29.03.2024

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Karl I.

Der naive „Friedenskaiser“

Vor 100 Jahren starb der letzte Herrscher von Österreich-Ungarn. Seine Anhänger erreichten schließlich die Seligsprechung

Erik Lommatzsch
29.03.2022

Mit dem Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914, dem der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand zum Opfer fiel und in dessen Folge der Erste Weltkrieg entbrannte, wurde sein Neffe, Erzherzog Karl von Habsburg-Lothringen, Kronprinz. Dieser trat nach dem Tod des greisen, für viele bereits zu einer Art Mythos gewordenen Kaisers Franz Joseph I. am 21. November 1916 an die Spitze der Donaumonarchie. Als Karl I. sollte er der letzte österreichische Kaiser sein.

Geboren wurde der Erzherzog am 17. August 1887 auf Schloss Persenbeug. Von der Mutter, der sächsischen Prinzessin Maria Josepha, die mit ihrer Sittenstrenge das Gegenteil seines Vaters war, übernahm er Religiosität und Sensibilität für soziale Fragen. Zeitweilig besuchte er, unüblich für Mitglieder des Kaiserhauses, ein Gymnasium. Später konzen­trierte sich die Ausbildung auf den militärischen Bereich.

Auf seine künftige Stellung als Herrscher des Habsburgerreiches wurde er nur sehr unzulänglich vorbereitet, in maßgebliche politische Entscheidungen wurde er nicht einbezogen. Als Offizier war er in Böhmen und Ostgalizien stationiert, man übertrug ihm Repräsentationsaufgaben. Mit Kriegsbeginn wurde er dem Armeeoberkommando „zur besonderen Verwendung“ zugeteilt. 1911 hatte er Zita von Bourbon-Parma geheiratet. Die energische Frau unterstützte ihn später bei seinen politischen Vorhaben tatkräftig, seine legitimistischen Auffassungen teilte sie.

Als eine seiner ersten Regierungshandlungen veröffentlichte Karl I. am 22. November 1916 ein Manifest. Er versprach, alles zu tun, „um die Schrecknisse und Opfer des Krieges in ehester Frist zu bannen“ und „die schwer vermissten Segnungen des Friedens Meinen Völkern zurückzugewinnen“. Viele Ideen des jungen Herrschers sind schon von den Zeitgenossen als naiv beurteilt worden, die Aufrichtigkeit seines Bestrebens, den Krieg zu beenden, zieht aber auch die Geschichtsschreibung nicht in Zweifel.

Jung und unzulänglich vorbereitet

Getrieben war er nicht zuletzt von der berechtigten Sorge um den Fortbestand des Reiches. Dass er die für Ungarn gewünschte formelle Krönung, nach dortiger Zählung als Karl IV., frühzeitig vollziehen ließ, gilt als schwerer, wohl seiner Unerfahrenheit geschuldeter Fehler, da sein Handlungsspielraum mit der Ablegung des entsprechenden Eides auf die ungarische Verfassung in diesem Teil der Doppelmonarchie erheblich eingeschränkt war. Insbesondere hatte er damit die angedachte Weiterentwicklung der Doppelmonarchie zu einer österreichisch-ungarisch-slawischen Triplemonarchie weitgehend unmöglich gemacht.

Im Dezember 1916 übernahm Karl den Oberbefehl über die österreichisch-ungarischen Streitkräfte. Im März 1917 setzte er den seit 1906 amtierenden Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf ab, über den er sagte, dass dessen Fokussierung auf den Angriff „vielen braven Soldaten unnütz das Leben gekostet“ habe.

Zu den zahlreichen personellen Veränderungen, die er vornahm, gehörte auch die Berufung von Ottokar Graf Czernin zum Außenminister. Ausschlaggebend für die Ernennung, so Karl später, sei Czernins zu dieser Zeit zum Ausdruck gebrachter Friedenswille gewesen, allerdings habe sich der Minister als „Blender“ erwiesen.

Sozialpolitische Initiativen wurden unter Karl I. in Gang gesetzt, etwa Mieterschutz und Krankenversicherung betreffend, Ministerien für Fürsorge und Volksgesundheit wurden geschaffen. Im Unterschied zu seinem Vorgänger galt er als nahbar und weniger auf Etikette bedacht, bekam jedoch aufgrund oft überraschender, mitunter wenig überlegter Entschlüsse den Beinamen „der Plötzliche“.

Den vom verbündeten Deutschen Reich im Frühjahr 1917 in Gang gesetzten uneingeschränkten U-Boot-Krieg lehnte er ab. Nachdem sich der Deutsche Kaiser und König von Preußen Wilhelm II. bei einem Treffen in Bad Homburg im April 1917 gegenüber den Friedensbestrebungen Karls als unzugänglich erwiesen hatte, resümierte dieser im Anschluss: „Am Ende werden wir vielleicht unseren eigenen Weg gehen müssen.“ Nach dem Krieg urteilte er über den Deutschen Kaiser, dieser sei nicht der „Alles-Zertrümmerer und Zerstörer“ gewesen, als den ihn seine Reden hätten erscheinen lassen. „Er war auch während des Krieges für den Frieden.“ Allerdings sei er seinen „säbelrasselnden Generälen“ hörig gewesen.

Die Sixtus-Affäre

Bereits im März 1917 hatte Karl begonnen, über zwei Brüder seiner Frau, die Prinzen Sixtus und Franz Xaver von Bourbon-Parma, einen geheimen Vorstoß für einen Separatfrieden zu unternehmen. Unter anderem war davon die Rede, dass Elsass-Lothringen wieder zu Frankreich kommen solle. Der französische Staatspräsident, Raymond Poincaré, bezweifelte in diesem Punkt nicht die lauteren Absichten des österreichischen Kaisers, meinte aber, dies sei ohne Einverständnis des Deutschen Reiches schwer vorstellbar. Die Entente zeigte sich insgesamt wenig aufgeschlossen, die Angelegenheit verlief im Sande.

Im April 1918 sollte sich das Ganze zu der nach Sixtus von Bourbon-Parma benannten Sixtus-Affäre entwickeln. Nachdem Außenminister Czernin, nun nicht mehr auf Friedenskurs, eine provokante Rede gehalten hatte, in der er behauptet hatte, der französische Premier Georges Clemenceau habe Elsass-Lothringen von sich aus gefordert, machte dieser die Vorschläge Karls I. öffentlich. Der derart bloßgestellte Herrscher agierte ungeschickt, er bestritt nun wahrheitswidrig, den Verzicht vorgeschlagen zu haben. Am Ende hatte er erheblich an Reputation und Glaubwürdigkeit eingebüßt. Nun verringerte der misstrauisch gewordene große Verbündete im Norden seinen Spielraum, während die Entente die separatistischen Tendenzen in seinem Vielvölkerstaat unterstützte.

Die Versorgungslage im Inneren wurde immer schwieriger, es kam zu Streiks, die Armee begann zu meutern. Mit dem verlorenen Krieg war auch die Monarchie am Ende. Karls „Völkermanifest“ vom 16. Oktober 1918, mit dem er zumindest die österreichische Reichshälfte in einen Bundesstaat umwandeln wollte, konnte den Zerfall nicht mehr abwenden. Ungarn sagte sich am 31. Oktober 1918 von der Realunion los, und in Österreich wurde am 12. November die Republik ausgerufen. Karl verzichtete „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“, dankte aber, seinem Selbstverständnis folgend, nicht ab.

Als er im März 1919 von der republikanischen Regierung in die Schweiz abgeschoben wurde, widerrief er kurz vor dem Grenzübertritt im „Feldkircher Manifest“ seinen Verzicht. Nach zwei vergeblichen Restaurationsversuchen in Ungarn wurde er schließlich auf die zu Portugal gehörende Atlantikinsel Madeira verbracht. Dort starb er am 1. April 1922 im Alter von nicht einmal 35 Jahren an einer schweren Lungenentzündung, die auf eine Infektion mit der Spanischen Grippe zurückgeführt wurde.

Bereits wenig später setzten Bemühungen ein, den tiefgläubigen Katholiken, der noch heute von Anhängern als Märtyrer betrachtet und als „Friedenskaiser“ verehrt wird, selig sprechen zu lassen. Das tat 2004 Papst Johannes Paul II.


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