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Auf den vor 100 Jahren gestorbenen Revolutionär und Staatsmann berufen sich sowohl Rotchina als auch Nationalchina
Vor 100 Jahren, am 12. März 1925, starb der erste Präsident der Republik China Sun Yat-sen im Alter von 58 Jahren an Leberkrebs. Damit endete der bemerkenswerte Lebensweg eines Mannes, der vom Sohn eines Kulis zum Arzt, Revolutionär und Politiker aufstieg und sich das Ziel gesetzt hatte, die mehr als zweitausendjährige Geschichte des chinesischen Kaiserreichs zu beenden, um eine Volksherrschaft zu errichten. Wegen des Letzteren musste er 16 Jahre im Exil verbringen. Dort gründete er 1905 den Tongmenghui-Bund, aus dem später die nationalistische Nationale Volkspartei Chinas (Kuomintang, KMT) hervorging. Im Zuge der Xinhai-Revolution vom 10. Oktober 1911 bis zum 12. Februar des Folgejahres wurde Sun Yat-sen auf einer Konferenz von Provinzrepräsentanten in Nanking/Nanjing zum provisorischen Präsidenten der von ihm am 1. Januar 1912 proklamierten Republik China gekürt, weil er ein Kompromisskandidat war, der die Zustimmung der Revolutionäre wie auch konservativer Kräfte fand.
Nach einem verlorenen Machtkampf mit Yuan Shikai, dem mit der Beiyang-Armee das Militär Nordchinas unterstand, ging Sun erneut ins Exil. Aus diesem kehrte er 1917, ein Jahr nach dem Tod von Yuan Shikai, zurück. 1921 wurde er Präsident der selbstproklamierten Nationalregierung in Kanton. In dieser Eigenschaft versuchte Sun bis zuletzt, das durch Bürgerkriege zerrissene China zu einen.
Erster Präsident der Republik China
Dieser Versuch war vergebens. Dennoch spielen die politischen Ideen des Revolutionärs und Staatsmannes eine zentrale Rolle im heutigen China, und das in beiden Teilen des Landes. Sun Yat-sen hat das Alleinstellungsmerkmal, dass er der einzige chinesische Politiker ist, der sowohl in Nationalchina (Taiwan) wie in Rotchina großes Ansehen genießt. Das ist möglich, weil er vor der chinesischen Teilung starb, und zeugt von der außerordentlichen Integrationskraft seiner Person. Beide chinesischen Teilstaaten berufen sich noch heute auf die politischen Leitlinien Suns, die „Drei Prinzipien des Volkes“, die er im Jahr 1905 erstmals vorstellte und acht Jahre später 1923 präzisierte. Allerdings interpretieren Peking und Taipeh diese teilweise unterschiedlich.
Suns Prinzip Nummer 1 war das der Volksgemeinschaft. China solle ein souveräner Nationalstaat und vollwertiges Mitglied der internationalen Gemeinschaft werden. Dazu müsse es die Kolonialmächte in die Schranken weisen und die mit diesen geschlossenen ungleichen Verträge aufkündigen. Um das zu erreichen, bedürfe es der nationalen Einheit, die nur zu verwirklichen sei, wenn sämtliche Volksstämme Chinas, das heißt die Han-Chinesen, Mongolen, Tibeter, Uiguren und Mandschuren, eine feste Volksgemeinschaft auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Kultur und Geschichte bildeten. Peking beruft sich heute auf dieses Prinzip, um seine Ansprüche gegenüber Taiwan geltend zu machen und die Annexion Tibets sowie die Unterdrückung der Uiguren in Nordwestchina zu legitimieren.
Als Prinzip Nummer 2 bezeichnete Sun das Prinzip der Volksrechte. Eine konstitutionelle Monarchie nach westlichem Vorbild schied für ihn aus. Vielmehr wollte er das Volk zum einzigen Souverän machen. Nur am Bestand des Beamtenapparates wagte auch Sun nicht zu rütteln. Konkret listete er vier Volksrechte auf, welche die Basis der Demokratie innerhalb der chinesischen Republik bilden sollten: das Recht, Beamte zu wählen, das Recht, diese abzuberufen, das Recht, Gesetze vorzuschlagen, und das Recht, über Gesetze abzustimmen. Darüber hinaus plädierte Sun für die Einführung einer Fünf-Gewalten-Verfassung, die den aus dem Westen bekannten drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative noch eine prüfende und eine kontrollierende Gewalt hinzufügte. In Taiwan sind diese Vorstellungen von Sun Yat-sen in die Verfassungsartikel 53, 62, 77, 83 und 90 eingeflossen, während in der Volksrepublik China die Gewaltenteilung durch die alles dominierende Stellung der Kommunistischen Partei faktisch außer Kraft gesetzt ist. Gleichzeitig existiert neben dem Nationalen Volkskongress, der als Scheinparlament fungiert, sowie der Exekutive und Judikative eine vierte andersartige verfassungsmäßige Gewalt, nämlich die Zentrale Militärkommission.
Drei Prinzipien des Volkes
Und dann wäre da als Drittes noch Suns Prinzip der Volkswohlfahrt, das in beiden chinesischen Staaten gleichermaßen Geltung besitzt: Die Hauptaufgabe des Staates bestehe in der Befriedigung der vier großen Lebensbedürfnisse aller Bürger, das heißt der Ernährung, der Bekleidung, dem Wohnen und der individuellen Mobilität.
Darüber hinaus propagierte der Gründer des modernen China und einer der wenigen wahren Demokraten in der bisherigen Geschichte des Reiches der Mitte kurz vor seinem Tode auch die Idee des „Asienismus“. Diese besagt, dass es einen „königlichen Weg“ des Ostens und einen „hegemonialen Weg“ des Westens gebe. Letzterer habe den Kolonialismus hervorgebracht und sei daher strikt abzulehnen. In diesem Punkt sollten sich alle Völker Asiens einig sein. Wenn Peking also heute den Westen kritisiert und stetig von einem „Sozialismus chinesischer Prägung“ spricht sowie auch sonst allerlei „Sonderwege“ für sich reklamiert, so ist das eine Berufung auf Sun Yat-sens „königlichen Weg“. Dass der Republikgründer diesen 1924 nicht näher beschrieben hat, bietet den heutigen Herrschern Chinas weitgehende Interpretationsfreiheit seiner Worte und vielfältige Möglichkeiten, ihn für sich zu vereinnahmen.