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Im Jahre 1931 als Nationalratspräsident an seinem Schreibtisch: Karl Renner
Bild: WikimediaIm Jahre 1931 als Nationalratspräsident an seinem Schreibtisch: Karl Renner

Karl Renner

Der Sudetendeutsche an Österreichs Spitze

Der sozialdemokratische erste Regierungschef der Ersten und erste Staatschef der Zweiten Republik begrüßte sowohl den Anschluss der Alpenrepublik als auch den des Sudetenlandes an das Deutsche Reich

Konrad Badenheuer
29.12.2025

Am Ende dieses Jahres jährt sich der Todestag des österreichischen Politikers Karl Renner zum 75. Mal. Der 1870 geborene Jurist und Sozialdemokrat war eine prägende Figur der österreichischen Politik des 20. Jahrhunderts. In den Jahrzehnten seiner politischen Karriere – der Zeit von der Donaumonarchie bis nach dem Zweiten Weltkrieg – beeinflusste der Staatsmann in vier Epochen maßgeblich die Entwicklung der österreichischen Demokratie, die Sozialpolitik und die politische Kultur des Landes.

Renner wurde am 14. Dezember 1870 in Unter-Tannowitz in Südmähren geboren. Die Gemeinde mit knapp 2700 Seelen lag etwa 20 Kilometer südlich der tschechischen Sprachgrenze und war bis zum Ersten Weltkrieg rein deutschsprachig. Renner war zusammen mit seinem Zwillingsbruder Anton das 17. und 18. Kind einer armen Winzerfamilie. Wegen seiner Begabung konnte er das Gymnasium besuchen, wobei der den fast zweistündigen Schulweg nach Nikolsburg zu Fuß zurücklegte. Das Abitur (Matura) bestand er mit Auszeichnung und studierte danach bis 1896 Jura in Wien.

In dieser Zeit engagierte er sich in der 1889 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), der heutigen SPÖ. 1895 wer Renner einer der Mitgründer der internationalen Naturfreundebewegung, die der Sozialdemokratie nahestand. Eine Anstellung in der Bibliothek des österreichischen Parlaments (Reichsrat) ermöglichte es ihm nach dem Studium, unter Pseudonym Studien zu sozialen Themen und zur Nationalitätenfrage zu publizieren.

Reichsratsmitglied ab 1907
Seine Arbeiten dazu waren ihrer Zeit voraus. So war „Nation“ für ihn kein ethnologischer oder soziologischer, sondern ein politischer Begriff. Diese Einschätzung kann man für einseitig halten, doch Renners Schlussfolgerungen haben sich völlig bewährt. Er strebte eine Verrechtlichung der nationalen Auseinandersetzungen an und damit eine befriedende Kanalisierung nationaler Konflikte. Seine Studien gehören damit zu den Vorarbeiten des „Mährischen Ausgleichs“ von 1905, einem bis heute vorbildlichen Modell zur Regelung von Nationalitätenkonflikten durch Autonomierechte.

Ab 1907 gehörte Renner selbst dem Reichsrat an und zählte dort zum rechten Flügel der SDAP. Dieser wollte eine Politik der Reformen, verlangte noch nicht einmal die Abschaffung der Monarchie, und revolutionäre Phantasien waren ihm fremd. Das führte zu manchen innerparteilichen Polemiken, obwohl auch diese Strömung Karl Marx für einen großen Ökonomen hielt und selbstverständlich den Sozialismus anstrebte.

1917 gehörte Renner zu den österreichischen Politikern, die sich öffentlich für einen „Frieden ohne Annexionen und Kontributionen“ aussprachen. Hätten diese Kräfte sich durchgesetzt, wären Europa und der Welt viel Leid erspart geblieben.

Staatskanzler von 1918 bis 1920
Im Herbst 1918 brach Österreich-Ungarn militärisch ein paar Tage vor dem Deutschen Reich zusammen. Kaiser Karl und mit ihm das Haus Habsburg mussten nach Jahrhunderten, die im Rückblick kaum anders denn als segensreich bezeichnet werden können, auf den Thron verzichten.

Am 30. Oktober 1918 wählte die Provisorische Nationalversammlung der „Republik Deutschösterreich“ Karl Renner zum Staatskanzler. Diese Funktion behielt er bis zum Juli 1920, danach blieb er noch bis Oktober 1920 Außenminister.

In diese ganze Zeit fielen für Österreich ungeheuer bittere Entwicklungen. Es begann damit, dass die am 28. Oktober 1918 ausgerufene Tschechoslowakei sofort nahezu alle Kohle- und Lebensmittellieferungen nach Wien stoppte, was dort im Laufe des Novembers eine schwere Hungersnot zur Folge hatte. Renner musste nun mit ansehen, wie seine südmährische Heimat, die sich am 4. November feierlich der Republik Deutschösterreich angeschlossen hatte, ab etwa Mitte November von Formationen der „tschechoslowakischen Übergangsarmee“ nach und nach besetzt wurde.

Die „Deutschösterreichische Volkswehr“, das erste provisorische Heer der Republik Deutschösterreich, war dort stärker als in Böhmen, leistete sogar da und dort bewaffneten Widerstand, konnte aber die Besetzung nur verzögern und nicht verhindern. Prag forderte Wien ultimativ auf, der Volkswehr die Einstellung des Widerstandes zu befehlen, was die Regierung Renner am 3. Dezember 1918 angesichts der dramatischen Hungersnot in Wien, die bereits an die 2000 Menschenleben gefordert hatte, zähneknirschend tat.

Hausarrest während der NS-Zeit
Punktuell kämpfte die Volkswehr sogar noch gegen diesen Befehl weiter, aber der Widerstand war nun chancenlos. Am 16. Dezember war ganz Südmähren besetzt und bis Mitte Januar 1919 dann auch die letzten Winkel des Sudetenlandes.

Die Friedenskonferenz in Paris musste im Sommer 1919 nur noch die Fakten festschreiben, die blanke Gewalt Ende 1918 geschaffen hatte. Weil aber die Sieger die Geschichte schreiben, findet sich dieses aus Archivalien und Zeitungsartikeln sicher und exakt belegbare Kapitel heute in fast keinem Geschichtsbuch mehr.

Zurück zu Renner. Er hatte als Kanzler und Jurist maßgeblichen Anteil an grundlegenden Gesetzen der jungen Republik und ihrer Verfassung. Infolge der Friedensbedingungen von St. Germain musste das Land nun „Republik Österreich“ heißen, auf Südtirol und das Sudetenland verzichten und das Verbot des Anschlusses an das nunmehr republikanische Deutsche Reich hinnehmen. Renner ließ an seiner inneren Ablehnung dieser Bestimmungen keinen Zweifel.

Nach einer Wahlniederlage im Oktober 1920 fand sich die österreichische Sozialdemokratie in der Opposition wieder. Renner plädierte weiterhin für eine Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Mitte, der linke Parteiflügel um Otto Bauer theoretisierte dagegen lieber weiter von der klassenlosen Gesellschaft, ja sogar von der Diktatur des Proletariats, was eine Zusammenarbeit mit den Christlichsozialen blockierte. Lachende Dritte waren die Rechtsaußen um Engelbert Dollfuß, der ab 1932 Bundeskanzler war und ab Anfang März 1933 bis zu seiner Ermordung im Jahr darauf mit diktatorischen Vollmachten regierte: Der „Austrofaschismus“ war entstanden.

Bundespräsident 1945 bis zum Tod
Sozialdemokrat hin oder her, als im März 1938 Adolf Hitler Österreich annektierte, wurde dies von Renner begrüßt. Er erklärte nicht nur in einem Interview, das die Nationalsozialisten gerne drucken ließen, dass er beim vorgesehenen Referendum über den „Anschluss“ mit „Ja“ stimmen werde, sondern bot sich sogar für eine regelrechte Kampagne zugunsten der Zustimmung an – was die Nationalsozialisten dankend ablehnten, um freie Hand gegen die Sozialdemokratie zu behalten.

Auch den mit einer Kriegsdrohung Hitlers durchgesetzten Anschluss des Sudetenlandes im Oktober 1938 begrüßte Renner, wobei er damit aber auf derselben Linie wie das britische Unterhaus lag. Die weitere NS-Zeit und damit die dritte politische Epoche seines Lebens überstand der schon betagte Politiker im – eher großzügig gehandhabten – Hausarrest. Er durfte unbehelligt Bücher schreiben, nur veröffentlichen durfte er sie nicht.

Anfang April 1945 eroberte die Rote Armee seinen Wohnort und erlaubte ihm politische Betätigung. Schon wenige Tage später war er Erstunterzeichner der von ihm mitverfassten Österreichischen Unabhängigkeitserklärung vom 27. April, es war der Beginn der vierten Ära im Leben des Politikers Karl Renner. Aus heutiger Sicht überrascht, wie einseitig Österreich sich nun als Opfer des Nationalsozialismus darstellte, was soweit ging, dass das Heimatland Hitlers zunächst sogar Entschädigung von Deutschland einfordern wollte. Im Dezember 1945 wurde Renner Bundespräsident der nunmehr zweiten Republik Österreich und blieb es bis zu seinem Tode an Silvester 1950.

Kandidat für den Friedensnobelpreis
Unterdessen war bis Anfang Juli 1945, also Wochen vor der Potsdamer Konferenz, Renners südmährische Heimat durch wilde Vertreibung der Einheimischen tschechisch geworden. Allein in Unter-Tannowitz wurden dabei drei Männer und drei Frauen ermordet, weitere vier nahmen sich das Leben und mindestens 140 wurden zur Zwangsarbeit verschleppt. Renner rechnete es nicht dem tschechischen Volk als Ganzem zu und blieb ein Mann des Ausgleichs.

Seine Verdienste um den Wiederaufbau des Landes und die Festigung der Demokratie sind unbestritten, in den Jahren 1947 und 1948 wurde er sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Unbegreiflich ist aus heutiger Sicht, warum Österreich nach 1945 so lange damit gezögert hat, die Rechte der vertriebenen und enteigneten Juden wiederherzustellen. Das tat – Ironie der Geschichte – dann erst Ende der 1990er Jahre eine österreichische Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) mit Beteiligung der angeblich so weit rechts stehenden Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ).

Renner hat sich bei diesem Thema nicht mit Ruhm bekleckert, es gibt dazu von ihm sogar Äußerungen, die man durchaus antisemitisch nennen kann. Auf der anderen Seite hatte er – auch mit Schmeicheleien an Josef Stalin – einen großen Anteil daran, dass das besetzte Österreich nach 1945 der Sowjetisierung entging. Wien war ja sogar, was kaum mehr bekannt ist, genau wie Berlin in vier Sektoren der alliierten Siegermächte eingeteilt. Doch mit geschicktem Taktieren vermieden Renner und andere österreichische Nachkriegspolitiker das Schlimmste. Im September 1955 zog die UdSSR schließlich ihre Truppen wieder ab. Renners Lebenswerk wird in Österreich bis heute parteiübergreifend in Ehren gehalten.


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