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Elisabeth Förster-Nietzsche: Foto von Louis Geld aus dem Jahre 1910
Bild: All mauritius images TravelElisabeth Förster-Nietzsche: Foto von Louis Geld aus dem Jahre 1910

Elisabeth Förster-Nietzsche

Der Schatten des großen Bruders

Friedrich Nietzsches vor 90 Jahren gestorbene Schwester setzte alles daran, sein Bild und Nachlass zu beherrschen

Walter T. Rix
16.10.2025

Die während seines Aufenthaltes in Turin am 17. Dezember 1888 ausgebrochene psychische Erkrankung Friedrich Nietzsches war für den Philosophen ein Sturz vom Zenit des Geistes in die Sphäre der geistigen Umnachtung. Er, der dem Menschen neue Horizonte weisen wollte, dämmerte nur noch vegetativ dahin. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in einer Baseler Klinik holte ihn die Mutter im Januar 1889 als Pflegefall nach Naumburg. Fortan war er Gegenstand der Fürsorge und Obhut von Mutter und Schwester.

Mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Elisabeth hatte er in der Jugendzeit ein gutes Verhältnis. Als sie 1868 an der Universität Leipzig ein Studium anstrebte, unterstützte Nietzsche sogar ihre Bildungsambitionen, holte sie jedoch 1870 als seine Haushälterin nach Basel, wohin er als seinerzeit jüngster Professor eine Berufung erhalten hatte. Dort führte sie ihm zehn Jahre lang den Haushalt. Eine für ihn wichtige Voraussetzung seiner geistigen Existenz, da sie ihm den Rücken gegen die Mühen das Alltags freihielt. Das Verhältnis wurde jedoch durch die geistige Entwicklung des Bruders empfindlich gestört. Durch ihn erhielt Elisabeth Kontakt zum Wagner-Kreis und pflegte enge Beziehungen insbesondere zu Cosima Wagner, die zweite Ehefrau von Richard Wagner und von 1883 bis 1908 die Leiterin der Bayreuther Festspiele. Als mit seiner 1878 erschienenen philosophischen Schrift „Menschliches, Allzumenschliches“ deutlich wurde, dass sich ihr Bruder von Richard Wagner entfernte, wollte sie dies nicht wahrhaben und äußerte sich öffentlich, dass seine Philosophie anders verstanden werden müsse.

Das Verhältnis verschlechterte sich weiter, als Nietzsche Lou Andreas-Salomé kennenlernte – ein Fin-de-siècle-Wesen, ebenso intellektuell wie betörend. Da deutlich wurde, dass die Neigung des Bruders über das Philosophische hinausging, weckte dies Elisabeths weibliche Eifersucht. Nun begann sie, nicht nur gegen Lou, sondern sogar auch gegen den eigenen Bruder zu intrigieren. Nietzsche hielt sie daraufhin auf Distanz und nannte sie wenig brüderlich das „Lama“: „Man packt seine Lasten darauf, aber es spuckt.“

1885 heiratete Elisabeth den wegen seines militanten Antisemitismus aus dem Schuldienst entlassenen Bernhard Förster. In Deutschland gescheitert, versuchte dieser, seine Ideen in Form der Kolonie „Nueva-Germania“ in Paraguay zu verwirklichen. Im März 1888 traf das Ehepaar in der Gestalt gewordenen Utopie ein. Diese erwies sich jedoch als nicht lebensfähig. Bereits 1889 verstarb Bernhard Förster unter ungeklärten Umständen in Paraguay, und Elisabeth reiste nach verzweifelten Rettungsversuchen 1893 wieder in die Heimat zurück.

Bereits auf der Überfahrt hatte sie offensichtlich ihr zukünftiges Programm entworfen. Als erstes ließ sie ihren Namen amtlich in Förster-Nietzsche ändern. Jetzt setzte sie alles daran, das Bild und den Nachlass ihres Bruders zu beherrschen. Mit einer Bürgschaft des Bankiers Robert von Mendelssohn kaufte sie für 30.000 Mark ihrer Mutter alle Rechte am Nachlass ab und holte den dahinsiechenden Philosophen nach Weimar in die von ihr geführte „Villa Silberblick“. Jetzt konnte sie entscheiden, wer den Kranken sehen durfte.

Als der Maler Hans Olde auf Anregung der Zeitschrift „Pan“ ihn porträtieren wollte, zogen sich die Verhandlungen über ein Jahr hin. Für jede der Skizzen sicherte sie sich ein Einspruchsrecht. Die Briefe Oldes an seine Frau vermitteln einen authentischen Eindruck von Elisabeths Rolle bei den Sitzungen. Laufend intervenierte sie zum Ärger Oldes bei der Arbeit. Im Endeffekt wandelte dieser die Züge des Krankhaften in einen Ausdruck des Dämonischen um.

Es ging Elisabeth darum, ihr eigenes Nietzsche-Bild als das einzig gültige zu etablieren. Ohne Hemmungen fälschte sie Briefe, machte Textpassagen unleserlich, erweiterte Aufzeichnungen eigenständig und schönte die Biographie. Das zentrale Werk „Der Wille zur Macht“ ist über weite Strecken von ihren Eingriffen und illegitimen Hinzufügungen geprägt.

Für die wissenschaftliche Textkritik war es bis vor Kurzem eine Herausforderung, den unverfälschten Nietzsche herauszuarbeiten. Vor 90 Jahren, am 8. November 1935, verstarb Elisabeth. Ihre sterblichen Überreste wurden zwischen Vater und Bruder in ihrem Geburtsort Röcken, heute ein Ortsteil der Stadt Lützen im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt, beigesetzt.


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