27.07.2024

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Frankreich

Der Hamas-Terror spaltet die Linke

Die Rechtspolitikerin Marine Le Pen profiliert sich mit klaren Aussagen

Robert Mühlbauer
23.11.2023

Es war eine große und beeindruckende Demonstration gegen Antisemitismus mit mehr als 100.000 Teilnehmern, die bei herbstlich-kühlem Wetter Mitte November vom Pariser Invalidendom ins Quartier Latin zog. Zahlreiche Spitzenpolitiker liefen mit, die Stimmung war gedrückt, zugleich feierlich. Aktuell nehmen antijüdische Übergriffe stark zu, die Polizei registrierte über tausend Straftaten seit Oktober.

Aber die Großdemonstration war wieder mal auch von Kontroversen überschattet. Da war die Frage, warum Emmanuel Macron dem „Marsch für die Repu-blik und gegen Antisemitismus“ fernblieb. Der Präsident hatte zuvor in einem dramatischen Aufruf die Wiederkehr einer entfesselten Judenfeindschaft gegeißelt und an die Bürger appelliert, zu der Demo zu gehen. Er selbst kam aber nicht. „Enttäuschend“ fand das die Urenkelin des berühmten Hauptmann Dreyfus, die mit Macron an dem Wochenende auf einer Bühne stand. Der Landesverratsprozess gegen den jüdischen Hauptman Alfred Dreyfus hatte in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts tiefsitzenden Antisemitismus in der Gesellschaft offengelegt. Macron rechtfertigte sich, dass er „noch nie“ an einer Demonstration teilgenommen habe.

Streben nach Gesellschaftsfähigkeit
Noch mehr irritierte, wie der führende linksradikale Politiker Jean-Luc Mélenchon die Demonstration boykottierte und sie sogar polemisch als Versammlung der „Freunde der bedingungslosen Unterstützung des Massakers“ (an den Palästinensern) diffamierte. Mélenchon hat es nach den blutigen Hamas-Angriffen vom 7. Oktober mit 1200 Toten auffällig vermieden, die Hamas als Terroristen zu verurteilen. Seine trotzkistische Partei La France Insoumise (LFI, Unbeugsames Frankreich) wird von vielen der etwa sechs Millionen Muslimen in Frankreich gewählt. Zu Bildern von großen Pro-Gaza-Kundgebungen mit einem Meer an Palästina-Flaggen schrieb er: „Das ist Frankreich.“

Inzwischen aber dreht sich der Wind. Die sozialistische Ex-Umweltministerin Dephine Batho beschuldigte den 72-Jährigen, der sich gerne als linken Volkstribun inszeniert, nach dem Demo-Sonntag des Totalitarismus, Antisemitismus und Trumpismus. Das linke Parteienbündnis „Nupes“ aus LFI, Kommunisten, Sozialisten und Grünen zerfällt zunehmend. Und in Umfragen sinkt Mélenchons Stern. Nur noch 14 Prozent finden ihn gut, bei der Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2022 kam er auf 22 Prozent.

Im Gegensatz dazu ist Marine Le Pen im Aufwind. Die 55 Jahre alte Frontfrau des rechtsgerichteten Rassemblement National (RN) hat sich nach den Hamas-Attacken glasklar auf die Seite der Israelis gestellt. Sie kämpfe schon seit Langem gegen die Ideologie des Islamismus, betonte sie. Bei der Großdemonstration gegen den Antisemitismus lief sie neben dem jungen RN-Chef Jordan Bardella und anderen Rechtspolitikern vom Invalidendom zum Quartier Latin – sehr zum Verdruss der Linken. Der Verband der jüdischen Institutionen (CRIF) war nicht begeistert über ihre Anwesenheit, aber er lud sie auch nicht aus.

Seit Jahren versucht Le Pen ihre Partei zu „entdämonisieren“, vom Ruch des Rechtsextremismus zu befreien, und sie hat sich dazu von ihrem Vater Jean-Marine Le Pen klar distanziert (der wegen seiner verharmlosenden Aussagen über die Gaskammern in Konzentrationslagern verurteilt wurde). Es dürfe in diesen Fragen keine Zweideutigkeit geben, sagt Marine Le Pen. Sie will klare Kante.

Politikbeobachter sehen dies als Chance, damit sie mehr Wähler erreicht. Die Franzosen fürchten sich in erster Linie vor Anschlägen von Islamisten (auf deren Konto fast 300 Todesopfer seit 2015 gehen), vor unkontrollierter Zuwanderung und den gärenden Integrationspro-blemen. Im Oktober wurde wieder einmal ein Lehrer von einem Islamisten getötet – und viele Bürger fühlen sich wie die Juden bedroht.

„Eine Glasdecke ist explodiert“
Die Teilnahme Le Pens an der Großdemonstration gegen den Antisemitismus dürfte ein politischer Schlüsselmoment werden. „Eine Glasdecke ist explodiert“, sagte der Historiker Grégoire Kauffmann dazu in einem „Le Monde“-Interview. Der 12. November werde als „Schlüsseldatum“ in die Geschichte der Rechten eingehen und die politische Landschaft neu ordnen. Denn die RN-Führungsfigur erreicht jetzt, als „geläuterte Rechte“ mit einer gemäßigten Rhetorik, Wähler der bürgerlich-konservativen Mitte, die vorher vor der „extremen Rechten“ zurückscheuten.

Laut neuesten Umfragen würden aktuell bis zu 33 Prozent der Franzosen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl für Le Pen stimmen – fast zehn Prozentpunkte mehr als 2022. Bis zur nächsten Wahl 2027 kann noch viel passieren. Doch die politische Klasse in Paris spürt, dass die Stimmung sich ändert. Ein Wahlsieg von Le Pen wird immer mehr zu einer ganz realen Möglichkeit.


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