10.12.2025

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Nun restituiert: Vertrag über den Frieden vom Melnosee von 1422 zwischen dem polnischen König Wladyslaw II. Jagiello von Polen, Großfürst Sigismund von Litauen sowie den Herzögen Janusz und Siemowit von Masowien mit dem Deutschen Orden
Foto: GStA PK / Christine ZieglerNun restituiert: Vertrag über den Frieden vom Melnosee von 1422 zwischen dem polnischen König Wladyslaw II. Jagiello von Polen, Großfürst Sigismund von Litauen sowie den Herzögen Janusz und Siemowit von Masowien mit dem Deutschen Orden

Leitartikel

Denkwürdiger Akt guten Willens

René Nehring
10.12.2025

Es ist ein Zeichen der Normalisierung in einem seit über hundert Jahren mal entspannten, mal zerrütteten Verhältnis zweier europäischer Nationen. Im Rahmen der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen übergab die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) am 1. Dezember im Bundeskanzleramt 73 mittelalterliche Pergamenturkunden aus dem Bestand des Geheimen Staatsarchivs an die polnische Kulturministerin Marta Cienkowska. Moderiert wurde die Zeremonie von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, zu den hochrangigen Gästen gehörten unter anderem Bundeskanzler Friedrich Merz und der polnische Ministerpräsident Donald Tusk. Während der Kanzler die Übergabe zum Anlass nahm, die Bedeutung Polens als Partner Deutschlands zu unterstreichen, sprach Tusk von einem „Akt der Versöhnung“. Neben den Urkunden wurde auch ein Kopf des heiligen Jakobus des Älteren restituiert, der um 1340 entstand und ursprünglich zu einer Ganzfigur des Apostels in der Kapelle des Hochschlosses der Marienburg gehörte.

Historisch bedeutsames Kulturgut
Bei den Dokumenten handelt es sich um bis zu 800 Jahre alte Pergamenturkunden, die 1525 von Albrecht von Brandenburg-Ansbach, dem letzten Hochmeister des Deutschen Ordens in Preußen und ersten Herzog von Preußen, dem Königreich Polen übergeben worden waren. Sie stammen aus der Zeit des Deutschen Ordens und umfassen Dokumente aus den Jahren 1215 bis 1466. Darunter befinden sich päpstliche und kaiserliche Privilegien, diplomatische Verträge sowie Aufzeichnungen über kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem Orden und dem Königreich Polen. Die Schriftstücke waren 1525 von Albrecht von Brandenburg-Ansbach, dem letzten Hochmeister des Ordens, an die polnische Krone übergeben wurden, nachdem Albrecht den geistlichen Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum umgewandelt hatte und dessen erster Landesherr geworden war. Sie stehen somit auch für die Unterwerfung Preußens unter die polnische Lehnshoheit.

Im Zuge der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg setzte 1941 eine aus Königsberger Archivaren bestehende Kommission die Herausgabe der Archivalien aus dem Warschauer Hauptarchiv Alter Akten durch. Anschließend wurden die entnommenen Dokumente dem Urkundenbestand des Staatsarchivs Königsberg eingegliedert. Mit der Auslagerung des Staatsarchivs Königsberg gelangten die Urkunden zunächst 1944/45 nach Grasleben beziehungsweise Goslar, dann 1953 ins Archivlager Göttingen und von dort 1979 in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem. Dort lagerten sie jahrzehntelang, aber sie ruhten nicht. Denn Polen pochte immer wieder auf die Herausgabe der Dokumente.

Das Thema der Rückgabe von geraubtem Kulturgut war und ist indes keine Einbahnstraße. Denn nachdem die Wehrmacht und die NS-Besatzungsbehörden im Zweiten Weltkrieg hunderttausende wertvolle polnische Kulturgüter, darunter bedeutende Gemälde von Raffael, Rembrandt, da Vinci und Canaletto, Bücher, Manuskripte und historische Dokumente aus polnischen Museen, Kirchen und Privatsammlungen entwendeten sowie diese in deutsche Museen oder in den Privatbesitz von NS-Funktionären überführten, betrachtet Polen sämtliche Kulturgüter aus jenen Teilen des historischen deutschen Ostens, die heute polnisches Staatsgebiet sind, als nationales Eigentum. Wohingegen Deutschland wiederum, das die Ansprüche Polens auf Rückgabe von Raubkultur in der Regel nicht bestreitet, argumentiert, dass kriegsbedingt ausgelagerte Bestände weiterhin den ursprünglichen Institutionen gehören.

So waren und sind die gegenseitigen Rückgabeansprüche ein Dauerthema in den Kulturbeziehungen zwischen beiden Nationen. Verhandlungen auf Regierungsebene, initiiert durch den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991, stockten wiederholt an unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Gleichwohl gab es immer wieder auch Fortschritte. So restituierte Deutschland unter anderem 1992 den sogenannten Posener Goldschatz (eine umfangreiche Sammlung von überwiegend antikem Schmuck und Münzen) aus dem Archäologischen Museum Posen an Polen, und im Jahr 2000 übergab der damalige polnische Präsident Jerzy Buzek an Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Luther-Bibel aus dem 16. Jahrhundert. Wobei Deutschland bislang deutlich mehr Kulturgüter an Polen zurückgegeben hat als Polen umgekehrt.

Ein großer Streitpunkt ist nach wie vor die sogenannte Berlinka-Sammlung in Krakau. Diese besteht aus rund 220.000 Autographen aus dem früheren Bestand der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin, darunter zahlreiche Briefe von Luther, Goethe, Kleist, Jacob und Wilhelm Grimm, Alexander und Wilhelm von Humboldt, Leibniz, Hegel, Rilke und Schiller, die während des Krieges nach Schlesien ausgelagert worden waren. Die Präsidentin der SPK Marion Ackermann erklärte denn auch angesichts der nunmehr erfolgten Rückgabe der 73 Akten von Herzog Albrecht: „Ich freue mich sehr, dass wir diese wertvollen Urkunden heute an Polen übergeben konnten. Gleichzeitig hoffe ich, dass es mit dieser Rückgabe wieder Bewegung in den Gesprächen mit unserem östlichen Nachbarland gibt, mit dem uns so viel verbindet.“

Offene Wunden nicht nur in Polen
Damit umschreibt Ackermann höflich das in der bisherigen Rückgabepraxis bestehende große Ungleichgewicht zu Ungunsten Deutschlands. Es ist richtig, dass geraubte und beschlagnahmte Kulturgüter an ihre historischen Orte zurückkehren. In einem Kontinent, der infolge zweier Weltkriege nicht nur Millionen Menschen verlor, sondern auch eine irreversible Beschädigung seiner kulturellen Identität erleiden musste, ist dies ein Akt der Heilung offener Wunden. Doch kann diese Heilung nur gelingen, wenn die dazu erforderlichen Schritte auf beiden Seiten erfolgen. Solange Polen die in seinem Besitz befindlichen Kulturgüter nicht herausgibt, müssen die Wunden auf deutscher Seite zwangsweise offenbleiben.

Und Deutschland sollte sich gut überlegen, wie lange noch es dieses Spiel mitspielen will – oder ob es nicht angemessen ist, darauf zu beharren, dass es weitere Schritte wie die jüngste Dokumentenübergabe in Berlin nur bei entsprechenden polnischen Gegenleistungen geben kann.


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