einsparmöglichkeiten zu suchen. Allein die in verschiedenen Haushaltstiteln versteckten Ausgaben für die Zuwanderung werden von Experten auf über 50 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Die Kosten der sogenannten Energiewende – die auf die selbstgewählte Entscheidung zurückgehen, auf einst hochprofitable Ressourcen wie die Kernkraft zu verzichten – betragen ebenfalls etliche Milliarden im Jahr. Ähnlich verhält es sich bei den Zuwendungen für die NGOs. Auch hier sind die Gesamtausgaben intransparent, doch lässt der Umstand, dass allein die Entwicklungshilfe inzwischen jährlich fast 30 Milliarden Euro kostet, die Dimensionen erahnen. Es gäbe also durchaus das Potential für Einsparungen auf Gebieten, die nicht zu den Kernaufgaben eines Staates gehören und harte Einschnitte bei den Sozialausgaben erübrigen würden.

So ist der aktuelle Rentenstreit mehr als ein üblicher Generationenkonflikt, wie es sie zu allen Zeiten gab. Er zeigt, dass die bisherige Politik des grenzenlosen Über-die-eigenen-Verhältnisse-Lebens an ein Ende gekommen ist. Während der Kanzler – der dieser Tage 70 Jahre wurde und somit selbst längst im Rentenalter ist – im In- und Ausland noch immer den reichen Onkel mimt, dem das viele Geld einfach nicht ausgehen will, ist sich die Jugend seiner Partei bewusst, dass ihre Generation den vermeintlichen Wohlstand von heute eher früher als später mit kräftigen Einbußen bei ihrem eigenen Lebensstandard bezahlen müssen wird.

Die Debatte zeigt aber auch, dass der deutsche Sozialstaat noch lange nicht am Ende sein muss. Doch braucht es für seinen Fortbestand kluge und mutige Köpfe, die in der Lage sind, unnötige von systemrelevanten Ausgaben zu unterscheiden – und die bereit sind, für diese Erkenntnis in die politische Arena zu steigen.


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