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Die Franckeschen Stiftungen in Halle zeigen eindrucksvoll, wie „Heilen an Leib und Seele“ funktionierte
Bislang wurden die in Halle an der Saale angesiedelten Franckeschen Stiftungen ausschließlich als Schulstadt wahrgenommen. Nun aber steht erstmals ihre Gesundheitstopographie im Blickpunkt.
Anlass ist ein Jubiläum: Der vom preußischen Kurfürst Friedrich III. sowie seinem Sohn und Nachfolger König Friedrich Wilhelm I. in seinen pädagogischen, sozialen und religiösen Bestrebungen geförderte August Hermann Francke (1663–1727) legte vor 300 Jahren in seiner Schulstadt den Grundstein zu Deutschlands erstem Kinderkrankenhaus. Das Jubiläum feiern die Franckeschen Stiftungen im Historischen Waisenhaus mit der Sonderausstellung „Heilen an Leib und Seele“. Sie stellt uns das Kinderkrankenhaus sowie das Gesundheitskonzept des von dem evangelischen Theologen, Universitätsprofessor, Stifter wie Bauherren Francke und seinen Mitstreitern ins Leben gerufenen Halleschen Pietismus vor.
Francke gründete 1698 die später nach ihm benannte Schulstadt zum Zweck der Reform der Gesellschaft durch breite Bildung und Erziehung zur Selbstverantwortung nach christlichen Maßstäben. Seine Schulen und Internate besuchten Jungen und Mädchen. Unter ihnen waren Waisen sowie die Kinder von Armen, Bürgern und Adligen. Etwas abgerückt von den Schulgebäuden steht das ehemalige Kinderkrankenhaus. In ihm ist heute das Seelsorgeseminar der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland untergebracht.
Früher wies das Gebäude im Ober- und Dachgeschoss sechs Räume für die Krankenpflege mit insgesamt 20 Betten auf. Ausgestellt ist der Nachbau eines Bettes, der sich an einer historischen Planzeichnung orientiert. Während damals üblicherweise mehrere Kinder zusammen in einem Bett schliefen, legte Francke fest, dass alle in der Schulstadt wohnenden Kinder über ein Einzelbett verfügten. Denn auf Hygiene legte er großen Wert. Und so war auch das Kinderkrankenhaus selbstverständlich an das für damalige Verhältnisse neuartige Röhrensystem angeschlossen, das die Gebäude der Schulstadt mit Frischwasser versorgte.
Ein Gebet vor der Arzneieinnahme
Zu Franckes Zeiten war der preußische Hofrat Johann Juncker leitender Arzt der Schulstadt. Er organisierte den Bau des Kinderkrankenhauses und besetzte dortige Pflegestellen mit Studenten der Universität von Halle. Die der Theologie kümmerten sich um die seelischen Leiden der Patienten, während Medizinstudenten am Kinderkrankenbett praktische Erfahrungen sammelten – und ebenso in den von Juncker regelmäßig im Historischen Waisenhaus abgehaltenen kostenlosen Armensprechstunden. Das war eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Sozialleistung, die allmonatlich um die 1000 Bedürftigen nebst den in den Laboren der Schulstadt hergestellten „Waisenhaus-Arzneien“ zugutekam. Die aber waren weit über Halle hinaus sehr begehrt. Der florierende Versandhandel der „Medikamenten-Expedition“ versorgte bis nach Russland, Indien und Nordamerika Kunden mit der Medizin der Halleschen Pietisten. Die Einkünfte trugen wesentlich zum Unterhalt der Schulstadt bei.
Neben Laborgeräten ist eine Rezeptsammlung zu den Waisenhaus-Medikamenten ausgestellt. Aufgeschlagen ist die Doppelseite mit der Anleitung zur Herstellung der „Essentia dulcis“. Diese „Süße Essenz“ war der große Verkaufsschlager unter den Waisenhaus-Arzneien. Es handelte sich bei ihr um feinstverteilte Goldpartikel in Weingeist. Der Mediziner und pietische Theologe Christian Friedrich Richter hatte diese Goldtinktur auf der Grundlage eines Rezeptes entwickelt, das Francke geschenkt bekommen hatte. Richter erklärte die Essentia dulcis zur „in allen Kranckheiten sicher zu gebrauchenden Universal-Arzney“. Sie habe eine enorm stärkende Wirkung auf den menschlichen Lebensgeist, den Richter mit der Seele gleichsetzte.
Ausstellungskurator Thomas Grunewald weist auf eine Besonderheit im Umgang mit den Waisenhaus-Medikamenten hin: Die Halleschen Pietisten verkündeten per Beipackzettel, dass die Patienten vor und nach der Einnahme der Medizin beten müssen, denn nur dann könne sie ihre Wirkung entfalten. Daher bezeichnet Grunewald sie als „Medikamente zur Heilung der Seele“.
Und gerade auf die Heilung der Seele kam es nach Auffassung der Halleschen Pietisten an. Die Seele steuere die Lebensfunktionen des Körpers und verbinde den Menschen mit Gott.
Grunewalds Mitkurator Holger Zaunstöck erklärt: „Wenn ein Mensch von einer Krankheit heimgesucht werde, so sei dies eine ernste göttliche Ermahnung, seine innere Glaubensverfassung zu prüfen. Auf dem Weg der Heilung war deshalb neben dem Körper auch der Zustand der Seele ins Lot zu bringen.“ Deshalb hielten die Halleschen Pietisten einen gefestigten Glauben und unbeirrbares Gottvertrauen für die beste Medizin.
Als Verkörperung dieses auf das leibliche wie seelische Wohlergehen bedachten Gesundheitsprinzips tritt August Hermann Francke im Lindenhof der Stiftungen in Erscheinung. Sein hier 1829 enthülltes Bronzedenkmal entwarf der berühmte Bildhauer Christian Daniel Rauch. Auf hohem Sockel steht der Begründer des Kinderkrankenhauses in Begleitung eines Mädchens und eines Jungen. Er wendet sich den Kindern zu und zeigt dabei zum Himmel. Die Inschrift des Sockels lautet: „August Hermann Francke. Er vertrauete Gott.“
• Bis 13. Oktober im Historischen Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen, Halle an der Saale, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. Eintritt: 6 Euro. Die Webseite www.francke-halle.de informiert darüber, ob und unter welchen Bedingungen das Museum geöffnet hat. Sollte es geschlossen sein, ist die digitale Version der Ausstellung jederzeit offen: www.francke-halle.de/de/ausstellungen-online