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20 Jahre ist es her, dass am zweiten Weihnachtstag 2004 der gewaltigste Tsunami der jüngeren Geschichte an den Ufern des Indischen Ozeans mehr als 230.000 Menschen in den Tod riss. Eine ZDF-Dokumentation blickt mit erschütternden Bildern zurück
Die Natur sendet frühzeitig Warnsignale an jenem Tag im Dezember. Taucher spüren einen derartigen Sog, dass sie den Tauchgang abbrechen müssen. Segler bemerken Blasen an der Oberfläche des Meeres. Aber die Menschen, selbst die Einheimischen, können diese Zeichen nicht deuten. Nur die Tiere scheinen etwas zu ahnen von dem Ungeheuerlichen, das da vom Meeresboden aus auf sie zurast. Die Elefanten eines Safariführers in Khao Lak stellen sich frühmorgens plötzlich auf die Hinterbeine, recken ihre Rüssel in die Luft und brüllen. Als wenige Stunden später Touristen auf ihren breiten Rücken Platz nehmen, ignorieren die Tiere alle Weisungen ihres Mamut und stürmen einen Berg hinauf. Dort bleiben sie wie festgewurzelt stehen. Mit ihrem instinktiven Verhalten retten sie ihren Reitern das Leben.
Auch die zehnjährige Tilly Smith, die mir ihren Eltern in einer Bungalowanlage im thailändischen Phuket Urlaub macht, reagiert. Als das Meer zurückweicht, als Touristen über den urplötzlich freigelegten Strand laufen und arglos Muscheln sammeln, alarmiert sie ihre Eltern und lässt nicht locker, bis diese wiederum das Personal dazu bewegen, die Anlage räumen zu lassen. Tilly hatte in der Schule gelernt, dass zurückweichendes Wasser ein Anzeichen für einen Tsunami sein kann. Ihr Gequengel rettete mindestens 100 Menschen das Leben.
Die größte Naturkatastrophe der jüngeren Menschheitsgeschichte jährt sich an diesem zweiten Weihnachtsfeiertag zum 20. Mal. Eine ZDF-Dokumentation der Reihe „Terra X“ („Überlebt“, am 26. November um 20.15 Uhr) zeigt Bilder der Katastrophe, erzählt aber auch Geschichten von wundersamen Rettungen und beleuchtet vor allem die Entwicklung des aktuellen Tsunami-Warnsystems.
In Deutschland feiern die Menschen Weihnachten, als die ersten Horror-Meldungen in der „Tagesschau“ verlesen werden. Die Lichter an den Tannenbäumen brennen, kaum jemand kann sich vorstellen, was gerade im Indischen Ozean passiert. Aber fast jeder kennt Freunde oder Bekannte, die in Thailand, Indien oder Sri Lanka Urlaub machen, um dem tristen deutschen Winter zu entfliehen. Auch der damalige Kanzler Kohl ist darunter. Dieser Tsunami – das japanische Wort heißt „Hafenwelle“ auf Deutsch – soll am Fest der Liebe zum Synonym für eine Katastrophe unfassbaren Ausmaßes werden.
Am 26. Dezember 2014 um 7.58 Uhr Ortszeit stoßen nordwestlich von Sumatra zwei Erdplatten gegeneinander, der Boden hebt sich um zehn Meter und löst eine gigantische, 1000 Kilometer lange Flutwelle aus, die an manchen Stellen 50 Meter höher als der normale Meeresspiegel ist. Zuerst treffen die Monsterwellen die Provinz Aceh auf Sumatra, wenig später die Provinzhauptstadt Banda Ace. Menschen werden mitgerissen, Häuser zersplittern, Tiere versinken in der Flut, wer noch die Kraft hat, versucht sich an entwurzelten Bäumen festzuklammern – meist vergeblich. Die erste Welle fordert rund 25.000 Menschenleben.
Wenig später erreicht die Flut, die am Boden die Geschwindigkeit eines Düsenflugzeugs erreicht, die Küsten von Sri Lanka, Thailand, Indien, danach noch die Küste Ostafrikas. Die Verheerungen sind katastrophal. 230.000 Tote werden gezählt, nachdem sich das Meer wieder zurückgezogen hat, darunter 500 Deutsche. Zwei Millionen Flutopfer sind obdachlos.
Auch die Schauspielerin Natalia Wörner will in Thailand ausspannen, zusammen mit ihrem Freund ist sie viel im Wasser, beobachtet die Unterwasserwelt beim Schnorcheln. Sie ist eine Kronzeugin der Doku, berichtet, wie sie auf dem Weg nach Phuket eine riesige Wasserwüste sieht, darin Treibgut und immer wieder die Körper von Menschen. Sie erzählt, wie sie versucht, Verletzte in ein Krankenhaus zu bringen und im Chaos steckenbleibt.
Selbst 20 Jahre danach ist ihr der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Sie sagt: „Ich war immer ein Wassermensch, konnte das Wasser lesen. Nach dem Tsunami war es mir unmöglich, mich am Wasser aufzuhalten. Selbst das Geräusch von Wellen versetzte mich in Panik.“
Schauspielerin als Kronzeugin
Viele Filme versuchten in Folge, die Katastrophe durch Bilder und Geschichten zu bannen. Naomi Watts spielt 2012 in „The Impossible“ eine Frau, die ihre Familie rettet, Veronica Ferres im selben Jahr in „Tsunami – Das Leben danach“ eine Frau, die ihre gesamte Familie verliert. Immer geht es um das Wunder des Überlebens, manchmal auch um das Wunder des Wiederfindens, oft erst Jahre später.
Wie konnte die Flutwelle ohne jede Vorwarnung ganze Landstriche unter sich begraben? Stuart Weinstein vom Pacific Tsunami Warning Center auf Hawaii registrierte damals erste Ausschläge auf seinen Messgeräten. Aber er konnte die Kollegen in den indischen Anrainerstaaten nicht erreichen. Es gab keine synchronisierten Ablaufpläne. Außerdem waren die Leitungen wegen der Flut unterbrochen.
Jörn Lauterjung vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam stieß eine internationale Zusammenarbeit an. Wenige Jahre später übergab man ein Warnsystem an internationale Partner. Denn nicht nur im fernen Indonesien können Seebeben ausbrechen. Warnsysteme gibt es mittlerweile auch für das Mittelmeer, wo mehrere Vulkane wie der Ätna oder der Stromboli nahe am Wasser liegen.
Mithilfe von Computertechnologie kann man heutzutage innerhalb von Sekunden simulieren, ob und mit welcher Geschwindigkeit ein Tsunami auf die Küsten zurast. Auch die Aufklärung über erste Warnzeichen ist besser geworden, wird teilweise in Schulen unterrichtet. Wichtiger Punkt: Sollte sich das Meer zurückziehen, gilt Alarmstufe Rot. Von jetzt an geht es um Sekunden.