Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Vor 80 Jahren wurden die Deutschen der zweitgrößten Stadt der Tschechei ausgetrieben. Zu Fuß mussten sie nicht nur die Stadt, sondern auch das Land Richtung Niederösterreich verlassen
Am 26. April 1945 wurde Mährens Hauptstadt Brünn nach schweren Kämpfen von der Roten Armee eingenommen. Nach Kriegsende brach der Hass sich freie Bahn. Die verbliebenen Deutschen mussten ausnahmslos weiße Armbinden tragen und wurden mit einem „N“ (Nemec) als Deutsche und damit Schutzlose gebrandmarkt. Der aus dem Exil mit der Sowjetarmee zurückgekehrte Politiker Eduard Benesch besuchte bereits am 13. Mai 1945 die Stadt. Mit seiner Rede auf dem Rathausbalkon, auf dem 1939 auch Adolf Hitler gestanden hatte, entfachte er bei den Zuhörern einen blinden Hass auf alle Deutschen. Die Rede Beneschs in Brünn gilt als Befehl zur kollektiven Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Böhmen und Mähren. Alle dabei verübten Verbrechen sollten später durch das tschechoslowakische Amnestie-Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946 ungesühnt bleiben.
Am 31. Mai 1945, dem Fronleichnamstag für die katholischen Sudentendeutschen, begann der Brünner Todesmarsch. Der frühere Gestapo-Agent Bedrich Pokorny, der seit dem 18. Mai 1945 Befehlshaber der Nationalen Sicherheitswacht von Mähren war, organisierte ihn. Deutsche, darunter auch Antifaschisten und sogar Deutsch sprechende Juden, die in Verstecken die NS-Zeit überlebt hatten, wurden an 13 Stellen in Brünn gesammelt. Vom Klostergarten der Augustiner beim Mendelplatz begann der Marsch zur österreichischen Staatsgrenze um 22 Uhr. Die Kolonne wurde von bewaffneten Revolutionsgarden und vormaligen Partisanen brutal aus der Stadt getrieben. Unterwegs mussten sich deutsche Bewohner der umliegenden Dörfer dem rund 60 Kilometer langen Marsch Richtung Niederösterreich anschließen.
Rund 27.000 Betroffene
Der Zug bestand hauptsächlich aus Frauen und Kindern sowie alten Männern, denn die Männer im wehrfähigen Alter waren zu dieser Zeit noch nicht heimgekehrt. Es gab kein Wasser und keine Nahrung. Viele starben an Erschöpfung, Hunger und Durst, dazu kamen noch Epidemien. Während des Todesmarsches kam es zu zahlreichen weiteren Verbrechen der tschechischen Wachmannschaften. Frauen jeden Alters wurden vergewaltigt. Hilfsbereite Menschen, die am Wegesrand Wasser und Brot reichen wollten, wurden von den Wachen bedroht und geschlagen.
Die Anzahl der Todesopfer beläuft sich auf rund 5200. Allein im Sammellager Pohrlitz, das auf halbem Weg zwischen Brünn und der Grenze lag und in dem die Ruhr ausbrach, wurden 890 Opfer in einem Massengrab begraben. Im österreichischen Grenzort Drasenhofen nahmen Einwohner die hinfälligen Menschen auf und versorgten sie. Aber auch auf österreichischem Boden setzte sich das Sterben der Kranken und Entkräfteten fort. 1062 Teilnehmer des Todesmarsches fanden auf österreichischen Friedhöfen oft in Massengräbern ihre letzte Ruhe.
Die „Bruna“, der 1950 gegründete Heimatverband der Brünner in Deutschland, gab 1998 die Publikation „Nemci ven!“ (Die Deutschen raus!) heraus. Die sorgfältig recherchierte Dokumentation wollte die Verdrängung und Tabuisierung der Vertreibungsverbrechen beenden.
2007 startete Jaroslav Ostrčilík, ein in Österreich aufgewachsener Tscheche, in Eigeninitiative mit den „Brünner Gedenkmärschen“. Er wollte ein Zeichen gegen das Verschweigen der Vertreibung der Deutschen setzen.
Etwa 5200 Todesopfer
Die Brünnerin Kateřina Tučková veröffentlichte 2009 einen Roman über den Brünner Todesmarsch mit dem Titel „Die Vertreibung der Gerta Schnirch“. So hieß die Frau, in deren Wohnung sie lebte.
Der Brünner Oberbürgermeister von 2014 bis 2018, Petr Vokřál, entschuldigte sich am 20. Mai 2015 für den Brünner Todesmarsch. Obwohl viele in der Stadt ihn kritisierten, stellte sich die Mehrheit hinter das Versöhnungssignal mit den früheren Bewohnern der Stadt, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Zum 70. Jahrestag des Brünner Todesmarsches, am 30. Mai 2015, initiierte der Brünner Oberbürgermeister einen Gedenkmarsch symbolisch in der Gegenrichtung des historischen Marsches vom Massengrab in Pohrlitz zurück nach Brünn. 300 Menschen, darunter auch Vertreter der Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik und Österreich, nahmen daran teil. Den Marschierern schlossen sich in Brünn der Oberbürgermeister, der die Schirmherrschaft über die Veranstaltung übernommen hatte, und der Brünner Bischof Vojtěch Cikrle an, um die letzten zwei Kilometer zum Mendelplatz gemeinsam zu gehen. Der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, sprach von einem „Riesenschritt, der Dank und Anerkennung verdient“.
Der „Versöhnungsmarsch von Brünn“ wird seither alljährlich gemeinsam mit der einheimischen Bevölkerung durchgeführt. Diese Geste hat die zweitgrößte Stadt Tschechiens als erste und bisher einzige Stadt des Landes vollzogen. Im vergangenen Jahr sagte die seit 2018 amtierende Brünner Oberbürgermeisterin Marketa Vankova beim Versöhnungsmarsch: „Brünn verhielt sich ein wenig wie ein Fuchs, der in einer Falle gefangen ist und sich selbst ein Bein abbeißt. Verzweifelt und wütend über den Schmerz und die Unfreiheit, die ihm zugefügt wurden, merkte der Fuchs nicht, dass er dabei ein Stück von sich selbst verlor.“